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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Herrscht in den oberen Regionen augenblicklich tiefe Ruhe, so ist auch im
Volke anscheinend dasselbe der Fall. Die agitatorische Stimmung, welche zu
Ende des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen Jahres aus Anlaß der
eßlinger und der Stuttgarter Versammlung bemerklich war. ist längst wieder vcr-
braust. Ohne viel Aufsehen hat das Comite der Fortschrittspartei, das auf
der eßlinger Versammlung niedergesetzt worden war, seine definitive Organi¬
sation vorgenommen und endlich am 28. Febr. einen Aufruf an die Partei¬
genossen des Landes erlassen, den es eigentlich sofort nach der Versammlung
dem Lande schuldig war. Diese Verzögerung weist nicht gerade auf ein großes
Interesse hin, das die dortige Entscheidung den eigenen Urhebern eingeflößt
hätte; auch ist zwar selbstverständlich der Beschluß vom 16. Den. als maßgebend
für die politische Haltung der Fortschrittspartei hingestellt und die Aufforderung
zum Eintritt in den Nationalverein wiederholt, aber dabei ist die Ansprache
zugleich sehr versöhnlich gehalten, der Bruch mit sanften Händen berührt, und
als Hauptzweck erscheint die Bildung eines Fonds für politische Zwecke, was
bei der Versammlung selbst sehr in den Hintergrund getreten war.

Allein aufrichtig gesagt, man kann hierin weder etwas Auffallendes noch
etwas Tadelnswerthcs finden. Nachdem einmal die Entscheidung principiell in
erfreulichem Sinn erfolgt ist, warum sollte die Fortschrittspartei, die noch ge¬
nug gemeinschaftliche Arbeit vor sich sieht, wegen solcher Verschiedenheiten, die
augenblicklich nicht praktisch sind, unter einander hadern und ihre Kräfte zer¬
splittern? Warum -- nachdem einmal, wie es nothwendig war, die Gegensätze
klar herausgestellt sind -- fort und fort sich über eine Frage erhitzen, die
gegenwärtig von keiner Seite Aussicht hat auf die Tagesordnung gesetzt zu
werden. Die Hauptsache ist nur, daß, wenn einmal die Frage in ein prak-
tisches Stadium tritt oder wenn sonst wieder die schwäbische Fortschrittspartei
zu einem Votum veranlaßt ist, unverrückbar der Standpunkt der eßlinger Ver¬
sammlung festgehalten und nicht etwa aus Rücksichten auf die einheimischen
Parteiverhältnisse der Zusammenhang mit der deutschen Fortschrittspartei ge¬
fährdet wird. Die Namen der Vorsitzenden jenes Comite, A. Seeger und
Hölder, bürgen dafür, daß dieser Gesichtspunkt nicht aus den Augen ver¬
loren wird.

Ebenso ist auch die Handelsvcrtragsagitation nunmehr völlig bei Seite ge¬
legt worden, und die beiden Parteien, die "Verträglichen" und die "Unverträg¬
lichen", könnten über die Erfolge, welche ihnen die zahlreichen Lvcalversaunn-
lungen gebracht, streiten, wenn es nicht an und für sich ein Erfolg der "Ver¬
träglichen" wäre, daß die ganze Frage aus dem Stadium blinden Glaubens
und blinden Geschreis in das der Gründe und der Discussion hinübergerettet
worden ist. Durch die Tagespresse und die "Kleinen Beiträge", welche im Auf¬
trag des Comites der Stuttgarter Versammlung vom 3. Jan. periodisch erscheinen,


Herrscht in den oberen Regionen augenblicklich tiefe Ruhe, so ist auch im
Volke anscheinend dasselbe der Fall. Die agitatorische Stimmung, welche zu
Ende des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen Jahres aus Anlaß der
eßlinger und der Stuttgarter Versammlung bemerklich war. ist längst wieder vcr-
braust. Ohne viel Aufsehen hat das Comite der Fortschrittspartei, das auf
der eßlinger Versammlung niedergesetzt worden war, seine definitive Organi¬
sation vorgenommen und endlich am 28. Febr. einen Aufruf an die Partei¬
genossen des Landes erlassen, den es eigentlich sofort nach der Versammlung
dem Lande schuldig war. Diese Verzögerung weist nicht gerade auf ein großes
Interesse hin, das die dortige Entscheidung den eigenen Urhebern eingeflößt
hätte; auch ist zwar selbstverständlich der Beschluß vom 16. Den. als maßgebend
für die politische Haltung der Fortschrittspartei hingestellt und die Aufforderung
zum Eintritt in den Nationalverein wiederholt, aber dabei ist die Ansprache
zugleich sehr versöhnlich gehalten, der Bruch mit sanften Händen berührt, und
als Hauptzweck erscheint die Bildung eines Fonds für politische Zwecke, was
bei der Versammlung selbst sehr in den Hintergrund getreten war.

