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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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für die liberale Partei, und diese Stimmung ist die herrschende. Es ist eine
besonders erfreuliche Thatsache, daß dasselbe Mitglied des Hauses, welches die
Arbeiterbewegung gescheidt, ehrlich, energisch und versöhnlich zu beherrschen
weiß, auch der drohenden Trennung seiner Partei mit Selbstverläugnung und
Festigkeit entgegenarbeitet.

Ueberhaupt ist jetzt nicht von Wichtigkeit, zu untersuchen, ob die Taktik
des Hauses in Behandlung der Militcirnvvelle dem Ministerium gegenüber die
zweckmäßigste war. Das Zweifelhafte hierbei ist gar nicht, ob Forkenbccks
Anträge, ob Waldecks Resolutionen die besseren seien. Wen" zwischen beiden
gewählt werden soll, hat der Antrag Forkenbccks jedenfalls den großen Vor¬
zug, daß er den militärischen Bedürfnissen des preußischen Staates am besten
entspricht. Aber schon vor Beginn der Commissionssituingen über die Militär¬
novelle waren die Gefahren sichtbar, welche jede Behandlung technischer Ver¬
hältnisse durch eine nicht vorzugsweise aus Technikern bestehende Versammlung
darbietet! Zersplitterung der Ansichten, hartnäckiges Besserwissen Einzelner, dein
Ministerium gegenüber ein Kampf auf nicht durchweg günstigem Terrain, dazu
in diesem Fall langes Hinziehn der Entscheidung. Nach der Pvlendebattc war das
Haus in der Lage, sich durch eine schnelle Aufeinanderfolge von kraftvollen An¬
griffen, die mit Würde und Festigkeit geführt wurden, im Vortheil zu erhalten
und die Kampsstimmung so weit zu steigern, daß das Ministerium zu einem ent¬
schiedenen Schritte gegen das Haus oder gegen die Verfassung gedrängt wurde.
Diese Taktik war durch die außerordentliche Lage des Hauses zu der Staats¬
regierung geboten, sie war unvermeidlich, und nicht die Volksvertretung trifft
die Schuld, daß sie dazu gezwungen ist. Wahrscheinlich wäre das Minister-
verantwortlichkeitsgcsetz, schnell berathen, energisch im Hause verfochten, besser
zu einem großen Schluß der gegenwärtigen Sitzung geeignet gewesen, als die
Militärfragc; denn die Verhandlung darüber bot jede Gelegenheit, das Un¬
verträgliche des Gegensatzes zwischen Ministerium und Volksvertretung vor Aller
Augen zu legen. Und bei der täglich wachsenden oppositionellen Stimmung des
preußischen Volkes war das Abgeordnetenhaus in jeder Frage, bei welcher dasselbe
stolze Haltung. Festigkeit und Kraft bewährt, der wärmsten Zustimmung sicher.

Dem Ministerium, wie den Vertretern des Volkes ist jetzt, wenn nicht alle
Anzeichen trügen, die Ueberzeugung gekommen, daß die Krisis dieser Session
nicht mehr lange hinauszuschieben ist. Nun liegt es aber in der Hand des Ab¬
geordnetenhauses ebensogut, wie in der Gewalt der Regierung, den Moment seiner
Auflösung zu wählen. Allerdings nur durch einen starken Zwang, welchen es sei¬
nen Gegnern auflegt.--Aber das Haus wird dafür sorge", daß nicht in ärger¬
lichem Gezänk, wie bei der schleswigschen Debatte, das Unvermeidliche gethan
werde, sondern daß die Haltung des Hauses und jedes hervortretenden Mitgliedes
?- der Bedeutung dieses folgenschweren Actes entspreche.




für die liberale Partei, und diese Stimmung ist die herrschende. Es ist eine
besonders erfreuliche Thatsache, daß dasselbe Mitglied des Hauses, welches die
Arbeiterbewegung gescheidt, ehrlich, energisch und versöhnlich zu beherrschen
weiß, auch der drohenden Trennung seiner Partei mit Selbstverläugnung und
Festigkeit entgegenarbeitet.

Ueberhaupt ist jetzt nicht von Wichtigkeit, zu untersuchen, ob die Taktik
des Hauses in Behandlung der Militcirnvvelle dem Ministerium gegenüber die
zweckmäßigste war. Das Zweifelhafte hierbei ist gar nicht, ob Forkenbccks
Anträge, ob Waldecks Resolutionen die besseren seien. Wen» zwischen beiden
gewählt werden soll, hat der Antrag Forkenbccks jedenfalls den großen Vor¬
zug, daß er den militärischen Bedürfnissen des preußischen Staates am besten
entspricht. Aber schon vor Beginn der Commissionssituingen über die Militär¬
novelle waren die Gefahren sichtbar, welche jede Behandlung technischer Ver¬
hältnisse durch eine nicht vorzugsweise aus Technikern bestehende Versammlung
darbietet! Zersplitterung der Ansichten, hartnäckiges Besserwissen Einzelner, dein
Ministerium gegenüber ein Kampf auf nicht durchweg günstigem Terrain, dazu
in diesem Fall langes Hinziehn der Entscheidung. Nach der Pvlendebattc war das
Haus in der Lage, sich durch eine schnelle Aufeinanderfolge von kraftvollen An¬
griffen, die mit Würde und Festigkeit geführt wurden, im Vortheil zu erhalten
und die Kampsstimmung so weit zu steigern, daß das Ministerium zu einem ent¬
schiedenen Schritte gegen das Haus oder gegen die Verfassung gedrängt wurde.
Diese Taktik war durch die außerordentliche Lage des Hauses zu der Staats¬
regierung geboten, sie war unvermeidlich, und nicht die Volksvertretung trifft
die Schuld, daß sie dazu gezwungen ist. Wahrscheinlich wäre das Minister-
verantwortlichkeitsgcsetz, schnell berathen, energisch im Hause verfochten, besser
zu einem großen Schluß der gegenwärtigen Sitzung geeignet gewesen, als die
Militärfragc; denn die Verhandlung darüber bot jede Gelegenheit, das Un¬
verträgliche des Gegensatzes zwischen Ministerium und Volksvertretung vor Aller
Augen zu legen. Und bei der täglich wachsenden oppositionellen Stimmung des
preußischen Volkes war das Abgeordnetenhaus in jeder Frage, bei welcher dasselbe
stolze Haltung. Festigkeit und Kraft bewährt, der wärmsten Zustimmung sicher.

Dem Ministerium, wie den Vertretern des Volkes ist jetzt, wenn nicht alle
Anzeichen trügen, die Ueberzeugung gekommen, daß die Krisis dieser Session
nicht mehr lange hinauszuschieben ist. Nun liegt es aber in der Hand des Ab¬
geordnetenhauses ebensogut, wie in der Gewalt der Regierung, den Moment seiner
Auflösung zu wählen. Allerdings nur durch einen starken Zwang, welchen es sei¬
nen Gegnern auflegt.--Aber das Haus wird dafür sorge», daß nicht in ärger¬
lichem Gezänk, wie bei der schleswigschen Debatte, das Unvermeidliche gethan
werde, sondern daß die Haltung des Hauses und jedes hervortretenden Mitgliedes
?- der Bedeutung dieses folgenschweren Actes entspreche.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/158>, abgerufen am 20.10.2024.