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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Königs in einem Umfange, daß eine Spur solcher Aufzeichnungen ohne Zweifel
aus uns gekommen sein würde.

Versuchen wir gegenüber den erwähnten unbegründeten Erzählungen und
ohne Basis aufgestellten Vermuthungen aus dem Inhalte der Raten^s aus
ihren Ursprung zu schließen, so ist zunächst als sicher anzunehmen, daß dieselben
von einem Franzosen verfaßt sind, und zwar schwerlich von einem Franzosen,
der sich längere Zeit in Preußen ausgehalten hatte.

Wir dürfen uns in dieser Hinsicht auf die Erörterungen über die Autor¬
schaft Friedrichs des Großen beziehen, in denen wir gezeigt haben, wie
an mehren Stellen der N^noch specifisch französische
^ Anschauungen und
Ausdrücke hervortreten. So jene Stellen, wo an der "spitze der preußischen
Provinzialvcrwaltung statt großer Regierungscollegien Gouverneure gedacht
werden und wo man den König in Livres rechnen läßt. Auch der Vorstellung
von in die Provinzen geschickten königlichen Commissarien liegt vermuthlich ein
französisches Verhältniß zum Grunde. Daß der Fälscher leicht im Stande
war. Sprachfehler und selbst eigentliche Germanismen, wenn solche vorkommen
sollten, in seine Arbeit einzufügen, versteht sich von selbst, es war dies leichter
als den Stil des Königs nachzuahmen, und Letzteres scheint auch nicht ver¬
sucht zu sein. Würde aber der französische Verfasser in Preußen gelebt
haben, so würde er sich schwerlich jene außerordentliche Unkenntniß preußischer
Verhältnisse und kleiner Aeußerlichkeiten der Person des Königs haben zu
Schulden kommen lassen.

Will man der Person des Verfassers näher treten, so wird man vor
Allem auf jene von Grimm in seinem Briefe vom 25. April 1766 gemachte
Andeutung einzugehen haben- .,Ew. Durchlaucht werden besser als ich zu
beurtheilen wissen, von welcher Hand diese Schrift ausgeht und was ihr
Zweck ist." Grimm stand damals durch seine Stellung und durch seine lite¬
rarischen Beschäftigungen inmitten des politischen wie des literarischen Treibens
von Paris. Er konnte die Mittel der Verbreitung jener Schrift beobachten
und sogleich die über die Autorschaft hervortretenden Ansichten prüfen. Das
Eigenthümliche aber der in jener Stelle enthaltenen Hindeutung ist, daß
Grimm seine Ansicht über die Quelle der NatiuöeL dem Papier nicht anver¬
trauen will, indessen voraussetzt, daß die Herzogin von selbst dieselbe Ansicht
gewinnen werde.

Wen hatte Grimm bei der Absendung jenes Briefes zu fürchten? Welches
Verhältniß der Feindschaft gegen Friedrich war so offenkundig, daß es sofort
auf die Autorschaft der Ng.t,in6es schließen ließ? Man könnte im ersten Augen¬
blick versucht sein, an Voltaire zu denken, dessen spitze Feder Grimm in seiner
literarischen. Stellung fürchten durfte und dessen fortdauernder Haß gegen
Friedrich ihm vielleicht bekannt war.


Königs in einem Umfange, daß eine Spur solcher Aufzeichnungen ohne Zweifel
aus uns gekommen sein würde.

Versuchen wir gegenüber den erwähnten unbegründeten Erzählungen und
ohne Basis aufgestellten Vermuthungen aus dem Inhalte der Raten^s aus
ihren Ursprung zu schließen, so ist zunächst als sicher anzunehmen, daß dieselben
von einem Franzosen verfaßt sind, und zwar schwerlich von einem Franzosen,
der sich längere Zeit in Preußen ausgehalten hatte.

Wir dürfen uns in dieser Hinsicht auf die Erörterungen über die Autor¬
schaft Friedrichs des Großen beziehen, in denen wir gezeigt haben, wie
an mehren Stellen der N^noch specifisch französische
^ Anschauungen und
Ausdrücke hervortreten. So jene Stellen, wo an der «spitze der preußischen
Provinzialvcrwaltung statt großer Regierungscollegien Gouverneure gedacht
werden und wo man den König in Livres rechnen läßt. Auch der Vorstellung
von in die Provinzen geschickten königlichen Commissarien liegt vermuthlich ein
französisches Verhältniß zum Grunde. Daß der Fälscher leicht im Stande
war. Sprachfehler und selbst eigentliche Germanismen, wenn solche vorkommen
sollten, in seine Arbeit einzufügen, versteht sich von selbst, es war dies leichter
als den Stil des Königs nachzuahmen, und Letzteres scheint auch nicht ver¬
sucht zu sein. Würde aber der französische Verfasser in Preußen gelebt
haben, so würde er sich schwerlich jene außerordentliche Unkenntniß preußischer
Verhältnisse und kleiner Aeußerlichkeiten der Person des Königs haben zu
Schulden kommen lassen.

