für alle Folgezeit mustergültigen Formen, Der Mönch Angelico aber fand das bleibende Ideal einer Gestalt, deren Bedeutung zuerst durch Giotto, den Grün¬ Joseph Archer Crowe. der der italienischen Kunst, entwickelt worden war.
Griechische Märchen*).
1. Vom Asterinos und der Pulja.
Es war einmal eine Frau, die hatte zwei Kinder, einen Knaben, der hieß Asterinos (d. i. Morgenstern), und ein Mädchen, das hieß Pulja (ein Sternbild), Eines Tages kam ihr Mann von der Jagd zurück und brachte ihr eine Taube, die sie zum Essen kochen sollte. Die Frau nahm die Taube, hängte sie an einen Nagel und ging vor die Thüre, um mit den Nachbarinnen zu plaudern; da kommt die Katze, sieht die Taube am Nagel hängen, springt darnach, erhascht sie und frißt sie. Als nun Essenszeit herankam und die Weiber auseinandergingen, wollte die Frau die Taube holen, und da sie nichts mehr fand, so merkt" sie, daß die Katze sie geholt habe, und hatte nun Furcht, daß ihr Mann zanken werde. Die Frau bedachte sich also nicht lange, schnitt sich die eine Brust ab und kochte sie. Da kam der Mann nach Hause und fragte: "He Frau! hast Du etwas zu essen gekocht?" -- "Ja. ich habe etwas für Dich," antwortete diese, und als sie sich zu Tische setzten, sagte er zu ihr: "Setze Dich zu mir;" sie aber erwiderte: "Ich habe schon vor einem Weilchen gegessen, weil Du so lange ausgeblieben bist."
Nachdem der Mann gegessen hatte, sagte er: "Was das für schmackhaftes Fleisch war! So habe ich noch niemals welches gegessen." Da sagte die Frau ihm: so und so ist es mir ergangen; ich hatte die Taube an den Nagel gehängt und ging hinaus, um Holz zu holen, und als ich zurückkam, fand ich sie nicht, die .Katze hatte sie geholt; da schnitt ich mir die Brust ab und kochte sie, und wenn Du es nicht glauben willst, so sieh her"; und dabei zeigte sie ihm die blutende Brust.
Darauf sprach der Mann: "Wie schmackhaft ist doch das Menschenfleisch! Weißt Du, was wir thun wollen? Wir wollen unsere Kinder schlachten und sie essen. Wenn wir morgen in die Kirche gehen, so gehe Du früher nach
-) Die folgenden für die Ethnographie hochinteressanter neugriechischen Märchen sind Proben aus einer Sammlung solcher Volksdichtungen, die, von dem Consul v. Hahn in Syra, dem Verfasser der "Albanesischen Studien" aus dem Volksmunde zusammengetragen wurde. Der Abdruck hier geschieht nach der den Grenzboten zugesandten handschriftlichen Auswahl des Sammlers, Die ganze wichtige Sammlung soll, mit einer erklärenden Einleitung begleitet, . D. Red. im Verlag von W. Engelmann in Leipzig erscheinen
für alle Folgezeit mustergültigen Formen, Der Mönch Angelico aber fand das bleibende Ideal einer Gestalt, deren Bedeutung zuerst durch Giotto, den Grün¬ Joseph Archer Crowe. der der italienischen Kunst, entwickelt worden war.
Griechische Märchen*).
1. Vom Asterinos und der Pulja.
Es war einmal eine Frau, die hatte zwei Kinder, einen Knaben, der hieß Asterinos (d. i. Morgenstern), und ein Mädchen, das hieß Pulja (ein Sternbild), Eines Tages kam ihr Mann von der Jagd zurück und brachte ihr eine Taube, die sie zum Essen kochen sollte. Die Frau nahm die Taube, hängte sie an einen Nagel und ging vor die Thüre, um mit den Nachbarinnen zu plaudern; da kommt die Katze, sieht die Taube am Nagel hängen, springt darnach, erhascht sie und frißt sie. Als nun Essenszeit herankam und die Weiber auseinandergingen, wollte die Frau die Taube holen, und da sie nichts mehr fand, so merkt« sie, daß die Katze sie geholt habe, und hatte nun Furcht, daß ihr Mann zanken werde. Die Frau bedachte sich also nicht lange, schnitt sich die eine Brust ab und kochte sie. Da kam der Mann nach Hause und fragte: „He Frau! hast Du etwas zu essen gekocht?" — „Ja. ich habe etwas für Dich," antwortete diese, und als sie sich zu Tische setzten, sagte er zu ihr: „Setze Dich zu mir;" sie aber erwiderte: „Ich habe schon vor einem Weilchen gegessen, weil Du so lange ausgeblieben bist."
