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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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auf, Treppe ad, es gab Rapporte und Befehle ohne Zahl, Ohrfeigen und
Kantschustreiche unter endlosem Jammergeschrei; da zum Fenster hinaus Flüche
und Drohungen, dort den Angriff einer Husareneskorte aus die das Haus um¬
drängende neugierige Judenschaar und zuletzt endlich nach vierstündigen Warten ein
allgemeines Aufsitzen, Säbelgeklirr und Trompetengeschmetter und Trommelschlag.
Das galt dem Feldmarschall selbst: der diesmal in voller Gala war, nämlich
in einem Bauernschafpelze, darüber einen kleinen Degen geschnallt und um den
Kopf ein schmutziges Tuch turbanartig gebunden. Ein handfester Kerl hob
ihn auf, als fasse er einen Hasersack, und setzte ihn auf einen Leiterwagen von
dem Aussehen eines Armcnsündcrkarrens, der schon längst bereit stand. Daraus
ging es sofort in einem Jagen durch Dick und Dünn vier Meilen weit nach
Nowomiasto, wo Benningsens Hauptquartier war.

Von dem Karren gehoben, wie er hinauf gehoben worden war, eilte der
Feldmarschall in die kleine Stube, wo die ganze Generalität des Armeecorps
versammelt war. Gleich beim Eintreten fuhr er auf den General Bartlay de
Tolly los und überschüttete ihn mit den gröbsten Flüchen. Höflicher war er
gegen den General Benningsen, doch mußte auch dieser von ihm "den deutschen
Vielwisser" anhören. Immer aber war der Refrain seiner polternden Rede:
"der Russe wolle vorwärts". Einreden duldete er nicht, sondern befahl, sich
in einer Stunde zum Kriegsrath zu versammeln. Die Stunde verging aber
und mit ihr die ganze Nacht. Als die ersten Sonnenstrahlen durch das trübe
Fenster in die Stube sielen, beschienen sie eine zahlreiche Versammlung von
Generälen, die immer noch auf das Erscheinen des Oberbefehlshabers und den
Beginn des Kriegsrathes warteten. Wohl hatten sie Ursache zu den langen Ge¬
sichtern, die sie machten, denn schon standen die Vortruppen im nachtheiligen
Gefecht gegen den übermächtig andringenden Feind, und keine von den zahlreich
eintreffenden Meldungen konnte an den Feldmarschall gelangen; denn er schlief
noch und durfte nicht gestört werden. Gleich darauf ließ sich aus dem ansto¬
ßenden Schlafgemach lauter Lärm vernehmen. Prügel klatschten, Tische stürzten
um und Stühle zerbrachen. Deutlich hörte man, wie zwei Personen, von
denen eine der Feldmarschall war, sich mit einander balgten und sich Flüche an
den Kops warfen. Bald darauf erschien derselbe handfeste Kerl in der Thür,
der den Tag vorher den Feldmarschall auf den Karren gehoben hatte, und
kündigte verdrießlich, aber mit gelassener Stimme den Versammelten an, daß
der Graf aufgestanden und angekleidet sei. Gleichzeitig fuhr der Karren wieder
vor der Hausthüre vor, der Feldmarschall ging eilenden Schritts ohne den, die
Eröffnung des Kriegsraths erwartenden Generälen einen Blick zu schenken, durch
das Zimmer, ließ sich wieder auf den Karren heben und dann ging es aber¬
mals über Stock und Stein von dannen.-

Das Ziel der Hetze war diesmal Nasielsk, wo das Gros der ostermann


auf, Treppe ad, es gab Rapporte und Befehle ohne Zahl, Ohrfeigen und
Kantschustreiche unter endlosem Jammergeschrei; da zum Fenster hinaus Flüche
und Drohungen, dort den Angriff einer Husareneskorte aus die das Haus um¬
drängende neugierige Judenschaar und zuletzt endlich nach vierstündigen Warten ein
allgemeines Aufsitzen, Säbelgeklirr und Trompetengeschmetter und Trommelschlag.
Das galt dem Feldmarschall selbst: der diesmal in voller Gala war, nämlich
in einem Bauernschafpelze, darüber einen kleinen Degen geschnallt und um den
Kopf ein schmutziges Tuch turbanartig gebunden. Ein handfester Kerl hob
ihn auf, als fasse er einen Hasersack, und setzte ihn auf einen Leiterwagen von
dem Aussehen eines Armcnsündcrkarrens, der schon längst bereit stand. Daraus
ging es sofort in einem Jagen durch Dick und Dünn vier Meilen weit nach
Nowomiasto, wo Benningsens Hauptquartier war.

