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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Darauf hält der Kutscher die Pferde an und sagt, indem er sich mit großer
Würde umdreht: Bei Gott, das ist das erste gerechte Urtheil, welches Sie seit
zwölf Monaten abgegeben haben. --- Während die Gesellschaft lachte, bewerk¬
stelligte der Präsident gelassen seinen Rückzug aus der Nachbarschaft des Attor-
nev-General." --

Aehnliche triviale Anekdoten und Redewendungen des Präsidenten laufen zu
Dutzenden in Washington um. So antwortete er auf das Andringen seiner Freunde,
den Kriegsminister Cameron zu entlassen: "Es ist doch gewiß nicht die rechte
Zeit für den Reiter, sein Pferd zu wechseln, wenn er gerade durch einen Strom
reitet." Und so wird erzählt, daß er auf die Frage, wie ihm der Ausfall der
letzten (für feine Partei unglücklichen) Wahlen gefalle, entgegnet habe: "Na
sehen Sie, es geht mir wie jenem Bursche", der, wie er 'mal bei Nacht seinen
Schatz besuche" wollte, sich an einen Stein stieß. Da sagte er: Ich kann eben
nicht darüber lachen, bin aber doch schon zu groß, um darüber zu weinen/'
Seine öffentlichen Ansprachen sind meist auffallend naiv. Die Zeitungscontro-
verse, in die er sich mit Horace Greelev, dem bekannten Redacteur der demo¬
kratischen Newyvrker Tribune einließ, war äußerst taktlos. schürten, welche
seinen Anekdoten lauschte", stahlen ihm ans den Tasche", während sie lachten.
Er versuchte die Radicalen und die Konservativen zu versöhnen und wurde der
Spielball beider. Er mißtraute seinem Oberbefehlshaber, scheute sich aber, die
zu erzürnen, die seine Stützen waren. Er proclamirte die Sklavenemancipa¬
tion und zu gleicher Zeit seine Zweifel an der Gesetzlichkeit der Maßregel.
Kurz, es fehlte ihm an allen Haupteigenschaften eines Trägers der vollziehenden
Gewalt in schwierigen Zeiten, an Entschlossenheit, Würde und Willensstärke.

Dagegen genießt Lincoln den unter amerikanischen Advocaten und Poli¬
tikern seltenen Ruf der Rechtschaffenheit, mit Recht nennt ihn das Volk den
"alten ehrlichen Ave", und immer wird man sich bei dem, was das Gute und
Erfreuliche an der Revolution ist, an die wunderliche Gestalt des Präsidenten
erinnert finden. Ueberall wohin er kommt, verbreitet er Heiterkeit. Kein Mensch
in der Union haßt oder beargwohnt ihn, die bloße Nennung seines Namens
brachte in schlimmer Stunde Zuversicht in die Augen der Soldaten. "Ich ritt," so
erzählt der Verfasser des Aufsatzes im "Cornhill Magazine, "eines Tages
bei Sonnenaufgang in der Gegend des Washingtons-Monuments spazieren. Da
zog mich ein Knallen, was von Rottenfeuer herzurühren schien, nach dem Flu߬
ufer hin. Hier stand hart am Rande des Wassers ein kleines Zelt, aus welchem
der lange Lauf einer Repetirvüchse hervorguckte. Der Präsident war so zeitig
aus seinein Bett gekommen, um dem Feuern zuzusehen, und ich fand ihn auf
den Knieen, indem er die Kurbel drehte, sein Gesicht glühte vor Vergnügen,
und er schrie laut auf wie ein Kind über die großen Resultate, die erreicht
worden waren. Sein Hut lag an der Erde, seine Uhr baumelte ihm aus der


Darauf hält der Kutscher die Pferde an und sagt, indem er sich mit großer
Würde umdreht: Bei Gott, das ist das erste gerechte Urtheil, welches Sie seit
zwölf Monaten abgegeben haben. -— Während die Gesellschaft lachte, bewerk¬
stelligte der Präsident gelassen seinen Rückzug aus der Nachbarschaft des Attor-
nev-General." —

Aehnliche triviale Anekdoten und Redewendungen des Präsidenten laufen zu
Dutzenden in Washington um. So antwortete er auf das Andringen seiner Freunde,
den Kriegsminister Cameron zu entlassen: „Es ist doch gewiß nicht die rechte
Zeit für den Reiter, sein Pferd zu wechseln, wenn er gerade durch einen Strom
reitet." Und so wird erzählt, daß er auf die Frage, wie ihm der Ausfall der
letzten (für feine Partei unglücklichen) Wahlen gefalle, entgegnet habe: „Na
sehen Sie, es geht mir wie jenem Bursche», der, wie er 'mal bei Nacht seinen
Schatz besuche» wollte, sich an einen Stein stieß. Da sagte er: Ich kann eben
nicht darüber lachen, bin aber doch schon zu groß, um darüber zu weinen/'
Seine öffentlichen Ansprachen sind meist auffallend naiv. Die Zeitungscontro-
verse, in die er sich mit Horace Greelev, dem bekannten Redacteur der demo¬
kratischen Newyvrker Tribune einließ, war äußerst taktlos. schürten, welche
seinen Anekdoten lauschte», stahlen ihm ans den Tasche», während sie lachten.
Er versuchte die Radicalen und die Konservativen zu versöhnen und wurde der
Spielball beider. Er mißtraute seinem Oberbefehlshaber, scheute sich aber, die
zu erzürnen, die seine Stützen waren. Er proclamirte die Sklavenemancipa¬
tion und zu gleicher Zeit seine Zweifel an der Gesetzlichkeit der Maßregel.
Kurz, es fehlte ihm an allen Haupteigenschaften eines Trägers der vollziehenden
Gewalt in schwierigen Zeiten, an Entschlossenheit, Würde und Willensstärke.

