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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Friedrichs wirkliche Meinungen im Gegensatz zu seinen bekannten Schriften
enthalten. Wer würde ihm zutrauen an diese von ihm stigmatisirten Fabeln
geglaubt zu haben?

Schärfer noch tritt das Urtheil über Voltaire mit der dem König nur zu genau
bekannten Wirklichkeit in Widerspruch. Der Verfasser der Radin^es läßt den
König sagen! "Er höre gern sein Lob. Wenn Alembert neben mir sitzt, so
öffnet er nur den Mund, um mir Verbindliches zu sagen. Voltaire war nicht
von der Art, eben darum habe ich ihn weggejagt." -- Der brave Voltaire!
-- Wir glauben nicht hyperbolisch zu sprechen, wenn wir behaupten, daß schwer¬
lich je einen Fürsten mit gleicher Würdelosigteit und Unverschämtheit geschmeichelt
worden ist, als Friedrich dem Großen von Voltaire. Wir brauchen nur einen Blick
auf die ersten Briefe Voltaires an Friedrich den Kronprinzen, den er noch
nicht einmal gesehen hatte, zu werfen. Voltaire setzt sogleich mit "dem göttlichen
Charakter" ein, dann "großer Prinz", "großes Genie". "Alexander", Sokrates",
"Gott Friedrich", bis es denn dem Kronprinzen zu arg wird und er Voltaire
die Ode "sur la lig.tteii"" zur Correctur übersendet. Dennoch macht Voltaire
Friedrich, als er den Thron bestiegen hat, zum "Bruder der Sonne" und in
ähnlicher Weife geht es fort bis zum Bruch. Die Ursachen dieses Bruchs aber,
welche heute offen vorliegen, waren die schmrchigen Geldspcculationen Voltaires
in sächsischen Steucrschcinen, sein Proceß mit einem Juden darüber, ob Voltaire
ihm falsche Steine für echte verkauft habe, und schließlich seine Kabalen gegen
die andern Franzosen in der Umgebung des Königs. Friedrichs Brief vom
24. Februar 1732 ist in dieser Hinsicht sehr ausführlich, und die Geschichte hat
nie andere Gründe des Bruchs zu Tage gebracht.

Wie die Ng.diri6es voll sind von Urtheilen, die Friedrich der Große am
wenigsten dann, wenn er sich ohne Rückhalt äußerte, hat aussprechen können,
so zeigen schon die Aeußerlichkeiten des Ausdrucks, daß die Schrift nicht von
dem König herrühren kann. Mit Recht hat Preuß auf den Unterschied zwi¬
schen dem kurzen und mannhaften Stil des Königs und dem liederlichen Stil
der Natiirses hingewiesen.

Von Interesse sind einige Besonderheiten, die in einer Arbeit des preu¬
ßischen Königs und namentlich in einer doch nicht für Franzosen, sondern
für den preußischen Thronfolger bestimmten Arbeit nicht vorkommen konnten.

Was soll es heißen, daß die Nirtwvss sagen, "wenn der König nicht seine
Staaten bereise, so würden sich seine Gouverneure an seine Stelle setzen
und sich nach und nach von den Grundsätzen des Gehorsams losmachen, um
die der Unabhängigkeit anzunehmen?"

Man kann von der für die damaligen Verhältnisse der preußischen Monarchie
außerordentlichen Abgeschmacktheit des Gedankens absehen, -- wer sind aber
diese: "nos gouverrwurs?" In Frankreich war Begriff und Stellung der


Friedrichs wirkliche Meinungen im Gegensatz zu seinen bekannten Schriften
enthalten. Wer würde ihm zutrauen an diese von ihm stigmatisirten Fabeln
geglaubt zu haben?

Schärfer noch tritt das Urtheil über Voltaire mit der dem König nur zu genau
bekannten Wirklichkeit in Widerspruch. Der Verfasser der Radin^es läßt den
König sagen! „Er höre gern sein Lob. Wenn Alembert neben mir sitzt, so
öffnet er nur den Mund, um mir Verbindliches zu sagen. Voltaire war nicht
von der Art, eben darum habe ich ihn weggejagt." — Der brave Voltaire!
— Wir glauben nicht hyperbolisch zu sprechen, wenn wir behaupten, daß schwer¬
lich je einen Fürsten mit gleicher Würdelosigteit und Unverschämtheit geschmeichelt
worden ist, als Friedrich dem Großen von Voltaire. Wir brauchen nur einen Blick
auf die ersten Briefe Voltaires an Friedrich den Kronprinzen, den er noch
nicht einmal gesehen hatte, zu werfen. Voltaire setzt sogleich mit „dem göttlichen
Charakter" ein, dann „großer Prinz", „großes Genie". „Alexander", Sokrates",
„Gott Friedrich", bis es denn dem Kronprinzen zu arg wird und er Voltaire
die Ode „sur la lig.tteii«" zur Correctur übersendet. Dennoch macht Voltaire
Friedrich, als er den Thron bestiegen hat, zum „Bruder der Sonne" und in
ähnlicher Weife geht es fort bis zum Bruch. Die Ursachen dieses Bruchs aber,
welche heute offen vorliegen, waren die schmrchigen Geldspcculationen Voltaires
in sächsischen Steucrschcinen, sein Proceß mit einem Juden darüber, ob Voltaire
ihm falsche Steine für echte verkauft habe, und schließlich seine Kabalen gegen
die andern Franzosen in der Umgebung des Königs. Friedrichs Brief vom
24. Februar 1732 ist in dieser Hinsicht sehr ausführlich, und die Geschichte hat
nie andere Gründe des Bruchs zu Tage gebracht.

