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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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ihn nicht pflücken können! laß mich doch auch einmal mein Glück versuchen,
vielleicht pflücke ich ihn." "Es haben es schon so viel geschickte Leute ver¬
sucht und konnten es nicht dahin bringen, und nun willst Du es zu Stande
bringen?" -- "Laß mich es doch einmal versuchen, thue mir den Gefallen!"
-- "Nun so geh in Gottes Namen!" sagte der König. Sowie sie zum Baume
kam, senkte sich der Apfel mehr und mehr, bis sie ihn erreichen konnte, und
als sie ihn gefaßt hatte, sagte er ihr leise- "Ziehe, bis Du mich gepflückt
hast." So pflückte sie ihn und steckte ihn in die Tasche und rief! "Lebe wohl,
mein süßer Schwiegervater! aber über die Hündin von Schwiegermutter möge
alles Unglück kommen!" Darauf ging sie fort und kam nicht wieder.


2. Das Mädchen im Krieg.

Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter und wurde eines Tages
aufgeboten, um in den Krieg zu ziehen. Da er aber schon alt und schwächlich
war, so betrübte ihn das sehr, und er saß Tage lang, um darüber nachzusinnen,
was er thun solle.

Da kam seine älteste Tochter zu ihm und fragte: "Was hast Du, Herr,
daß Du so traurig bist?"

"Das gebt Dich nichts an, packe Dich Deiner Wege!"

"Nein, Herr, ich muß es wissen, und gehe nicht eher von der Stelle!"

"Was soll ich Dir sagen, mein armes Mädchen? Man hat mich zum Kriege
aufgeboten, und ich bin zu alt, um anzuziehen."

"O weh! Ich glaubte, Du zerbrächst Dir den Kopf, wie Du mich endlich
unter die Haube bringen könntest," rief das Mädchen drollig und verließ den
Pater.

Drauf kam die zweite und sprach: "Was ist Dir, Väterchen, daß Du so
traurig bist?"

"Das geht Dich nichts an, packe Dich Deiner Wege!"

"Nein, nein! Du mußt es mir sagen, ich will es wissen!"

"Ich sage Dir's nicht, denn sonst antwortest Du mir wie die andere."

"Nein, das thue ich gewiß nicht!"

"Nun so höre, mein Kind! Man bietet mich auf zum Kriege, und ich bin
zu alt dazu und kann nicht mitgehen."

"O Unheil! ich glaubte. Du zerbrächst Dir den Kopf, wie Du mich unter
die Haube bringen könntest." rief das Mädchen und ging seiner Wege.

Drauf kam die jüngste und fragte: "Was ist Dir, Vater, daß Du so
traurig bist?"

"Das geht Dich nichts an, packe Dich Deiner Wege! Denn sonst ant¬
wortest Du mir wie die beiden andern."


ihn nicht pflücken können! laß mich doch auch einmal mein Glück versuchen,
vielleicht pflücke ich ihn." „Es haben es schon so viel geschickte Leute ver¬
sucht und konnten es nicht dahin bringen, und nun willst Du es zu Stande
bringen?" — „Laß mich es doch einmal versuchen, thue mir den Gefallen!"
— „Nun so geh in Gottes Namen!" sagte der König. Sowie sie zum Baume
kam, senkte sich der Apfel mehr und mehr, bis sie ihn erreichen konnte, und
als sie ihn gefaßt hatte, sagte er ihr leise- „Ziehe, bis Du mich gepflückt
hast." So pflückte sie ihn und steckte ihn in die Tasche und rief! „Lebe wohl,
mein süßer Schwiegervater! aber über die Hündin von Schwiegermutter möge
alles Unglück kommen!" Darauf ging sie fort und kam nicht wieder.


2. Das Mädchen im Krieg.

Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter und wurde eines Tages
aufgeboten, um in den Krieg zu ziehen. Da er aber schon alt und schwächlich
war, so betrübte ihn das sehr, und er saß Tage lang, um darüber nachzusinnen,
was er thun solle.

Da kam seine älteste Tochter zu ihm und fragte: „Was hast Du, Herr,
daß Du so traurig bist?"

„Das gebt Dich nichts an, packe Dich Deiner Wege!"