Nachdem der Mann gegessen hatte, sagte er: „Was das für schmackhaftes Fleisch war! So habe ich noch niemals welches gegessen." Da sagte die Frau ihm: so und so ist es mir ergangen; ich hatte die Taube an den Nagel gehängt und ging hinaus, um Holz zu holen, und als ich zurückkam, fand ich sie nicht, die .Katze hatte sie geholt; da schnitt ich mir die Brust ab und kochte sie, und wenn Du es nicht glauben willst, so sieh her"; und dabei zeigte sie ihm die blutende Brust.
Darauf sprach der Mann: „Wie schmackhaft ist doch das Menschenfleisch! Weißt Du, was wir thun wollen? Wir wollen unsere Kinder schlachten und sie essen. Wenn wir morgen in die Kirche gehen, so gehe Du früher nach
-) Die folgenden für die Ethnographie hochinteressanter neugriechischen Märchen sind Proben aus einer Sammlung solcher Volksdichtungen, die, von dem Consul v. Hahn in Syra, dem Verfasser der „Albanesischen Studien" aus dem Volksmunde zusammengetragen wurde. Der Abdruck hier geschieht nach der den Grenzboten zugesandten handschriftlichen Auswahl des Sammlers, Die ganze wichtige Sammlung soll, mit einer erklärenden Einleitung begleitet, . D. Red. im Verlag von W. Engelmann in Leipzig erscheinen
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bleibende Ideal einer Gestalt, deren Bedeutung zuerst durch Giotto, den Grün¬
Joseph Archer Crowe. der der italienischen Kunst, entwickelt worden war.
Griechische Märchen*).
1. Vom Asterinos und der Pulja.
Es war einmal eine Frau, die hatte zwei Kinder, einen Knaben, der
hieß Asterinos (d. i. Morgenstern), und ein Mädchen, das hieß Pulja (ein
Sternbild), Eines Tages kam ihr Mann von der Jagd zurück und brachte
ihr eine Taube, die sie zum Essen kochen sollte. Die Frau nahm die Taube,
hängte sie an einen Nagel und ging vor die Thüre, um mit den Nachbarinnen
zu plaudern; da kommt die Katze, sieht die Taube am Nagel hängen, springt
darnach, erhascht sie und frißt sie. Als nun Essenszeit herankam und die
Weiber auseinandergingen, wollte die Frau die Taube holen, und da sie nichts
mehr fand, so merkt« sie, daß die Katze sie geholt habe, und hatte nun Furcht,
daß ihr Mann zanken werde. Die Frau bedachte sich also nicht lange, schnitt
sich die eine Brust ab und kochte sie. Da kam der Mann nach Hause und fragte:
„He Frau! hast Du etwas zu essen gekocht?" — „Ja. ich habe etwas für
Dich," antwortete diese, und als sie sich zu Tische setzten, sagte er zu ihr:
„Setze Dich zu mir;" sie aber erwiderte: „Ich habe schon vor einem Weilchen
gegessen, weil Du so lange ausgeblieben bist."
Nachdem der Mann gegessen hatte, sagte er: „Was das für schmackhaftes
Fleisch war! So habe ich noch niemals welches gegessen." Da sagte die Frau ihm:
so und so ist es mir ergangen; ich hatte die Taube an den Nagel gehängt
und ging hinaus, um Holz zu holen, und als ich zurückkam, fand ich sie nicht,
die .Katze hatte sie geholt; da schnitt ich mir die Brust ab und kochte sie, und
wenn Du es nicht glauben willst, so sieh her"; und dabei zeigte sie ihm die
blutende Brust.
Darauf sprach der Mann: „Wie schmackhaft ist doch das Menschenfleisch!
Weißt Du, was wir thun wollen? Wir wollen unsere Kinder schlachten und
sie essen. Wenn wir morgen in die Kirche gehen, so gehe Du früher nach
-) Die folgenden für die Ethnographie hochinteressanter neugriechischen Märchen sind
Proben aus einer Sammlung solcher Volksdichtungen, die, von dem Consul v. Hahn in Syra,
dem Verfasser der „Albanesischen Studien" aus dem Volksmunde zusammengetragen wurde.
Der Abdruck hier geschieht nach der den Grenzboten zugesandten handschriftlichen Auswahl
des Sammlers, Die ganze wichtige Sammlung soll, mit einer erklärenden Einleitung begleitet,
. D. Red. im Verlag von W. Engelmann in Leipzig erscheinen
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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/70>, abgerufen am 24.02.2025.
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