Will man der Person des Verfassers näher treten, so wird man vor
Allem auf jene von Grimm in seinem Briefe vom 25. April 1766 gemachte
Andeutung einzugehen haben- .,Ew. Durchlaucht werden besser als ich zu
beurtheilen wissen, von welcher Hand diese Schrift ausgeht und was ihr
Zweck ist." Grimm stand damals durch seine Stellung und durch seine lite¬
rarischen Beschäftigungen inmitten des politischen wie des literarischen Treibens
von Paris. Er konnte die Mittel der Verbreitung jener Schrift beobachten
und sogleich die über die Autorschaft hervortretenden Ansichten prüfen. Das
Eigenthümliche aber der in jener Stelle enthaltenen Hindeutung ist, daß
Grimm seine Ansicht über die Quelle der NatiuöeL dem Papier nicht anver¬
trauen will, indessen voraussetzt, daß die Herzogin von selbst dieselbe Ansicht
gewinnen werde.

Wen hatte Grimm bei der Absendung jenes Briefes zu fürchten? Welches
Verhältniß der Feindschaft gegen Friedrich war so offenkundig, daß es sofort
auf die Autorschaft der Ng.t,in6es schließen ließ? Man könnte im ersten Augen¬
blick versucht sein, an Voltaire zu denken, dessen spitze Feder Grimm in seiner
literarischen. Stellung fürchten durfte und dessen fortdauernder Haß gegen
Friedrich ihm vielleicht bekannt war.


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[0523] Königs in einem Umfange, daß eine Spur solcher Aufzeichnungen ohne Zweifel aus uns gekommen sein würde. Versuchen wir gegenüber den erwähnten unbegründeten Erzählungen und ohne Basis aufgestellten Vermuthungen aus dem Inhalte der Raten^s aus ihren Ursprung zu schließen, so ist zunächst als sicher anzunehmen, daß dieselben von einem Franzosen verfaßt sind, und zwar schwerlich von einem Franzosen, der sich längere Zeit in Preußen ausgehalten hatte. Wir dürfen uns in dieser Hinsicht auf die Erörterungen über die Autor¬ schaft Friedrichs des Großen beziehen, in denen wir gezeigt haben, wie an mehren Stellen der N^noch specifisch französische ^ Anschauungen und Ausdrücke hervortreten. So jene Stellen, wo an der «spitze der preußischen Provinzialvcrwaltung statt großer Regierungscollegien Gouverneure gedacht werden und wo man den König in Livres rechnen läßt. Auch der Vorstellung von in die Provinzen geschickten königlichen Commissarien liegt vermuthlich ein französisches Verhältniß zum Grunde. Daß der Fälscher leicht im Stande war. Sprachfehler und selbst eigentliche Germanismen, wenn solche vorkommen sollten, in seine Arbeit einzufügen, versteht sich von selbst, es war dies leichter als den Stil des Königs nachzuahmen, und Letzteres scheint auch nicht ver¬ sucht zu sein. Würde aber der französische Verfasser in Preußen gelebt haben, so würde er sich schwerlich jene außerordentliche Unkenntniß preußischer Verhältnisse und kleiner Aeußerlichkeiten der Person des Königs haben zu Schulden kommen lassen. Will man der Person des Verfassers näher treten, so wird man vor Allem auf jene von Grimm in seinem Briefe vom 25. April 1766 gemachte Andeutung einzugehen haben- .,Ew. Durchlaucht werden besser als ich zu beurtheilen wissen, von welcher Hand diese Schrift ausgeht und was ihr Zweck ist." Grimm stand damals durch seine Stellung und durch seine lite¬ rarischen Beschäftigungen inmitten des politischen wie des literarischen Treibens von Paris. Er konnte die Mittel der Verbreitung jener Schrift beobachten und sogleich die über die Autorschaft hervortretenden Ansichten prüfen. Das Eigenthümliche aber der in jener Stelle enthaltenen Hindeutung ist, daß Grimm seine Ansicht über die Quelle der NatiuöeL dem Papier nicht anver¬ trauen will, indessen voraussetzt, daß die Herzogin von selbst dieselbe Ansicht gewinnen werde. Wen hatte Grimm bei der Absendung jenes Briefes zu fürchten? Welches Verhältniß der Feindschaft gegen Friedrich war so offenkundig, daß es sofort auf die Autorschaft der Ng.t,in6es schließen ließ? Man könnte im ersten Augen¬ blick versucht sein, an Voltaire zu denken, dessen spitze Feder Grimm in seiner literarischen. Stellung fürchten durfte und dessen fortdauernder Haß gegen Friedrich ihm vielleicht bekannt war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/523>, abgerufen am 25.11.2024.