„Nein, Herr, ich muß es wissen, und gehe nicht eher von der Stelle!"

„Was soll ich Dir sagen, mein armes Mädchen? Man hat mich zum Kriege
aufgeboten, und ich bin zu alt, um anzuziehen."

„O weh! Ich glaubte, Du zerbrächst Dir den Kopf, wie Du mich endlich
unter die Haube bringen könntest," rief das Mädchen drollig und verließ den
Pater.

Drauf kam die zweite und sprach: „Was ist Dir, Väterchen, daß Du so
traurig bist?"

„Das geht Dich nichts an, packe Dich Deiner Wege!"

„Nein, nein! Du mußt es mir sagen, ich will es wissen!"

„Ich sage Dir's nicht, denn sonst antwortest Du mir wie die andere."

„Nein, das thue ich gewiß nicht!"

„Nun so höre, mein Kind! Man bietet mich auf zum Kriege, und ich bin
zu alt dazu und kann nicht mitgehen."

„O Unheil! ich glaubte. Du zerbrächst Dir den Kopf, wie Du mich unter
die Haube bringen könntest." rief das Mädchen und ging seiner Wege.

Drauf kam die jüngste und fragte: „Was ist Dir, Vater, daß Du so
traurig bist?"

„Das geht Dich nichts an, packe Dich Deiner Wege! Denn sonst ant¬
wortest Du mir wie die beiden andern."


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[0074] ihn nicht pflücken können! laß mich doch auch einmal mein Glück versuchen, vielleicht pflücke ich ihn." „Es haben es schon so viel geschickte Leute ver¬ sucht und konnten es nicht dahin bringen, und nun willst Du es zu Stande bringen?" — „Laß mich es doch einmal versuchen, thue mir den Gefallen!" — „Nun so geh in Gottes Namen!" sagte der König. Sowie sie zum Baume kam, senkte sich der Apfel mehr und mehr, bis sie ihn erreichen konnte, und als sie ihn gefaßt hatte, sagte er ihr leise- „Ziehe, bis Du mich gepflückt hast." So pflückte sie ihn und steckte ihn in die Tasche und rief! „Lebe wohl, mein süßer Schwiegervater! aber über die Hündin von Schwiegermutter möge alles Unglück kommen!" Darauf ging sie fort und kam nicht wieder. 2. Das Mädchen im Krieg. Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter und wurde eines Tages aufgeboten, um in den Krieg zu ziehen. Da er aber schon alt und schwächlich war, so betrübte ihn das sehr, und er saß Tage lang, um darüber nachzusinnen, was er thun solle. Da kam seine älteste Tochter zu ihm und fragte: „Was hast Du, Herr, daß Du so traurig bist?" „Das gebt Dich nichts an, packe Dich Deiner Wege!" „Nein, Herr, ich muß es wissen, und gehe nicht eher von der Stelle!" „Was soll ich Dir sagen, mein armes Mädchen? Man hat mich zum Kriege aufgeboten, und ich bin zu alt, um anzuziehen." „O weh! Ich glaubte, Du zerbrächst Dir den Kopf, wie Du mich endlich unter die Haube bringen könntest," rief das Mädchen drollig und verließ den Pater. Drauf kam die zweite und sprach: „Was ist Dir, Väterchen, daß Du so traurig bist?" „Das geht Dich nichts an, packe Dich Deiner Wege!" „Nein, nein! Du mußt es mir sagen, ich will es wissen!" „Ich sage Dir's nicht, denn sonst antwortest Du mir wie die andere." „Nein, das thue ich gewiß nicht!" „Nun so höre, mein Kind! Man bietet mich auf zum Kriege, und ich bin zu alt dazu und kann nicht mitgehen." „O Unheil! ich glaubte. Du zerbrächst Dir den Kopf, wie Du mich unter die Haube bringen könntest." rief das Mädchen und ging seiner Wege. Drauf kam die jüngste und fragte: „Was ist Dir, Vater, daß Du so traurig bist?" „Das geht Dich nichts an, packe Dich Deiner Wege! Denn sonst ant¬ wortest Du mir wie die beiden andern."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/74>, abgerufen am 25.11.2024.