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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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jedes Volk thut, dessen gesunde Kraft noch nicht von dein Alexcmdrinismus ge¬
lehrter Reflexion überwuchert ist. Die Klage des Johannes und der Maria
unter dem Kreuze schließt sich vollständig 'an die bereits veröffentlichten be¬
rühmten "Marienklagen" an und ist nur eine Variante derselben. Vielleicht
ist die alte "Marientlage" der Kern, um welchen nach und nach die andern
Theile des Passion anschössen, sie weist in den verschiedenen bis jetzt veröffent¬
lichten Stücken mit der größten Uebereinstimmung auf einen Urtext zurück. Die
"sieben Worte" singt Christus am Kreuze in lateinischer Sprache, dann wieder¬
holt er sie in gewöhnlicher Rede auf deutsch. Nachdem er verschieden, erbittet
Joseph Arimathias von Pilatus den Leichnam, nimmt ihn vom Kreuze ab und
legt ihn unter Beihilfe des Nicodemus in das Felsengrab. Dann kommt ein
Bote des Synedrium von Damaskus und macht die Juden aufmerksam, daß
Christus sich vermessen habe, nach drei Tagen mit eigener Kraft aus dem Grabe
zu erstehen. Sie sollten daher zu Pilatus gehen und von diesem eine Wache
erbitten. Nun tritt wieder der Präcursvr auf und erinnert in einem kurzen
Rückblicke an das Gcschehne:


Ein jeder Mensch das in sein Herz faß,
Billig sollen ihm die Augen werden naß.

Am heiligen Ostertage wurde zum Schluß die dritte Abtheilung des Dramas
aufgeführt, welche der Präcursor in ganz ähnlicher Weise wie die erste und zweite
mit einer Rede einleitete. Die Juden, beunruhigt durch die Nachricht aus
Damaskus, halten Rath und fordern schließlich von Pilatus eine Wache- dieser
läßt ihnen die Auswahl unter seinen Rittern und Soldaten. Kaiphas gibt
ihnen Geld, doch ist viel schlechte und falsche Münze darunter, worüber dann
Streit entsteht; eine Scene, die im Sterzinger Passion fast mit den gleichen Worten
bei dem Verrathe des Judas verwendet wurde. Schließlich gehen die Soldaten
singend an das Grab, und renommiren hier noch mit plumpen Reden, bis jeder
seinen Platz eingenommen. Dann erscheint der "^ngslus pereutisriL" und singt:


liöLecütö, reosäits inüäeles!
Schweigt ihr Ritter und laßt cur Schallen sein,
Süß schlaft Jesus der Herrn mein,
Der von dem Tod aufsteh'n solt,
Laßt ihn schlafen, bis er gerastet wol.

Die Ritter springen erschrocken auf, wenden sich aber dann zur Weinflasche
und schlafen endlich ein. Das Stück hat von jetzt ab einen fast opernhaftcn
Charakter, der lateinische .Nirchengesang beherrscht das Gespräch und verleiht
dem Ganzen Schwung und Feierlichkeit. Die Wirkung muß jedenfalls groß
gewesen sein. Wir geben ein längeres Bruchstück.
'

Oeincle iterum vorn imßvlu" perentionlz e-uMus se inksr <zg.ntMäc) per-
eutit milites Meentes ar>u<1 ^ruten'um. ^ngelus varie:
'

loi-i-g. trvmuit et quievit,, 6um resurgerot in Mlieio aeus. ^Ilclujg.!
vöinäe cluo lmgeli vvnümt "tAntes nun8 na pczclöL se -Alfr a,et <:s.put ciruöntcz":

l^xsurgs, sjuu,rs obctoi'mis, clomino exsurgs.

^.nZelus sseuncluL allen:

Warum schläfst du Kaiser des Firmament,

Steh auf, alles Leiden hat ein End,

Das ist der Will des Vaters dein.

Du sollst hinfür unleidlich sein.

