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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Windung aller Abneigung, zögernd, da und dort Wohl nicht ohne Hinter¬
gedanken. Doch zeigte sich ein compacter Widerstand eigentlich nur in der süd¬
deutschen Demokratie, also bezeichnend genug wiederum mit dem Rückhalt
eines stark entwickelten Provinzialgeistes. Aber auch in diese Burg ist mit
Erfolg Bresche gelegt, und die sogenannte reine Demokratie mehr und mehr in
die Enge gedrängt. Es läßt sich heute als Thatsache constatiren, daß die¬
jenigen Elemente der Demokratie, welche alter Tradition getreu es vorziehen,
den Großdeutschen die Hände zureichen, als mit den andern liberalen Parteien
zu nationalen Zwecken zusammenzuwirken, Nachzügler einer vergangenen Zeit
sind, die höchstens da, wo sie durch locale Verhältnisse unterstützt sind, sich noch
einigen Einfluß gewahrt haben.

Ein Umstand war es noch besonders, der die gemäßigten Elemente der
Demokratie für eine Annäherung an die Bundesstaatspartei gewann. Die Demo¬
kratie hatte, als sie noch als Partei auf der öffentlichen Bühne war, einen instinc-
tiven Haß gegen den preußischen Staat gehabt. Schon seine straffe concentrirte
Haltung widerstrebte ihrer auf unbedingte Freiheit gerichteten und darum centri-
fugalen Tendenz; provinzielle Stimmungen verstärkten diese Abneigung; zudem
hatte die Niederwerfung der Revolution im Jahr 1849 durch Preußen Wunden
geschlagen, die lange offen blieben. Heute stehen die Sachen anders. Nicht
nur sind diese Wunden vernarbt, nicht nur hat sich das Bedürfniß einer straf¬
feren Concentration der deutschen Kräfte in den letzten Jahren, welche die Lage
Deutschlands im Fall einer kriegerischen Verwickelung so grell beleuchteten,
auch in den Reihen der gemäßigten Demokratie fühlbar gemacht, sondern
es war vor Allem die Veränderung, die sich im preußischen Parteiwesen selbst
vollzog, deren Eindruck den vorhandenen Antipathien erfolgreich entgegenwirkte.
Mag man vom Standpunkte der preußischen Versassungskrisis aus die Nildung
der deutschen Fortschrittspartei bedauern, obwohl sie auch in dieser Beziehung
nur eine natürliche Consequenz der Thatsache war, so darf man doch nicht
vergessen, daß damit in Preußen ein Element in den Vordergrund trat, das
die liberalen Parteien in Deutschland sympathisch berührte, und dessen moralische
Eroberungen bedeutender ins Gewicht fielen als die des Ministeriums Schwerin.
Die zunehmende Reaction, mit welcher der Widerstand und die moralische Kraft der
Fortschrittspartei -- als der großen Mehrheit des Abgeordnetenhauses -- wuchs,
trug nur dazu bei, diese Wirkung zu verstärken. Man lernte im anßerprcußischen
Deutschland schärfer unterscheiden zwischen der Neactionspartei, die augenblicklich am
Ruder war, und dem preußischen Volk, das durch seine gesetzlichen Vertreter einen
energischen Kampf um seine verfassungsmäßigen Freiheiten führte, dessen schließ-
licher Erfolg ebensowenig zweifelhaft sein konnte als die Bedeutung desselben für
die deutschen Geschicke. Nicht umsonst hatte jene neugebildete Partei den Namen
deutsche Fortschrittspartei angenommen und in ihrem Programm die deutsche


Windung aller Abneigung, zögernd, da und dort Wohl nicht ohne Hinter¬
gedanken. Doch zeigte sich ein compacter Widerstand eigentlich nur in der süd¬
deutschen Demokratie, also bezeichnend genug wiederum mit dem Rückhalt
eines stark entwickelten Provinzialgeistes. Aber auch in diese Burg ist mit
Erfolg Bresche gelegt, und die sogenannte reine Demokratie mehr und mehr in
die Enge gedrängt. Es läßt sich heute als Thatsache constatiren, daß die¬
jenigen Elemente der Demokratie, welche alter Tradition getreu es vorziehen,
den Großdeutschen die Hände zureichen, als mit den andern liberalen Parteien
zu nationalen Zwecken zusammenzuwirken, Nachzügler einer vergangenen Zeit
sind, die höchstens da, wo sie durch locale Verhältnisse unterstützt sind, sich noch
einigen Einfluß gewahrt haben.

Ein Umstand war es noch besonders, der die gemäßigten Elemente der
Demokratie für eine Annäherung an die Bundesstaatspartei gewann. Die Demo¬
kratie hatte, als sie noch als Partei auf der öffentlichen Bühne war, einen instinc-
tiven Haß gegen den preußischen Staat gehabt. Schon seine straffe concentrirte
Haltung widerstrebte ihrer auf unbedingte Freiheit gerichteten und darum centri-
fugalen Tendenz; provinzielle Stimmungen verstärkten diese Abneigung; zudem
hatte die Niederwerfung der Revolution im Jahr 1849 durch Preußen Wunden
geschlagen, die lange offen blieben. Heute stehen die Sachen anders. Nicht
nur sind diese Wunden vernarbt, nicht nur hat sich das Bedürfniß einer straf¬
feren Concentration der deutschen Kräfte in den letzten Jahren, welche die Lage
Deutschlands im Fall einer kriegerischen Verwickelung so grell beleuchteten,
auch in den Reihen der gemäßigten Demokratie fühlbar gemacht, sondern
es war vor Allem die Veränderung, die sich im preußischen Parteiwesen selbst
vollzog, deren Eindruck den vorhandenen Antipathien erfolgreich entgegenwirkte.
Mag man vom Standpunkte der preußischen Versassungskrisis aus die Nildung
der deutschen Fortschrittspartei bedauern, obwohl sie auch in dieser Beziehung
nur eine natürliche Consequenz der Thatsache war, so darf man doch nicht
vergessen, daß damit in Preußen ein Element in den Vordergrund trat, das
die liberalen Parteien in Deutschland sympathisch berührte, und dessen moralische
Eroberungen bedeutender ins Gewicht fielen als die des Ministeriums Schwerin.
Die zunehmende Reaction, mit welcher der Widerstand und die moralische Kraft der
Fortschrittspartei — als der großen Mehrheit des Abgeordnetenhauses — wuchs,
trug nur dazu bei, diese Wirkung zu verstärken. Man lernte im anßerprcußischen
Deutschland schärfer unterscheiden zwischen der Neactionspartei, die augenblicklich am
Ruder war, und dem preußischen Volk, das durch seine gesetzlichen Vertreter einen
energischen Kampf um seine verfassungsmäßigen Freiheiten führte, dessen schließ-
licher Erfolg ebensowenig zweifelhaft sein konnte als die Bedeutung desselben für
die deutschen Geschicke. Nicht umsonst hatte jene neugebildete Partei den Namen
deutsche Fortschrittspartei angenommen und in ihrem Programm die deutsche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/14>, abgerufen am 27.09.2024.