Allein aufrichtig gesagt, man kann hierin weder etwas Auffallendes noch
etwas Tadelnswerthcs finden. Nachdem einmal die Entscheidung principiell in
erfreulichem Sinn erfolgt ist, warum sollte die Fortschrittspartei, die noch ge¬
nug gemeinschaftliche Arbeit vor sich sieht, wegen solcher Verschiedenheiten, die
augenblicklich nicht praktisch sind, unter einander hadern und ihre Kräfte zer¬
splittern? Warum — nachdem einmal, wie es nothwendig war, die Gegensätze
klar herausgestellt sind — fort und fort sich über eine Frage erhitzen, die
gegenwärtig von keiner Seite Aussicht hat auf die Tagesordnung gesetzt zu
werden. Die Hauptsache ist nur, daß, wenn einmal die Frage in ein prak-
tisches Stadium tritt oder wenn sonst wieder die schwäbische Fortschrittspartei
zu einem Votum veranlaßt ist, unverrückbar der Standpunkt der eßlinger Ver¬
sammlung festgehalten und nicht etwa aus Rücksichten auf die einheimischen
Parteiverhältnisse der Zusammenhang mit der deutschen Fortschrittspartei ge¬
fährdet wird. Die Namen der Vorsitzenden jenes Comite, A. Seeger und
Hölder, bürgen dafür, daß dieser Gesichtspunkt nicht aus den Augen ver¬
loren wird.

Ebenso ist auch die Handelsvcrtragsagitation nunmehr völlig bei Seite ge¬
legt worden, und die beiden Parteien, die „Verträglichen" und die „Unverträg¬
lichen", könnten über die Erfolge, welche ihnen die zahlreichen Lvcalversaunn-
lungen gebracht, streiten, wenn es nicht an und für sich ein Erfolg der „Ver¬
träglichen" wäre, daß die ganze Frage aus dem Stadium blinden Glaubens
und blinden Geschreis in das der Gründe und der Discussion hinübergerettet
worden ist. Durch die Tagespresse und die „Kleinen Beiträge", welche im Auf¬
trag des Comites der Stuttgarter Versammlung vom 3. Jan. periodisch erscheinen,


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[0494] Herrscht in den oberen Regionen augenblicklich tiefe Ruhe, so ist auch im Volke anscheinend dasselbe der Fall. Die agitatorische Stimmung, welche zu Ende des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen Jahres aus Anlaß der eßlinger und der Stuttgarter Versammlung bemerklich war. ist längst wieder vcr- braust. Ohne viel Aufsehen hat das Comite der Fortschrittspartei, das auf der eßlinger Versammlung niedergesetzt worden war, seine definitive Organi¬ sation vorgenommen und endlich am 28. Febr. einen Aufruf an die Partei¬ genossen des Landes erlassen, den es eigentlich sofort nach der Versammlung dem Lande schuldig war. Diese Verzögerung weist nicht gerade auf ein großes Interesse hin, das die dortige Entscheidung den eigenen Urhebern eingeflößt hätte; auch ist zwar selbstverständlich der Beschluß vom 16. Den. als maßgebend für die politische Haltung der Fortschrittspartei hingestellt und die Aufforderung zum Eintritt in den Nationalverein wiederholt, aber dabei ist die Ansprache zugleich sehr versöhnlich gehalten, der Bruch mit sanften Händen berührt, und als Hauptzweck erscheint die Bildung eines Fonds für politische Zwecke, was bei der Versammlung selbst sehr in den Hintergrund getreten war. Allein aufrichtig gesagt, man kann hierin weder etwas Auffallendes noch etwas Tadelnswerthcs finden. Nachdem einmal die Entscheidung principiell in erfreulichem Sinn erfolgt ist, warum sollte die Fortschrittspartei, die noch ge¬ nug gemeinschaftliche Arbeit vor sich sieht, wegen solcher Verschiedenheiten, die augenblicklich nicht praktisch sind, unter einander hadern und ihre Kräfte zer¬ splittern? Warum — nachdem einmal, wie es nothwendig war, die Gegensätze klar herausgestellt sind — fort und fort sich über eine Frage erhitzen, die gegenwärtig von keiner Seite Aussicht hat auf die Tagesordnung gesetzt zu werden. Die Hauptsache ist nur, daß, wenn einmal die Frage in ein prak- tisches Stadium tritt oder wenn sonst wieder die schwäbische Fortschrittspartei zu einem Votum veranlaßt ist, unverrückbar der Standpunkt der eßlinger Ver¬ sammlung festgehalten und nicht etwa aus Rücksichten auf die einheimischen Parteiverhältnisse der Zusammenhang mit der deutschen Fortschrittspartei ge¬ fährdet wird. Die Namen der Vorsitzenden jenes Comite, A. Seeger und Hölder, bürgen dafür, daß dieser Gesichtspunkt nicht aus den Augen ver¬ loren wird. Ebenso ist auch die Handelsvcrtragsagitation nunmehr völlig bei Seite ge¬ legt worden, und die beiden Parteien, die „Verträglichen" und die „Unverträg¬ lichen", könnten über die Erfolge, welche ihnen die zahlreichen Lvcalversaunn- lungen gebracht, streiten, wenn es nicht an und für sich ein Erfolg der „Ver¬ träglichen" wäre, daß die ganze Frage aus dem Stadium blinden Glaubens und blinden Geschreis in das der Gründe und der Discussion hinübergerettet worden ist. Durch die Tagespresse und die „Kleinen Beiträge", welche im Auf¬ trag des Comites der Stuttgarter Versammlung vom 3. Jan. periodisch erscheinen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/494>, abgerufen am 23.11.2024.