Dagegen genießt Lincoln den unter amerikanischen Advocaten und Poli¬
tikern seltenen Ruf der Rechtschaffenheit, mit Recht nennt ihn das Volk den
„alten ehrlichen Ave", und immer wird man sich bei dem, was das Gute und
Erfreuliche an der Revolution ist, an die wunderliche Gestalt des Präsidenten
erinnert finden. Ueberall wohin er kommt, verbreitet er Heiterkeit. Kein Mensch
in der Union haßt oder beargwohnt ihn, die bloße Nennung seines Namens
brachte in schlimmer Stunde Zuversicht in die Augen der Soldaten. „Ich ritt," so
erzählt der Verfasser des Aufsatzes im „Cornhill Magazine, „eines Tages
bei Sonnenaufgang in der Gegend des Washingtons-Monuments spazieren. Da
zog mich ein Knallen, was von Rottenfeuer herzurühren schien, nach dem Flu߬
ufer hin. Hier stand hart am Rande des Wassers ein kleines Zelt, aus welchem
der lange Lauf einer Repetirvüchse hervorguckte. Der Präsident war so zeitig
aus seinein Bett gekommen, um dem Feuern zuzusehen, und ich fand ihn auf
den Knieen, indem er die Kurbel drehte, sein Gesicht glühte vor Vergnügen,
und er schrie laut auf wie ein Kind über die großen Resultate, die erreicht
worden waren. Sein Hut lag an der Erde, seine Uhr baumelte ihm aus der


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[0476] Darauf hält der Kutscher die Pferde an und sagt, indem er sich mit großer Würde umdreht: Bei Gott, das ist das erste gerechte Urtheil, welches Sie seit zwölf Monaten abgegeben haben. -— Während die Gesellschaft lachte, bewerk¬ stelligte der Präsident gelassen seinen Rückzug aus der Nachbarschaft des Attor- nev-General." — Aehnliche triviale Anekdoten und Redewendungen des Präsidenten laufen zu Dutzenden in Washington um. So antwortete er auf das Andringen seiner Freunde, den Kriegsminister Cameron zu entlassen: „Es ist doch gewiß nicht die rechte Zeit für den Reiter, sein Pferd zu wechseln, wenn er gerade durch einen Strom reitet." Und so wird erzählt, daß er auf die Frage, wie ihm der Ausfall der letzten (für feine Partei unglücklichen) Wahlen gefalle, entgegnet habe: „Na sehen Sie, es geht mir wie jenem Bursche», der, wie er 'mal bei Nacht seinen Schatz besuche» wollte, sich an einen Stein stieß. Da sagte er: Ich kann eben nicht darüber lachen, bin aber doch schon zu groß, um darüber zu weinen/' Seine öffentlichen Ansprachen sind meist auffallend naiv. Die Zeitungscontro- verse, in die er sich mit Horace Greelev, dem bekannten Redacteur der demo¬ kratischen Newyvrker Tribune einließ, war äußerst taktlos. schürten, welche seinen Anekdoten lauschte», stahlen ihm ans den Tasche», während sie lachten. Er versuchte die Radicalen und die Konservativen zu versöhnen und wurde der Spielball beider. Er mißtraute seinem Oberbefehlshaber, scheute sich aber, die zu erzürnen, die seine Stützen waren. Er proclamirte die Sklavenemancipa¬ tion und zu gleicher Zeit seine Zweifel an der Gesetzlichkeit der Maßregel. Kurz, es fehlte ihm an allen Haupteigenschaften eines Trägers der vollziehenden Gewalt in schwierigen Zeiten, an Entschlossenheit, Würde und Willensstärke. Dagegen genießt Lincoln den unter amerikanischen Advocaten und Poli¬ tikern seltenen Ruf der Rechtschaffenheit, mit Recht nennt ihn das Volk den „alten ehrlichen Ave", und immer wird man sich bei dem, was das Gute und Erfreuliche an der Revolution ist, an die wunderliche Gestalt des Präsidenten erinnert finden. Ueberall wohin er kommt, verbreitet er Heiterkeit. Kein Mensch in der Union haßt oder beargwohnt ihn, die bloße Nennung seines Namens brachte in schlimmer Stunde Zuversicht in die Augen der Soldaten. „Ich ritt," so erzählt der Verfasser des Aufsatzes im „Cornhill Magazine, „eines Tages bei Sonnenaufgang in der Gegend des Washingtons-Monuments spazieren. Da zog mich ein Knallen, was von Rottenfeuer herzurühren schien, nach dem Flu߬ ufer hin. Hier stand hart am Rande des Wassers ein kleines Zelt, aus welchem der lange Lauf einer Repetirvüchse hervorguckte. Der Präsident war so zeitig aus seinein Bett gekommen, um dem Feuern zuzusehen, und ich fand ihn auf den Knieen, indem er die Kurbel drehte, sein Gesicht glühte vor Vergnügen, und er schrie laut auf wie ein Kind über die großen Resultate, die erreicht worden waren. Sein Hut lag an der Erde, seine Uhr baumelte ihm aus der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/476>, abgerufen am 29.11.2024.