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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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zu Lucca, aus dem ein Künstler des elften Jahrhunderts den Heiland in auf¬
rechter Haltung und guter Proportion mit offenen Augen und etwas von
einander getrennt angenagelten Füßen dargestellt hat -- mit einfachem, aber
etwas grobem und dunklem Umriß gezeichnet. Der ein wenig nach rechts ge¬
neigte Kopf ist sowie die Nase etwas lang und Mund und Augen klein. Der
Körper, wenn auch unvollkommen gezeichnet, verräth doch nichts von der fehler¬
haften Anatomie späterer Erzeugnisse. Um einen Eindruck von Relief hervor¬
zurufen hat Bildhauerei der Kunst des Malers helfen müssen, und während
die ganze Figur in eintöniger, von Zeit und Auffrischung beschädigter Farbe
gehalten ist, wird die Rundung durch ein Heraustreten der Gestalt angedeutet,
das in einer Mittellinie culminirt und nach dem Hals, den Handgelenken und
Füßen hin sich ins Flache verläuft. Die Füße, schwächlich und spitz zugehend
sind wie der Kopf auf der Fläche gemalt, nur daß letzterer, um dem Beschauer
mehr ins Auge zu fallen, mit seinem Heiligenschein etwas aus der Fläche hervor¬
ragt. Das- aus dem obersten Ende des Kreuzes angebrachte kleine Bild des
Erlösers ist Segen ertheilend und ein Buch haltend abgebildet, mit grünem
Heiligenschein und einer Gewandung von traditioneller Färbung. Zu beiden
Seiten knien zwei Engel in anbetender Stellung. Auf den äußersten Enden
der Arme befinden sich die Attribute der Evangelisten und ein schwebender
Engel. Rechts und links vom Kreuz und unter den Armen schließen sich drei
Reihen kleiner Tcifelwerke an, aus denen "die Jungfrau" und "der Evangelist
Johannes", "die Kreuzigung der Schächer", "Christi Grablegung" und "Marien
am Grabe" oberflächlich entworfen sind, und zwar in den alten typischen Formen,
wie bei den Gemälden und Miniaturbildern der ersten Jahrhunderte häufig zu
finden sind. Auf einem kleinen Tafelwerk am Fuß des Kreuzes sieht man
Petrus sitzend die Fragen der Magd anhören.

Ein gleichartiges Werk aus späterer Zeit in S. Guiglia in Lucca, aus
Holz gemalt und ohne Relief, stellt außer dem Heiland, den Evangelisten,
einigen Heiligen und Engeln. auch noch dieselben Scenen der Passionszeit dar,
wie in S. Michele; aber der Verfall, dem auch diese Kunstübung erlag, ist
sowohl in Form und Darstellung, als in der Art der Malerei wahrzunehmen.
Der Körper steht noch aufrecht, aber der Kopf ist schon mehr gebeugt als
früher und der Umriß nicht fehlerfrei. Wahrscheinlich gehört dies Crucifix dem
Ende des zwölften Jahrhunderts an.

Auch in Pisa scheinen, wie in Lucca, Crucifixe die ersten Malereien gewesen
zu sein, wovon das älteste wohl zweifellos das in Santa Maria ist. Der
Leib hängt hier schon in Bezug auf die Lage der Arme tiefer als in irgend
einem andern Bilde, aber der Körper steht noch immer aufrecht, die Augen
sind noch offen und drohend und die Füße von einander getrennt; daher ist
wahrscheinlich, daß dies eine Arbeit des elften Jahrhunderts ist. Das offenbar


zu Lucca, aus dem ein Künstler des elften Jahrhunderts den Heiland in auf¬
rechter Haltung und guter Proportion mit offenen Augen und etwas von
einander getrennt angenagelten Füßen dargestellt hat — mit einfachem, aber
etwas grobem und dunklem Umriß gezeichnet. Der ein wenig nach rechts ge¬
neigte Kopf ist sowie die Nase etwas lang und Mund und Augen klein. Der
Körper, wenn auch unvollkommen gezeichnet, verräth doch nichts von der fehler¬
haften Anatomie späterer Erzeugnisse. Um einen Eindruck von Relief hervor¬
zurufen hat Bildhauerei der Kunst des Malers helfen müssen, und während
die ganze Figur in eintöniger, von Zeit und Auffrischung beschädigter Farbe
gehalten ist, wird die Rundung durch ein Heraustreten der Gestalt angedeutet,
das in einer Mittellinie culminirt und nach dem Hals, den Handgelenken und
Füßen hin sich ins Flache verläuft. Die Füße, schwächlich und spitz zugehend
sind wie der Kopf auf der Fläche gemalt, nur daß letzterer, um dem Beschauer
mehr ins Auge zu fallen, mit seinem Heiligenschein etwas aus der Fläche hervor¬
ragt. Das- aus dem obersten Ende des Kreuzes angebrachte kleine Bild des
Erlösers ist Segen ertheilend und ein Buch haltend abgebildet, mit grünem
Heiligenschein und einer Gewandung von traditioneller Färbung. Zu beiden
Seiten knien zwei Engel in anbetender Stellung. Auf den äußersten Enden
der Arme befinden sich die Attribute der Evangelisten und ein schwebender
Engel. Rechts und links vom Kreuz und unter den Armen schließen sich drei
Reihen kleiner Tcifelwerke an, aus denen „die Jungfrau" und „der Evangelist
Johannes", „die Kreuzigung der Schächer", „Christi Grablegung" und „Marien
am Grabe" oberflächlich entworfen sind, und zwar in den alten typischen Formen,
wie bei den Gemälden und Miniaturbildern der ersten Jahrhunderte häufig zu
finden sind. Auf einem kleinen Tafelwerk am Fuß des Kreuzes sieht man
Petrus sitzend die Fragen der Magd anhören.