Von dem Karren gehoben, wie er hinauf gehoben worden war, eilte der
Feldmarschall in die kleine Stube, wo die ganze Generalität des Armeecorps
versammelt war. Gleich beim Eintreten fuhr er auf den General Bartlay de
Tolly los und überschüttete ihn mit den gröbsten Flüchen. Höflicher war er
gegen den General Benningsen, doch mußte auch dieser von ihm „den deutschen
Vielwisser" anhören. Immer aber war der Refrain seiner polternden Rede:
„der Russe wolle vorwärts". Einreden duldete er nicht, sondern befahl, sich
in einer Stunde zum Kriegsrath zu versammeln. Die Stunde verging aber
und mit ihr die ganze Nacht. Als die ersten Sonnenstrahlen durch das trübe
Fenster in die Stube sielen, beschienen sie eine zahlreiche Versammlung von
Generälen, die immer noch auf das Erscheinen des Oberbefehlshabers und den
Beginn des Kriegsrathes warteten. Wohl hatten sie Ursache zu den langen Ge¬
sichtern, die sie machten, denn schon standen die Vortruppen im nachtheiligen
Gefecht gegen den übermächtig andringenden Feind, und keine von den zahlreich
eintreffenden Meldungen konnte an den Feldmarschall gelangen; denn er schlief
noch und durfte nicht gestört werden. Gleich darauf ließ sich aus dem ansto¬
ßenden Schlafgemach lauter Lärm vernehmen. Prügel klatschten, Tische stürzten
um und Stühle zerbrachen. Deutlich hörte man, wie zwei Personen, von
denen eine der Feldmarschall war, sich mit einander balgten und sich Flüche an
den Kops warfen. Bald darauf erschien derselbe handfeste Kerl in der Thür,
der den Tag vorher den Feldmarschall auf den Karren gehoben hatte, und
kündigte verdrießlich, aber mit gelassener Stimme den Versammelten an, daß
der Graf aufgestanden und angekleidet sei. Gleichzeitig fuhr der Karren wieder
vor der Hausthüre vor, der Feldmarschall ging eilenden Schritts ohne den, die
Eröffnung des Kriegsraths erwartenden Generälen einen Blick zu schenken, durch
das Zimmer, ließ sich wieder auf den Karren heben und dann ging es aber¬
mals über Stock und Stein von dannen.-

Das Ziel der Hetze war diesmal Nasielsk, wo das Gros der ostermann


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[0134] auf, Treppe ad, es gab Rapporte und Befehle ohne Zahl, Ohrfeigen und Kantschustreiche unter endlosem Jammergeschrei; da zum Fenster hinaus Flüche und Drohungen, dort den Angriff einer Husareneskorte aus die das Haus um¬ drängende neugierige Judenschaar und zuletzt endlich nach vierstündigen Warten ein allgemeines Aufsitzen, Säbelgeklirr und Trompetengeschmetter und Trommelschlag. Das galt dem Feldmarschall selbst: der diesmal in voller Gala war, nämlich in einem Bauernschafpelze, darüber einen kleinen Degen geschnallt und um den Kopf ein schmutziges Tuch turbanartig gebunden. Ein handfester Kerl hob ihn auf, als fasse er einen Hasersack, und setzte ihn auf einen Leiterwagen von dem Aussehen eines Armcnsündcrkarrens, der schon längst bereit stand. Daraus ging es sofort in einem Jagen durch Dick und Dünn vier Meilen weit nach Nowomiasto, wo Benningsens Hauptquartier war. Von dem Karren gehoben, wie er hinauf gehoben worden war, eilte der Feldmarschall in die kleine Stube, wo die ganze Generalität des Armeecorps versammelt war. Gleich beim Eintreten fuhr er auf den General Bartlay de Tolly los und überschüttete ihn mit den gröbsten Flüchen. Höflicher war er gegen den General Benningsen, doch mußte auch dieser von ihm „den deutschen Vielwisser" anhören. Immer aber war der Refrain seiner polternden Rede: „der Russe wolle vorwärts". Einreden duldete er nicht, sondern befahl, sich in einer Stunde zum Kriegsrath zu versammeln. Die Stunde verging aber und mit ihr die ganze Nacht. Als die ersten Sonnenstrahlen durch das trübe Fenster in die Stube sielen, beschienen sie eine zahlreiche Versammlung von Generälen, die immer noch auf das Erscheinen des Oberbefehlshabers und den Beginn des Kriegsrathes warteten. Wohl hatten sie Ursache zu den langen Ge¬ sichtern, die sie machten, denn schon standen die Vortruppen im nachtheiligen Gefecht gegen den übermächtig andringenden Feind, und keine von den zahlreich eintreffenden Meldungen konnte an den Feldmarschall gelangen; denn er schlief noch und durfte nicht gestört werden. Gleich darauf ließ sich aus dem ansto¬ ßenden Schlafgemach lauter Lärm vernehmen. Prügel klatschten, Tische stürzten um und Stühle zerbrachen. Deutlich hörte man, wie zwei Personen, von denen eine der Feldmarschall war, sich mit einander balgten und sich Flüche an den Kops warfen. Bald darauf erschien derselbe handfeste Kerl in der Thür, der den Tag vorher den Feldmarschall auf den Karren gehoben hatte, und kündigte verdrießlich, aber mit gelassener Stimme den Versammelten an, daß der Graf aufgestanden und angekleidet sei. Gleichzeitig fuhr der Karren wieder vor der Hausthüre vor, der Feldmarschall ging eilenden Schritts ohne den, die Eröffnung des Kriegsraths erwartenden Generälen einen Blick zu schenken, durch das Zimmer, ließ sich wieder auf den Karren heben und dann ging es aber¬ mals über Stock und Stein von dannen.- Das Ziel der Hetze war diesmal Nasielsk, wo das Gros der ostermann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/134>, abgerufen am 27.09.2024.