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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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zu haben, mir einen russischen Rapport des Grafen Peter Pachter mit den
Worten überreichte: "Lesen Sie!" --Als dies geschehen war, rief er: "Bravo!"
erklärte, daß er meine Sprachkenntniß habe prüfen wollen, und siel mir dann
um den Hals. Des Küssens wollte es kein Ende nehmen, so wie der sich ver¬
mischenden und wiederholenden Ausrufe: "Prinz Würtembcrgsty! -- Oonsin
lie La UH<zst6 I/ompereur! -- ?1emvnwoK Nllli-i ?eoäorovv"! (Neffe
Maria Feodorownas) -- ^.Iwssö SÄmiissimo! -- Junges Blut! Nolvcli---
(Wackerer Bursche) ?ac1i (komm her!) -- Als er mich wieder los ließ,
schrie er aus Leibeskräften, bis sich das Zimmer mit seinen Satelliten füllte,
die er ausschalt, wie ich es noch nie hörte, und die gröbsten, ja selbst gemein-
sten Flüche ausstieß.

Am anderen Tage hätte ich im Fieberparoxismus keine ärgeren Phantasien
haben können, als den Anblick des Feldmarschalls vor meinem Bette an der
Spitze seines Gefolges, zu dem die nachherigen Generale Fürst Trubezkoy,
Lewaschoff, Benkendorf und der Graf Tolstoy gehörten. -- Er selbst trug einen
weiten grünen Spenzer, der ihm über die Hüften herabhing, oben mit einem
Shawl zusammengebunden; darüber hing ein breites, hellblaues Band des
Andreasordens. Seine einzige Waffe bestand aus einem Kantschu, den er
possierlich schwang, als er an mich herantrat und sprach: "Solch ein Kalbaß-
nik (Wurstmacher: spottweise Benennung der Deutschen, die in Nußland zuerst
diesen Leckerbissen eingeführt haben sollen) ist der Benningsen, daß er nicht einmal
einen einzigen gescheidten Arzt in seinem Corps hat, der mir den Prinzen
curiren kann. Man hole mir einmal gleich einen solchen Firlefax her, und
weiß Gott! ich degradire ihn zum Soldaten, wenn mir der Prinz nicht morgen
besser ist." Ich erwiderte, es sei nicht vonnöthen, morgen wäre mein sieberfreier
Tag, und eine gute Dosis China würde schon das Uebrige thun.

"Was China!" -- siel mir Kamensty ins Wort -- "hier muß radical
curirt werden. Hol der Henker all die fremden Hähne, die man bei uns auf¬
nimmt, und die Alles besser wissen wollen! Das krähet und brüstet sich, und
unsere alten Urahnen drehen sich dabei im Grade herum. Da gibts Recepte
und Consultationen, schade um Worte und Papier." Alles das hätte noch
als Nachäfferei Suwarows gelten können, der seine geistige Bedeutung hinter
derartigen Absonderlichkeiten und Scurrilitäten maskirte -- eine Nachäfferei, die
damals in der russischen Armee sehr Mode war; aber des anderen Tags kam
es schlimmer.

Am frühen Morgen des 23. December verfügte sich der Prinz nach dem
Hauptquartier des Feldmarschalls, um sich dessen Gefolge anzuschließen. Es
wimmelte dort von Adjutanten und Ordonnanzen, die aber stundenlang harren
mußten, ehe der Oberbefehlshaber erschien. Wirres Treiben und wilder Lärm
herrschte unterdessen im Hause und in dessen Umgebung. Es ging Treppe


Grenzboten II. 1863. 17

zu haben, mir einen russischen Rapport des Grafen Peter Pachter mit den
Worten überreichte: „Lesen Sie!" —Als dies geschehen war, rief er: „Bravo!"
erklärte, daß er meine Sprachkenntniß habe prüfen wollen, und siel mir dann
um den Hals. Des Küssens wollte es kein Ende nehmen, so wie der sich ver¬
mischenden und wiederholenden Ausrufe: „Prinz Würtembcrgsty! — Oonsin
lie La UH<zst6 I/ompereur! — ?1emvnwoK Nllli-i ?eoäorovv»! (Neffe
Maria Feodorownas) — ^.Iwssö SÄmiissimo! — Junges Blut! Nolvcli-—
(Wackerer Bursche) ?ac1i (komm her!) — Als er mich wieder los ließ,
schrie er aus Leibeskräften, bis sich das Zimmer mit seinen Satelliten füllte,
die er ausschalt, wie ich es noch nie hörte, und die gröbsten, ja selbst gemein-
sten Flüche ausstieß.

Am anderen Tage hätte ich im Fieberparoxismus keine ärgeren Phantasien
haben können, als den Anblick des Feldmarschalls vor meinem Bette an der
Spitze seines Gefolges, zu dem die nachherigen Generale Fürst Trubezkoy,
Lewaschoff, Benkendorf und der Graf Tolstoy gehörten. — Er selbst trug einen
weiten grünen Spenzer, der ihm über die Hüften herabhing, oben mit einem
Shawl zusammengebunden; darüber hing ein breites, hellblaues Band des
Andreasordens. Seine einzige Waffe bestand aus einem Kantschu, den er
possierlich schwang, als er an mich herantrat und sprach: „Solch ein Kalbaß-
nik (Wurstmacher: spottweise Benennung der Deutschen, die in Nußland zuerst
diesen Leckerbissen eingeführt haben sollen) ist der Benningsen, daß er nicht einmal
einen einzigen gescheidten Arzt in seinem Corps hat, der mir den Prinzen
curiren kann. Man hole mir einmal gleich einen solchen Firlefax her, und
weiß Gott! ich degradire ihn zum Soldaten, wenn mir der Prinz nicht morgen
besser ist." Ich erwiderte, es sei nicht vonnöthen, morgen wäre mein sieberfreier
Tag, und eine gute Dosis China würde schon das Uebrige thun.

