Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.Haß, ein anderen eine lodernde Begeisterung. Religiöse und politische Meinungs¬ Dieser König, der sich, anders als Maria Theresia, nicht dazu verstehen Denn diese Lüge betrifft nicht etwa blos einige allgemeine Principien der Wenn der König öffentlich ißt, so muß ihm nach diesen Natmves sein Wenn der König aus seinen Reisen irgendwo ankommt, so gibt er sich Aber wohl, nehmen wir an. daß Friedrich des Großen Leben nur eine Eines hat bei Feinden und Freunden, als der König noch lebte und nach Grenzboten I. 1363, 64
Haß, ein anderen eine lodernde Begeisterung. Religiöse und politische Meinungs¬ Dieser König, der sich, anders als Maria Theresia, nicht dazu verstehen Denn diese Lüge betrifft nicht etwa blos einige allgemeine Principien der Wenn der König öffentlich ißt, so muß ihm nach diesen Natmves sein Wenn der König aus seinen Reisen irgendwo ankommt, so gibt er sich Aber wohl, nehmen wir an. daß Friedrich des Großen Leben nur eine Eines hat bei Feinden und Freunden, als der König noch lebte und nach Grenzboten I. 1363, 64
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Haß, ein anderen eine lodernde Begeisterung. Religiöse und politische Meinungs¬
verschiedenheiten mögen auch noch heute seinem Bilde ein verschiedenes Colorit
geben. Unter dem Eindrucke seines Alters sehen freilich die Meisten wie in seinen
Porträts, so auch in seiner Person nur die Gestalt des „alten Fritz" mit der
vorn über gebeugten Haltung und mit den steinernen Gesichtszügen. Die Mehrzahl
der Lebenden weiß nichts davon, daß dieser Greis in seiner Jugend und noch in
seinem Mannesalter wie ein auf die Erde herabgestiegener Gott zugleich des
Kriegs und der heitern Lebenstunstc erschien, sie ahnt nichts von der leiden¬
schaftlichen Erregtheit und Gluth seiner Empfindungen, welche bald zu aus¬
gelassener Freude emporgehoben, bald zu Thränen herabgestimmt werden, und
ebensowenig läßt jenes Nestorbild des Königs die scharfe und stolze Mannhaftig-
keit dieser seinen und zart gebildeten Natur erkennen.
Dieser König, der sich, anders als Maria Theresia, nicht dazu verstehen
kann, eine freundliche Empfehlung der allmächtigen Pompadour anders als
mit einem: „ich kenne die Person nicht" zu beantworten, und der durch die von
seiner Leidenschaft dictirten Verse, Witzreden und Flugschriften auf dem Felde
der Politik fast mehr verdirbt, als seine Siege auf dem Schlachtfelde gut
machen können, soll der berechnende Heuchler sein, der in einem vierundsiebzig-
jährigen Leben und durch achtundzwanzig Bände die Welt zu belügen sucht,
um in fünf Morgenstunden, dem Oxuseulo irMit des Herrn Acton, seinem
Neffen die Wahrheit zu sagen. Sollte Herr Acton sich nicht vielleicht gefragt
haben, ob Friedrich der Große die Meinung der Welt hoch genug hielt, um
sich die unerhörte Last einer solchen Verstellung aufzulegen?
Denn diese Lüge betrifft nicht etwa blos einige allgemeine Principien der
Praktischen Politik, sondern jede Einzelheit seines Lebens.
Wenn der König öffentlich ißt, so muß ihm nach diesen Natmves sein
deutscher Koch das Essen bereiten, er trinkt Bier und zwei oder drei Gläser
Wein. Ißt er in seinen eigenen Zimmern, so bereitet der französische Koch
das Essen, und er kann, weil er nahe bei seinem Bette ißt, sich dann mit
voller Sicherheit betrinken.
Wenn der König aus seinen Reisen irgendwo ankommt, so gibt er sich
»immer" das Ansehn, als ob er sehr ermüdet sei. Er läßt sich von den
Leuten wegen seines abgetragenen OberrockS bedauern, und lacht sie nachher
aus, weil er darunter einen guten Rock anhat.
Aber wohl, nehmen wir an. daß Friedrich des Großen Leben nur eine
große Lüge war. und überlassen wir die Sorge, sich deshalb mit Psychologie
und Geschichte abzufinden, dem Hrn. Acton.
Eines hat bei Feinden und Freunden, als der König noch lebte und nach
seinem Tode, für ausgemacht gegolten, daß er ein König von großer und un¬
gewöhnlicher Einsicht war. Dies ist der einzige Punkt, in welchem Herr Acton in
Grenzboten I. 1363, 64
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