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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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indem sie nicht selten an Leute gegeben werden, welche das bezügliche Buch gar
nicht gelesen, geschweige denn studirt haben.

Die Zahl der Professoren an der "Blühendsten" beträgt gegenwärtig etwa
zwanzig. Darunter genießen eines besonderen Rufes der Schech El Muballal.
der Schech Ibrahim Es salta und der Schech Mohammed Ed Damanhuri. welcher
letztere Verfasser eines Tractats über Verslehre ist. Viele der Herren tragen nach
ihren eigenen Werken vor, die jedoch größtentheils nur mittelmäßige Compendien
sind. Eine Zeit der Commentare und Glossare ist immer eine an Productions-
kraft arme, und nirgends seit den Tagen der Alexandriner und der Abfassung des
Talmud gab sich der Verfall wahrer Wissenschaft in einem großem Ueberfluß an
Compendien und Glossarien kund als in der heutigen mohammedanischen Welt.

Die Stelle eines Rector Magnificus (Schech El Azhar) ist jetzt unbesetzt,
indem der letzte Inhaber derselben, Schech Molmmmed El Baguri vor einigen
Jahren -- beiläufig im Geruch der Heiligkeit -- starb, und ein Nachfolger
bis jetzt noch nicht ernannt worden ist.

Noch mag erwähnt werden, daß an der großen Moschee El Azhar alle
vier orthodoxen Sekten des Islam <die Hanifiten. Mautner. Hambalitcn und
Schafseitcn, nach gewissen Neligionslehrern benannt, die bei den Sunniten etwa
das Ansehen genießen, wie in der katholischen Kirche der Pater Seraphicus.
der Pater Profundus und der Pater Ecstaticus. deren Lehren sich aber nur in
Äußerlichkeiten unterscheiden) ihre besondern Vorbeter oder Jmcnne haben, so¬
wie auch für jede derselben eine besondere Gebetsnische vorhanden ist. Endlich
muß der Vollständigkeit halber hinzugefügt werden, daß außer der "Blühenden"
noch in einigen andern Moscheen Vorlesungen stattfinden, indem in der Gaule
Sejidch Zenab alle Freitage über Tradition und in der Gaule El 'Arjan über
denselben Gegenstand Vorlesungen stattfinden, welche in der letztern Moschee
Von dem berühmten Schech El 'Arusi zu Ehren seines hier begrabenen und als
Heiliger geehrten Großvaters gehalten werden.

Wie mit der Wissenschaft und ihrer Literatur verhält sich" auch mit der
Poesie. Es mangelt in Kairo nicht an Poeten, aber ihre Dichtungen sind
ungefähr von dem Werthe, den für uns die Leistungen Hoffmannswaldaus und
seiner Schule haben. Ueber Sprachtunstelei, Wortgeklingel, gesuchten Reimen
wird meist vergessen, daß ein Gedicht auch Gehalt haben muß. Dies war schon
frühern Jahrhunderten häusig außer Acht gelassen worden, aber die Poesien
der Gegenwart übertreffen die älteren noch um Vieles an Kraftlosigkeit des
Ausdrucks. Fülle von Gemeinplätzen, Suchen nach seltenen Wörtern und Gedcmken-
cn'aueh. Ein Beispiel ist der Schech Mohammed Schihab Eddin, der sich in
den letzten Jahrzehnten in Aegypten des größten Rufs erfreute und im Jahre
^868 starb. Er war erst Redacteur der arabischen Staatszeitung in Kairo,
dann Obercorrector der Druckerei der Negierung in Bulak, und hat eine ziem-


indem sie nicht selten an Leute gegeben werden, welche das bezügliche Buch gar
nicht gelesen, geschweige denn studirt haben.

Die Zahl der Professoren an der „Blühendsten" beträgt gegenwärtig etwa
zwanzig. Darunter genießen eines besonderen Rufes der Schech El Muballal.
der Schech Ibrahim Es salta und der Schech Mohammed Ed Damanhuri. welcher
letztere Verfasser eines Tractats über Verslehre ist. Viele der Herren tragen nach
ihren eigenen Werken vor, die jedoch größtentheils nur mittelmäßige Compendien
sind. Eine Zeit der Commentare und Glossare ist immer eine an Productions-
kraft arme, und nirgends seit den Tagen der Alexandriner und der Abfassung des
Talmud gab sich der Verfall wahrer Wissenschaft in einem großem Ueberfluß an
Compendien und Glossarien kund als in der heutigen mohammedanischen Welt.

Die Stelle eines Rector Magnificus (Schech El Azhar) ist jetzt unbesetzt,
indem der letzte Inhaber derselben, Schech Molmmmed El Baguri vor einigen
Jahren — beiläufig im Geruch der Heiligkeit — starb, und ein Nachfolger
bis jetzt noch nicht ernannt worden ist.

Noch mag erwähnt werden, daß an der großen Moschee El Azhar alle
vier orthodoxen Sekten des Islam <die Hanifiten. Mautner. Hambalitcn und
Schafseitcn, nach gewissen Neligionslehrern benannt, die bei den Sunniten etwa
das Ansehen genießen, wie in der katholischen Kirche der Pater Seraphicus.
der Pater Profundus und der Pater Ecstaticus. deren Lehren sich aber nur in
Äußerlichkeiten unterscheiden) ihre besondern Vorbeter oder Jmcnne haben, so¬
wie auch für jede derselben eine besondere Gebetsnische vorhanden ist. Endlich
muß der Vollständigkeit halber hinzugefügt werden, daß außer der „Blühenden"
noch in einigen andern Moscheen Vorlesungen stattfinden, indem in der Gaule
Sejidch Zenab alle Freitage über Tradition und in der Gaule El 'Arjan über
denselben Gegenstand Vorlesungen stattfinden, welche in der letztern Moschee
Von dem berühmten Schech El 'Arusi zu Ehren seines hier begrabenen und als
Heiliger geehrten Großvaters gehalten werden.

Wie mit der Wissenschaft und ihrer Literatur verhält sich« auch mit der
Poesie. Es mangelt in Kairo nicht an Poeten, aber ihre Dichtungen sind
ungefähr von dem Werthe, den für uns die Leistungen Hoffmannswaldaus und
seiner Schule haben. Ueber Sprachtunstelei, Wortgeklingel, gesuchten Reimen
wird meist vergessen, daß ein Gedicht auch Gehalt haben muß. Dies war schon
frühern Jahrhunderten häusig außer Acht gelassen worden, aber die Poesien
der Gegenwart übertreffen die älteren noch um Vieles an Kraftlosigkeit des
Ausdrucks. Fülle von Gemeinplätzen, Suchen nach seltenen Wörtern und Gedcmken-
cn'aueh. Ein Beispiel ist der Schech Mohammed Schihab Eddin, der sich in
den letzten Jahrzehnten in Aegypten des größten Rufs erfreute und im Jahre
^868 starb. Er war erst Redacteur der arabischen Staatszeitung in Kairo,
dann Obercorrector der Druckerei der Negierung in Bulak, und hat eine ziem-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/121>, abgerufen am 27.09.2024.