Wie die Ng.diri6es voll sind von Urtheilen, die Friedrich der Große am
wenigsten dann, wenn er sich ohne Rückhalt äußerte, hat aussprechen können,
so zeigen schon die Aeußerlichkeiten des Ausdrucks, daß die Schrift nicht von
dem König herrühren kann. Mit Recht hat Preuß auf den Unterschied zwi¬
schen dem kurzen und mannhaften Stil des Königs und dem liederlichen Stil
der Natiirses hingewiesen.

Von Interesse sind einige Besonderheiten, die in einer Arbeit des preu¬
ßischen Königs und namentlich in einer doch nicht für Franzosen, sondern
für den preußischen Thronfolger bestimmten Arbeit nicht vorkommen konnten.

Was soll es heißen, daß die Nirtwvss sagen, „wenn der König nicht seine
Staaten bereise, so würden sich seine Gouverneure an seine Stelle setzen
und sich nach und nach von den Grundsätzen des Gehorsams losmachen, um
die der Unabhängigkeit anzunehmen?"

Man kann von der für die damaligen Verhältnisse der preußischen Monarchie
außerordentlichen Abgeschmacktheit des Gedankens absehen, — wer sind aber
diese: „nos gouverrwurs?" In Frankreich war Begriff und Stellung der


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[0516] Friedrichs wirkliche Meinungen im Gegensatz zu seinen bekannten Schriften enthalten. Wer würde ihm zutrauen an diese von ihm stigmatisirten Fabeln geglaubt zu haben? Schärfer noch tritt das Urtheil über Voltaire mit der dem König nur zu genau bekannten Wirklichkeit in Widerspruch. Der Verfasser der Radin^es läßt den König sagen! „Er höre gern sein Lob. Wenn Alembert neben mir sitzt, so öffnet er nur den Mund, um mir Verbindliches zu sagen. Voltaire war nicht von der Art, eben darum habe ich ihn weggejagt." — Der brave Voltaire! — Wir glauben nicht hyperbolisch zu sprechen, wenn wir behaupten, daß schwer¬ lich je einen Fürsten mit gleicher Würdelosigteit und Unverschämtheit geschmeichelt worden ist, als Friedrich dem Großen von Voltaire. Wir brauchen nur einen Blick auf die ersten Briefe Voltaires an Friedrich den Kronprinzen, den er noch nicht einmal gesehen hatte, zu werfen. Voltaire setzt sogleich mit „dem göttlichen Charakter" ein, dann „großer Prinz", „großes Genie". „Alexander", Sokrates", „Gott Friedrich", bis es denn dem Kronprinzen zu arg wird und er Voltaire die Ode „sur la lig.tteii«" zur Correctur übersendet. Dennoch macht Voltaire Friedrich, als er den Thron bestiegen hat, zum „Bruder der Sonne" und in ähnlicher Weife geht es fort bis zum Bruch. Die Ursachen dieses Bruchs aber, welche heute offen vorliegen, waren die schmrchigen Geldspcculationen Voltaires in sächsischen Steucrschcinen, sein Proceß mit einem Juden darüber, ob Voltaire ihm falsche Steine für echte verkauft habe, und schließlich seine Kabalen gegen die andern Franzosen in der Umgebung des Königs. Friedrichs Brief vom 24. Februar 1732 ist in dieser Hinsicht sehr ausführlich, und die Geschichte hat nie andere Gründe des Bruchs zu Tage gebracht. Wie die Ng.diri6es voll sind von Urtheilen, die Friedrich der Große am wenigsten dann, wenn er sich ohne Rückhalt äußerte, hat aussprechen können, so zeigen schon die Aeußerlichkeiten des Ausdrucks, daß die Schrift nicht von dem König herrühren kann. Mit Recht hat Preuß auf den Unterschied zwi¬ schen dem kurzen und mannhaften Stil des Königs und dem liederlichen Stil der Natiirses hingewiesen. Von Interesse sind einige Besonderheiten, die in einer Arbeit des preu¬ ßischen Königs und namentlich in einer doch nicht für Franzosen, sondern für den preußischen Thronfolger bestimmten Arbeit nicht vorkommen konnten. Was soll es heißen, daß die Nirtwvss sagen, „wenn der König nicht seine Staaten bereise, so würden sich seine Gouverneure an seine Stelle setzen und sich nach und nach von den Grundsätzen des Gehorsams losmachen, um die der Unabhängigkeit anzunehmen?" Man kann von der für die damaligen Verhältnisse der preußischen Monarchie außerordentlichen Abgeschmacktheit des Gedankens absehen, — wer sind aber diese: „nos gouverrwurs?" In Frankreich war Begriff und Stellung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/516>, abgerufen am 25.11.2024.