Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.geahnt, während etwas später, als der Kopf des Erlösers mehr Bedeutung erhielt, Der Verfall der Technik machte dabei nicht so schnelle Fortschritte, als Ein Jahrhundert später wurde der Erlöser zwar noch im Act des Segnens geahnt, während etwas später, als der Kopf des Erlösers mehr Bedeutung erhielt, Der Verfall der Technik machte dabei nicht so schnelle Fortschritte, als Ein Jahrhundert später wurde der Erlöser zwar noch im Act des Segnens <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187556"/> <p xml:id="ID_170" prev="#ID_169"> geahnt, während etwas später, als der Kopf des Erlösers mehr Bedeutung erhielt,<lb/> für genügend galt, nur die regelmäßigen Formen eines Mannes wiederzugeben<lb/> in der Blüthe des Alters, ruhig, mit regelmäßigen Proportionen und Zügen,<lb/> imponirender Stirn, gerader Nase, leidenschaftslosen, Feierlichkeit ausdrückenden<lb/> Augen und breitem muskulösem Hals. Der bartlose lockenköpfige Typus des<lb/> guten Hirten verwandelte sich allmälig aus einer Imitation des Apollo in eine<lb/> Nachahmung des Jupiter, der bald mit spärlichem, bald mit vollem Bart ge¬<lb/> ziert wurde. Kinn und Mund blieben frei oder bedeckt, je nach der Laune des<lb/> Künstlers oder dem Wunsch des Bestellers; das Haar war häusig in der Mitte<lb/> gescheitelt und siel in Locken über die Schultern.</p><lb/> <p xml:id="ID_171"> Der Verfall der Technik machte dabei nicht so schnelle Fortschritte, als<lb/> man zu glauben versucht ist, und in Rom brachten noch gegen Ende des fünf¬<lb/> ten oder Anfang des sechsten Jahrhunderts die Katakvmbcnmaler Werke hervor,<lb/> die Zeugniß geben, wie nachhaltig der Einfluß der classischen Form war,<lb/> und wie schwer wurde, sie durch andre Formen zu ersetzen, welche der Ent¬<lb/> wickelung der christlichen Idee angemessener gewesen wären. Der zu die¬<lb/> ser Zeit gemalte Christus in der Katakombe von S. Pietro e Marcellino sitzt<lb/> auf einem römischen Stuhl, in Tunica, Pallium und Sandalen gekleidet, mit<lb/> der rechten Hand Segen ertheilend, in der linken ein Buch haltend. Der<lb/> Kopf, von einem einfachen Heiligenschein umgeben, auf dessen beiden Sei¬<lb/> ten das griechische ^ und stehen, ist von langer Form, aber jugend¬<lb/> lichem Typus. Die breite offne Stirn, das ruhige und regelmäßige Auge<lb/> drücken eine gewisse Majestät aus. Das Haar fällt in Locken über die Schul¬<lb/> tern und ein spitzzugehender Bart schmückt das Kinn. Auch der Umriß der<lb/> Gestalt ist schön. Was reine Form anbetrifft, ist dieser Kopf einer der besten<lb/> Typen aus dem Verfall des sechsten Jahrhunderts; er gleicht einigen, die in<lb/> Ravenna entstanden waren, und nähert sich einzelnen Köpfen aus der großen<lb/> . Wiedcrbelebungszeit des vierzehnten Jahrhunderts.</p><lb/> <p xml:id="ID_172"> Ein Jahrhundert später wurde der Erlöser zwar noch im Act des Segnens<lb/> und von imponirenden Aussehen dargestellt, wie z. B. in der Katakombe von<lb/> S. Pontiano, aber der Künstler hatte schon die Leichtigkeit der Hand verloren<lb/> und entbehrte der Formkenntniß seiner Vorgänger. Er war zu einem gewissen<lb/> Conventionalismus der Darstellung herabgesunken, der sich in den geraden Li¬<lb/> nien des fallenden Haars, der regelmäßigen Folge von Locken eines kleinen<lb/> Barts, den halbkreisförmigen Bogen der Stirn und Augenlider, und in der<lb/> Breite der dunklen Umrißlinien kund gab. Die Stirn war noch offen und schön,<lb/> die Nase gerade und der Hals breit, aber die Augen nahmen schon, durch die Ent¬<lb/> fernung der unteren Lider von der Iris und durch die unnöthige Wölbung der<lb/> oberen, einen unangenehmen Ausdruck an. Es war ein Versuch, den Begriff der<lb/> Macht auszudrücken, aber er erreichte nichts, als dem Beschauer Schrecken einzuflößen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