Es ist vollbracht die heilige Schrift,

Du hast vertrieben der Sünde Gift

Und hast aus deiner Barmherzigkeit

Gewalt erworben der Menschheit
'

Gottes erwählte Tun zu werden,

Die recht thun hie auf Erden.


jedes Volk thut, dessen gesunde Kraft noch nicht von dein Alexcmdrinismus ge¬
lehrter Reflexion überwuchert ist. Die Klage des Johannes und der Maria
unter dem Kreuze schließt sich vollständig 'an die bereits veröffentlichten be¬
rühmten „Marienklagen" an und ist nur eine Variante derselben. Vielleicht
ist die alte „Marientlage" der Kern, um welchen nach und nach die andern
Theile des Passion anschössen, sie weist in den verschiedenen bis jetzt veröffent¬
lichten Stücken mit der größten Uebereinstimmung auf einen Urtext zurück. Die
„sieben Worte" singt Christus am Kreuze in lateinischer Sprache, dann wieder¬
holt er sie in gewöhnlicher Rede auf deutsch. Nachdem er verschieden, erbittet
Joseph Arimathias von Pilatus den Leichnam, nimmt ihn vom Kreuze ab und
legt ihn unter Beihilfe des Nicodemus in das Felsengrab. Dann kommt ein
Bote des Synedrium von Damaskus und macht die Juden aufmerksam, daß
Christus sich vermessen habe, nach drei Tagen mit eigener Kraft aus dem Grabe
zu erstehen. Sie sollten daher zu Pilatus gehen und von diesem eine Wache
erbitten. Nun tritt wieder der Präcursvr auf und erinnert in einem kurzen
Rückblicke an das Gcschehne:


Ein jeder Mensch das in sein Herz faß,
Billig sollen ihm die Augen werden naß.

Am heiligen Ostertage wurde zum Schluß die dritte Abtheilung des Dramas
aufgeführt, welche der Präcursor in ganz ähnlicher Weise wie die erste und zweite
mit einer Rede einleitete. Die Juden, beunruhigt durch die Nachricht aus
Damaskus, halten Rath und fordern schließlich von Pilatus eine Wache- dieser
läßt ihnen die Auswahl unter seinen Rittern und Soldaten. Kaiphas gibt
ihnen Geld, doch ist viel schlechte und falsche Münze darunter, worüber dann
Streit entsteht; eine Scene, die im Sterzinger Passion fast mit den gleichen Worten
bei dem Verrathe des Judas verwendet wurde. Schließlich gehen die Soldaten
singend an das Grab, und renommiren hier noch mit plumpen Reden, bis jeder
seinen Platz eingenommen. Dann erscheint der „^ngslus pereutisriL" und singt:


liöLecütö, reosäits inüäeles!
Schweigt ihr Ritter und laßt cur Schallen sein,
Süß schlaft Jesus der Herrn mein,
Der von dem Tod aufsteh'n solt,
Laßt ihn schlafen, bis er gerastet wol.

Die Ritter springen erschrocken auf, wenden sich aber dann zur Weinflasche
und schlafen endlich ein. Das Stück hat von jetzt ab einen fast opernhaftcn
Charakter, der lateinische .Nirchengesang beherrscht das Gespräch und verleiht
dem Ganzen Schwung und Feierlichkeit. Die Wirkung muß jedenfalls groß
gewesen sein. Wir geben ein längeres Bruchstück.
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Oeincle iterum vorn imßvlu» perentionlz e-uMus se inksr <zg.ntMäc) per-
eutit milites Meentes ar>u<1 ^ruten'um. ^ngelus varie:
'

loi-i-g. trvmuit et quievit,, 6um resurgerot in Mlieio aeus. ^Ilclujg.!
vöinäe cluo lmgeli vvnümt «tAntes nun8 na pczclöL se -Alfr a,et <:s.put ciruöntcz»:

l^xsurgs, sjuu,rs obctoi'mis, clomino exsurgs.

^.nZelus sseuncluL allen:

Warum schläfst du Kaiser des Firmament,

Steh auf, alles Leiden hat ein End,

Das ist der Will des Vaters dein.

Du sollst hinfür unleidlich sein.