Ein gleichartiges Werk aus späterer Zeit in S. Guiglia in Lucca, aus
Holz gemalt und ohne Relief, stellt außer dem Heiland, den Evangelisten,
einigen Heiligen und Engeln. auch noch dieselben Scenen der Passionszeit dar,
wie in S. Michele; aber der Verfall, dem auch diese Kunstübung erlag, ist
sowohl in Form und Darstellung, als in der Art der Malerei wahrzunehmen.
Der Körper steht noch aufrecht, aber der Kopf ist schon mehr gebeugt als
früher und der Umriß nicht fehlerfrei. Wahrscheinlich gehört dies Crucifix dem
Ende des zwölften Jahrhunderts an.

Auch in Pisa scheinen, wie in Lucca, Crucifixe die ersten Malereien gewesen
zu sein, wovon das älteste wohl zweifellos das in Santa Maria ist. Der
Leib hängt hier schon in Bezug auf die Lage der Arme tiefer als in irgend
einem andern Bilde, aber der Körper steht noch immer aufrecht, die Augen
sind noch offen und drohend und die Füße von einander getrennt; daher ist
wahrscheinlich, daß dies eine Arbeit des elften Jahrhunderts ist. Das offenbar


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[0066] zu Lucca, aus dem ein Künstler des elften Jahrhunderts den Heiland in auf¬ rechter Haltung und guter Proportion mit offenen Augen und etwas von einander getrennt angenagelten Füßen dargestellt hat — mit einfachem, aber etwas grobem und dunklem Umriß gezeichnet. Der ein wenig nach rechts ge¬ neigte Kopf ist sowie die Nase etwas lang und Mund und Augen klein. Der Körper, wenn auch unvollkommen gezeichnet, verräth doch nichts von der fehler¬ haften Anatomie späterer Erzeugnisse. Um einen Eindruck von Relief hervor¬ zurufen hat Bildhauerei der Kunst des Malers helfen müssen, und während die ganze Figur in eintöniger, von Zeit und Auffrischung beschädigter Farbe gehalten ist, wird die Rundung durch ein Heraustreten der Gestalt angedeutet, das in einer Mittellinie culminirt und nach dem Hals, den Handgelenken und Füßen hin sich ins Flache verläuft. Die Füße, schwächlich und spitz zugehend sind wie der Kopf auf der Fläche gemalt, nur daß letzterer, um dem Beschauer mehr ins Auge zu fallen, mit seinem Heiligenschein etwas aus der Fläche hervor¬ ragt. Das- aus dem obersten Ende des Kreuzes angebrachte kleine Bild des Erlösers ist Segen ertheilend und ein Buch haltend abgebildet, mit grünem Heiligenschein und einer Gewandung von traditioneller Färbung. Zu beiden Seiten knien zwei Engel in anbetender Stellung. Auf den äußersten Enden der Arme befinden sich die Attribute der Evangelisten und ein schwebender Engel. Rechts und links vom Kreuz und unter den Armen schließen sich drei Reihen kleiner Tcifelwerke an, aus denen „die Jungfrau" und „der Evangelist Johannes", „die Kreuzigung der Schächer", „Christi Grablegung" und „Marien am Grabe" oberflächlich entworfen sind, und zwar in den alten typischen Formen, wie bei den Gemälden und Miniaturbildern der ersten Jahrhunderte häufig zu finden sind. Auf einem kleinen Tafelwerk am Fuß des Kreuzes sieht man Petrus sitzend die Fragen der Magd anhören. Ein gleichartiges Werk aus späterer Zeit in S. Guiglia in Lucca, aus Holz gemalt und ohne Relief, stellt außer dem Heiland, den Evangelisten, einigen Heiligen und Engeln. auch noch dieselben Scenen der Passionszeit dar, wie in S. Michele; aber der Verfall, dem auch diese Kunstübung erlag, ist sowohl in Form und Darstellung, als in der Art der Malerei wahrzunehmen. Der Körper steht noch aufrecht, aber der Kopf ist schon mehr gebeugt als früher und der Umriß nicht fehlerfrei. Wahrscheinlich gehört dies Crucifix dem Ende des zwölften Jahrhunderts an. Auch in Pisa scheinen, wie in Lucca, Crucifixe die ersten Malereien gewesen zu sein, wovon das älteste wohl zweifellos das in Santa Maria ist. Der Leib hängt hier schon in Bezug auf die Lage der Arme tiefer als in irgend einem andern Bilde, aber der Körper steht noch immer aufrecht, die Augen sind noch offen und drohend und die Füße von einander getrennt; daher ist wahrscheinlich, daß dies eine Arbeit des elften Jahrhunderts ist. Das offenbar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/66>, abgerufen am 26.11.2024.