geahnt, während etwas später, als der Kopf des Erlösers mehr Bedeutung erhielt,
für genügend galt, nur die regelmäßigen Formen eines Mannes wiederzugeben
in der Blüthe des Alters, ruhig, mit regelmäßigen Proportionen und Zügen,
imponirender Stirn, gerader Nase, leidenschaftslosen, Feierlichkeit ausdrückenden
Augen und breitem muskulösem Hals. Der bartlose lockenköpfige Typus des
guten Hirten verwandelte sich allmälig aus einer Imitation des Apollo in eine
Nachahmung des Jupiter, der bald mit spärlichem, bald mit vollem Bart ge¬
ziert wurde. Kinn und Mund blieben frei oder bedeckt, je nach der Laune des
Künstlers oder dem Wunsch des Bestellers; das Haar war häusig in der Mitte
gescheitelt und siel in Locken über die Schultern.
Der Verfall der Technik machte dabei nicht so schnelle Fortschritte, als
man zu glauben versucht ist, und in Rom brachten noch gegen Ende des fünf¬
ten oder Anfang des sechsten Jahrhunderts die Katakvmbcnmaler Werke hervor,
die Zeugniß geben, wie nachhaltig der Einfluß der classischen Form war,
und wie schwer wurde, sie durch andre Formen zu ersetzen, welche der Ent¬
wickelung der christlichen Idee angemessener gewesen wären. Der zu die¬
ser Zeit gemalte Christus in der Katakombe von S. Pietro e Marcellino sitzt
auf einem römischen Stuhl, in Tunica, Pallium und Sandalen gekleidet, mit
der rechten Hand Segen ertheilend, in der linken ein Buch haltend. Der
Kopf, von einem einfachen Heiligenschein umgeben, auf dessen beiden Sei¬
ten das griechische ^ und stehen, ist von langer Form, aber jugend¬
lichem Typus. Die breite offne Stirn, das ruhige und regelmäßige Auge
drücken eine gewisse Majestät aus. Das Haar fällt in Locken über die Schul¬
tern und ein spitzzugehender Bart schmückt das Kinn. Auch der Umriß der
Gestalt ist schön. Was reine Form anbetrifft, ist dieser Kopf einer der besten
Typen aus dem Verfall des sechsten Jahrhunderts; er gleicht einigen, die in
Ravenna entstanden waren, und nähert sich einzelnen Köpfen aus der großen
. Wiedcrbelebungszeit des vierzehnten Jahrhunderts.
Ein Jahrhundert später wurde der Erlöser zwar noch im Act des Segnens
und von imponirenden Aussehen dargestellt, wie z. B. in der Katakombe von
S. Pontiano, aber der Künstler hatte schon die Leichtigkeit der Hand verloren
und entbehrte der Formkenntniß seiner Vorgänger. Er war zu einem gewissen
Conventionalismus der Darstellung herabgesunken, der sich in den geraden Li¬
nien des fallenden Haars, der regelmäßigen Folge von Locken eines kleinen
Barts, den halbkreisförmigen Bogen der Stirn und Augenlider, und in der
Breite der dunklen Umrißlinien kund gab. Die Stirn war noch offen und schön,
die Nase gerade und der Hals breit, aber die Augen nahmen schon, durch die Ent¬
fernung der unteren Lider von der Iris und durch die unnöthige Wölbung der
oberen, einen unangenehmen Ausdruck an. Es war ein Versuch, den Begriff der
Macht auszudrücken, aber er erreichte nichts, als dem Beschauer Schrecken einzuflößen.
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