„Was China!" — siel mir Kamensty ins Wort — „hier muß radical
curirt werden. Hol der Henker all die fremden Hähne, die man bei uns auf¬
nimmt, und die Alles besser wissen wollen! Das krähet und brüstet sich, und
unsere alten Urahnen drehen sich dabei im Grade herum. Da gibts Recepte
und Consultationen, schade um Worte und Papier." Alles das hätte noch
als Nachäfferei Suwarows gelten können, der seine geistige Bedeutung hinter
derartigen Absonderlichkeiten und Scurrilitäten maskirte — eine Nachäfferei, die
damals in der russischen Armee sehr Mode war; aber des anderen Tags kam
es schlimmer.

Am frühen Morgen des 23. December verfügte sich der Prinz nach dem
Hauptquartier des Feldmarschalls, um sich dessen Gefolge anzuschließen. Es
wimmelte dort von Adjutanten und Ordonnanzen, die aber stundenlang harren
mußten, ehe der Oberbefehlshaber erschien. Wirres Treiben und wilder Lärm
herrschte unterdessen im Hause und in dessen Umgebung. Es ging Treppe


Grenzboten II. 1863. 17
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[0133] zu haben, mir einen russischen Rapport des Grafen Peter Pachter mit den Worten überreichte: „Lesen Sie!" —Als dies geschehen war, rief er: „Bravo!" erklärte, daß er meine Sprachkenntniß habe prüfen wollen, und siel mir dann um den Hals. Des Küssens wollte es kein Ende nehmen, so wie der sich ver¬ mischenden und wiederholenden Ausrufe: „Prinz Würtembcrgsty! — Oonsin lie La UH<zst6 I/ompereur! — ?1emvnwoK Nllli-i ?eoäorovv»! (Neffe Maria Feodorownas) — ^.Iwssö SÄmiissimo! — Junges Blut! Nolvcli-— (Wackerer Bursche) ?ac1i (komm her!) — Als er mich wieder los ließ, schrie er aus Leibeskräften, bis sich das Zimmer mit seinen Satelliten füllte, die er ausschalt, wie ich es noch nie hörte, und die gröbsten, ja selbst gemein- sten Flüche ausstieß. Am anderen Tage hätte ich im Fieberparoxismus keine ärgeren Phantasien haben können, als den Anblick des Feldmarschalls vor meinem Bette an der Spitze seines Gefolges, zu dem die nachherigen Generale Fürst Trubezkoy, Lewaschoff, Benkendorf und der Graf Tolstoy gehörten. — Er selbst trug einen weiten grünen Spenzer, der ihm über die Hüften herabhing, oben mit einem Shawl zusammengebunden; darüber hing ein breites, hellblaues Band des Andreasordens. Seine einzige Waffe bestand aus einem Kantschu, den er possierlich schwang, als er an mich herantrat und sprach: „Solch ein Kalbaß- nik (Wurstmacher: spottweise Benennung der Deutschen, die in Nußland zuerst diesen Leckerbissen eingeführt haben sollen) ist der Benningsen, daß er nicht einmal einen einzigen gescheidten Arzt in seinem Corps hat, der mir den Prinzen curiren kann. Man hole mir einmal gleich einen solchen Firlefax her, und weiß Gott! ich degradire ihn zum Soldaten, wenn mir der Prinz nicht morgen besser ist." Ich erwiderte, es sei nicht vonnöthen, morgen wäre mein sieberfreier Tag, und eine gute Dosis China würde schon das Uebrige thun. „Was China!" — siel mir Kamensty ins Wort — „hier muß radical curirt werden. Hol der Henker all die fremden Hähne, die man bei uns auf¬ nimmt, und die Alles besser wissen wollen! Das krähet und brüstet sich, und unsere alten Urahnen drehen sich dabei im Grade herum. Da gibts Recepte und Consultationen, schade um Worte und Papier." Alles das hätte noch als Nachäfferei Suwarows gelten können, der seine geistige Bedeutung hinter derartigen Absonderlichkeiten und Scurrilitäten maskirte — eine Nachäfferei, die damals in der russischen Armee sehr Mode war; aber des anderen Tags kam es schlimmer. Am frühen Morgen des 23. December verfügte sich der Prinz nach dem Hauptquartier des Feldmarschalls, um sich dessen Gefolge anzuschließen. Es wimmelte dort von Adjutanten und Ordonnanzen, die aber stundenlang harren mußten, ehe der Oberbefehlshaber erschien. Wirres Treiben und wilder Lärm herrschte unterdessen im Hause und in dessen Umgebung. Es ging Treppe Grenzboten II. 1863. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/133>, abgerufen am 20.10.2024.