Es ist vollbracht die heilige Schrift,

Du hast vertrieben der Sünde Gift

Und hast aus deiner Barmherzigkeit

Gewalt erworben der Menschheit
'

Gottes erwählte Tun zu werden,

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[0084] jedes Volk thut, dessen gesunde Kraft noch nicht von dein Alexcmdrinismus ge¬ lehrter Reflexion überwuchert ist. Die Klage des Johannes und der Maria unter dem Kreuze schließt sich vollständig 'an die bereits veröffentlichten be¬ rühmten „Marienklagen" an und ist nur eine Variante derselben. Vielleicht ist die alte „Marientlage" der Kern, um welchen nach und nach die andern Theile des Passion anschössen, sie weist in den verschiedenen bis jetzt veröffent¬ lichten Stücken mit der größten Uebereinstimmung auf einen Urtext zurück. Die „sieben Worte" singt Christus am Kreuze in lateinischer Sprache, dann wieder¬ holt er sie in gewöhnlicher Rede auf deutsch. Nachdem er verschieden, erbittet Joseph Arimathias von Pilatus den Leichnam, nimmt ihn vom Kreuze ab und legt ihn unter Beihilfe des Nicodemus in das Felsengrab. Dann kommt ein Bote des Synedrium von Damaskus und macht die Juden aufmerksam, daß Christus sich vermessen habe, nach drei Tagen mit eigener Kraft aus dem Grabe zu erstehen. Sie sollten daher zu Pilatus gehen und von diesem eine Wache erbitten. Nun tritt wieder der Präcursvr auf und erinnert in einem kurzen Rückblicke an das Gcschehne: Ein jeder Mensch das in sein Herz faß, Billig sollen ihm die Augen werden naß. Am heiligen Ostertage wurde zum Schluß die dritte Abtheilung des Dramas aufgeführt, welche der Präcursor in ganz ähnlicher Weise wie die erste und zweite mit einer Rede einleitete. Die Juden, beunruhigt durch die Nachricht aus Damaskus, halten Rath und fordern schließlich von Pilatus eine Wache- dieser läßt ihnen die Auswahl unter seinen Rittern und Soldaten. Kaiphas gibt ihnen Geld, doch ist viel schlechte und falsche Münze darunter, worüber dann Streit entsteht; eine Scene, die im Sterzinger Passion fast mit den gleichen Worten bei dem Verrathe des Judas verwendet wurde. Schließlich gehen die Soldaten singend an das Grab, und renommiren hier noch mit plumpen Reden, bis jeder seinen Platz eingenommen. Dann erscheint der „^ngslus pereutisriL" und singt: liöLecütö, reosäits inüäeles! Schweigt ihr Ritter und laßt cur Schallen sein, Süß schlaft Jesus der Herrn mein, Der von dem Tod aufsteh'n solt, Laßt ihn schlafen, bis er gerastet wol. Die Ritter springen erschrocken auf, wenden sich aber dann zur Weinflasche und schlafen endlich ein. Das Stück hat von jetzt ab einen fast opernhaftcn Charakter, der lateinische .Nirchengesang beherrscht das Gespräch und verleiht dem Ganzen Schwung und Feierlichkeit. Die Wirkung muß jedenfalls groß gewesen sein. Wir geben ein längeres Bruchstück. ' Oeincle iterum vorn imßvlu» perentionlz e-uMus se inksr <zg.ntMäc) per- eutit milites Meentes ar>u<1 ^ruten'um. ^ngelus varie: ' loi-i-g. trvmuit et quievit,, 6um resurgerot in Mlieio aeus. ^Ilclujg.! vöinäe cluo lmgeli vvnümt «tAntes nun8 na pczclöL se -Alfr a,et <:s.put ciruöntcz»: l^xsurgs, sjuu,rs obctoi'mis, clomino exsurgs. ^.nZelus sseuncluL allen: Warum schläfst du Kaiser des Firmament, Steh auf, alles Leiden hat ein End, Das ist der Will des Vaters dein. Du sollst hinfür unleidlich sein. Es ist vollbracht die heilige Schrift, Du hast vertrieben der Sünde Gift Und hast aus deiner Barmherzigkeit Gewalt erworben der Menschheit ' Gottes erwählte Tun zu werden, Die recht thun hie auf Erden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/84>, abgerufen am 25.11.2024.