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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Bedürfniß, er setzte sie im Feldlager selbst wahrend jenes furchtbaren Krieges
fort, der bei der Schwäche seiner Streitfräste an sein Genie und seine persön¬
liche Thätigkeit die höchsten Anforderungen stellte. Er wollte ihr die Pflichten
des Königs und Feldherrn nicht opfern, aber die Vermuthung liegt nahe, daß
die literarischen Studien und Arbeiten nicht selten seinen Geist von dem unmit¬
telbar Nothwendigen abgezogen haben. Jedenfalls haben andere Feldherrn nach
großen Niederlagen sich nicht hingesetzt und Predigten geschrieben. Am Abend
des Unglücks von Hochkirch findet ihn Caet. sein Vorleser, in Bourdalvues Pre¬
digten lesend und zu einer Unterhaltung ungeneigt, und als Caet am andern
Morgen wieder kommt, gibt der König ihm eine Predigt, die er während der
Nacht über seine traurige Lage geschrieben hat. "Jedenfalls," fügt er hinzu,
"trage ich bei mir, was diesem Jammer ein Ende machen kann."

Gerechtigkeit will der König der Natiiiees nicht geübt wissen, wenn sie
seine Autorität verletzt.

Wer ist denn der König, der sich vom Müller von Sanssouci jene Abwei¬
sung geben läßt und der in einer Marginalresolution seinem Minister erklärt:
"es muß in dergleichen Fällen gerade durch gegangen und derjenige, welcher
Infamien begeht, und wenn er von königlichem Geblüte wäre, bestraft
werden?" Und als der König in einem Proceß zwischen seiner Domäne und
einer Rittergutsbesitzerin befiehlt, den Fahrzeugen der Letzteren die königlichen
Schleusen nicht zu öffnen, duldet der König nicht nur, daß das berliner Kam¬
mergericht seinen Befehl aufhebt, sondern daß es ein gerichtliches Erkenntniß
gegen die widersetzlichen königlichen Beamten militärisch vollstrecken läßt.

Die Justizrefvrm soll der König nach den Natinves ins Werk gesetzt
haben, um die Unabhängigkeit.des Nichterstandes zu brechen. Der Codex
Fridericianus stellte aber gerade erst die Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber
dem Könige fest. Es heißt darin: "Sie sollen auch aus keine Rescripte, wenn
sie schon aus Unserem Cabinet herrühren, die geringste Reflexion
machen, wenn darin etwas wider die offenbaren Rechte Sulz- et oweM worden,
oder der strenge Lauf Rechtens dadurch gehindert und unterbrochen wird , son¬
dern sie müssen nach Pflicht und Gewissen weiter Verfahren, jedoch von der
Sache Bewandtniß sofort berichten." Und wurden denn die preußischen Ge¬
richte abhängig? Noch am Ende seines Lebens vermochte der König im arnoldschen
Falle nicht, den Gerichten den von ihm gewünschten Spruch abzugewinnen.

Ebenso kläglich steht es mit demjenigen, was der Verfasser der Uf-tmöW
als Lebensgewohnheiten des Königs bezeichnet, z. B. folgende Stelle:

"Ich gebe aller Welt Audienz, nur nicht Priestern, Geistlichen und Mön¬
chen. Diese Herren sind gewohnt in die Ferne zu sprechen. Ich höre sie daher
aus meinem Fenster an, ein Page empfängt sie. und ich mache meine Verbeu¬
gung an der Thür."


Bedürfniß, er setzte sie im Feldlager selbst wahrend jenes furchtbaren Krieges
fort, der bei der Schwäche seiner Streitfräste an sein Genie und seine persön¬
liche Thätigkeit die höchsten Anforderungen stellte. Er wollte ihr die Pflichten
des Königs und Feldherrn nicht opfern, aber die Vermuthung liegt nahe, daß
die literarischen Studien und Arbeiten nicht selten seinen Geist von dem unmit¬
telbar Nothwendigen abgezogen haben. Jedenfalls haben andere Feldherrn nach
großen Niederlagen sich nicht hingesetzt und Predigten geschrieben. Am Abend
des Unglücks von Hochkirch findet ihn Caet. sein Vorleser, in Bourdalvues Pre¬
digten lesend und zu einer Unterhaltung ungeneigt, und als Caet am andern
Morgen wieder kommt, gibt der König ihm eine Predigt, die er während der
Nacht über seine traurige Lage geschrieben hat. „Jedenfalls," fügt er hinzu,
„trage ich bei mir, was diesem Jammer ein Ende machen kann."

Gerechtigkeit will der König der Natiiiees nicht geübt wissen, wenn sie
seine Autorität verletzt.

Wer ist denn der König, der sich vom Müller von Sanssouci jene Abwei¬
sung geben läßt und der in einer Marginalresolution seinem Minister erklärt:
„es muß in dergleichen Fällen gerade durch gegangen und derjenige, welcher
Infamien begeht, und wenn er von königlichem Geblüte wäre, bestraft
werden?" Und als der König in einem Proceß zwischen seiner Domäne und
einer Rittergutsbesitzerin befiehlt, den Fahrzeugen der Letzteren die königlichen
Schleusen nicht zu öffnen, duldet der König nicht nur, daß das berliner Kam¬
mergericht seinen Befehl aufhebt, sondern daß es ein gerichtliches Erkenntniß
gegen die widersetzlichen königlichen Beamten militärisch vollstrecken läßt.

Die Justizrefvrm soll der König nach den Natinves ins Werk gesetzt
haben, um die Unabhängigkeit.des Nichterstandes zu brechen. Der Codex
Fridericianus stellte aber gerade erst die Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber
dem Könige fest. Es heißt darin: „Sie sollen auch aus keine Rescripte, wenn
sie schon aus Unserem Cabinet herrühren, die geringste Reflexion
machen, wenn darin etwas wider die offenbaren Rechte Sulz- et oweM worden,
oder der strenge Lauf Rechtens dadurch gehindert und unterbrochen wird , son¬
dern sie müssen nach Pflicht und Gewissen weiter Verfahren, jedoch von der
Sache Bewandtniß sofort berichten." Und wurden denn die preußischen Ge¬
richte abhängig? Noch am Ende seines Lebens vermochte der König im arnoldschen
Falle nicht, den Gerichten den von ihm gewünschten Spruch abzugewinnen.

Ebenso kläglich steht es mit demjenigen, was der Verfasser der Uf-tmöW
als Lebensgewohnheiten des Königs bezeichnet, z. B. folgende Stelle:

„Ich gebe aller Welt Audienz, nur nicht Priestern, Geistlichen und Mön¬
chen. Diese Herren sind gewohnt in die Ferne zu sprechen. Ich höre sie daher
aus meinem Fenster an, ein Page empfängt sie. und ich mache meine Verbeu¬
gung an der Thür."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/513>, abgerufen am 25.11.2024.