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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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großen und weit abstehenden Ohren machen, kann durch den Zug von Güte,
Klugheit und grotesker Gutmüthigkeit zurückgedrängt werden, den sein Antlitz
zeigt. Der Mund ist unbedingt ungeheuer, die Lippen, die sich schier von ein^r
Linie schwarzen Bartes bis zur andern erstrecken, werden nur von zwei riefen
Falten, die von den Nasenflügeln dio zum Kinn herablaufen, von weiteren
Ausschreitungen abgehalten. Die Nase, ein Organ von beträchtlicher Größe,
tritt aus dem Gesicht mit einer gewissen fragenden Aengstlichkeit hervor, als ob sie
"ach irgend etwas Gutem in den Wind hincinschnüsseln wollte. Die Augen, dun¬
kel, voll und tiefliegend, sind durchdringend, aber von einem Ausdruck, der
fast wie Zärtlichkeit aussieht, und über ihnen treten borstige Augenbrauen
hervor, welche in einen kleinen harten Stirnraum endigen, dessen Entwickelung
sich kaum genau bemessen läßt, da unregelmäßige Locken dichten Haares sorglos
darüber gekämmt sind."

Bei der Gelegenheit lernte Russell auch Seward und verschiedene andere
Minister Lincolns kennen, deren Porträts man in dem Buche selbst aufsuchen
möge. Hiev nnr noch eine Probe der Art, auf welche sich Lincoln der Anek¬
doten bedient, deretwegen er berühmt ist.

Russell sagt: "Wo Veute. erzogen an Höfen, gewöhnt an die Welt oder
"'fahren in der Diplomatie irgend eine Ausflucht gebrauchen, eine artige Rede
halten oder mit den Achseln zucken würden, um sich aus einer Verlegenheit zu
Ziehen, läßt Mr. Lincoln die Leute über irgend eine kecke Anekdote aus dem
Westen lachen und macht sich dann in der Wolke von Heiterkeit, die sein Spaß
erzeugt hat, aus dem Staube. So fuhr, als Mr. Bates (der Justizminister)
lebhaft gegen die Ernennung eines unbedeutenden Advocaten zu einem wich¬
tigen Nichtcrpvsten Einspruch erhob, der Präsident mit den Worten dazwischen:
"Ach lassen Sie das. Bates, er ist nicht halb so schlimm, als Sie meinen.
Dann aber muß ich Ihnen sagen, daß er mir vor langen Jahren einmal einen
großen Dienst erzeigt hat. Als ich mich aufs Advocatwcrden legte, ging ich eines
Morgens zu Gericht. Ich lenkte so was wie zehn oder zwölf Meilen schlechten
Weges vor mir und kein Pferd. Der Indge holte mich mit seinem Wagen el".
Holla, Lincoln! Gehen Sie nicht nach dem Gerichtshause'!! Steigen Sie ein,
Sie sollen einen Platz haben. So stieg ich denn ein. und der Iudge fuhr
W't. seine Papiere zu lesen. Plötzlich stößt der Wagen an einen Baumstumpf
auf der einen Seite der Straße, daß er auf die andere hiuübcrfliegt. Ich gucke
hinaus und sehe wie der Kutscher auf seinem Bock hinüber- und herübcrbaumelt.
Sag' ich: Iudge. ich dächte, Ihr Kutscher hätte diesen Morgen ein Bischen
Zu tief ins Glas geguckt. -- Na wahrhaftig. Lincoln, sagt er. ich sollte mich
nicht wundern, wenn Sie recht hätte"; denn er hat mich seit dem Wegfahren
wohl ein halb Dutzend Mal beinahe umgeschmissen. -- So steckt er seinen Kops
aus dem Schlag und schreit: El du verdammter Racker, du bist ja besoffen!


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großen und weit abstehenden Ohren machen, kann durch den Zug von Güte,
Klugheit und grotesker Gutmüthigkeit zurückgedrängt werden, den sein Antlitz
zeigt. Der Mund ist unbedingt ungeheuer, die Lippen, die sich schier von ein^r
Linie schwarzen Bartes bis zur andern erstrecken, werden nur von zwei riefen
Falten, die von den Nasenflügeln dio zum Kinn herablaufen, von weiteren
Ausschreitungen abgehalten. Die Nase, ein Organ von beträchtlicher Größe,
tritt aus dem Gesicht mit einer gewissen fragenden Aengstlichkeit hervor, als ob sie
»ach irgend etwas Gutem in den Wind hincinschnüsseln wollte. Die Augen, dun¬
kel, voll und tiefliegend, sind durchdringend, aber von einem Ausdruck, der
fast wie Zärtlichkeit aussieht, und über ihnen treten borstige Augenbrauen
hervor, welche in einen kleinen harten Stirnraum endigen, dessen Entwickelung
sich kaum genau bemessen läßt, da unregelmäßige Locken dichten Haares sorglos
darüber gekämmt sind."

Bei der Gelegenheit lernte Russell auch Seward und verschiedene andere
Minister Lincolns kennen, deren Porträts man in dem Buche selbst aufsuchen
möge. Hiev nnr noch eine Probe der Art, auf welche sich Lincoln der Anek¬
doten bedient, deretwegen er berühmt ist.

Russell sagt: „Wo Veute. erzogen an Höfen, gewöhnt an die Welt oder
"'fahren in der Diplomatie irgend eine Ausflucht gebrauchen, eine artige Rede
halten oder mit den Achseln zucken würden, um sich aus einer Verlegenheit zu
Ziehen, läßt Mr. Lincoln die Leute über irgend eine kecke Anekdote aus dem
Westen lachen und macht sich dann in der Wolke von Heiterkeit, die sein Spaß
erzeugt hat, aus dem Staube. So fuhr, als Mr. Bates (der Justizminister)
lebhaft gegen die Ernennung eines unbedeutenden Advocaten zu einem wich¬
tigen Nichtcrpvsten Einspruch erhob, der Präsident mit den Worten dazwischen:
»Ach lassen Sie das. Bates, er ist nicht halb so schlimm, als Sie meinen.
Dann aber muß ich Ihnen sagen, daß er mir vor langen Jahren einmal einen
großen Dienst erzeigt hat. Als ich mich aufs Advocatwcrden legte, ging ich eines
Morgens zu Gericht. Ich lenkte so was wie zehn oder zwölf Meilen schlechten
Weges vor mir und kein Pferd. Der Indge holte mich mit seinem Wagen el».
Holla, Lincoln! Gehen Sie nicht nach dem Gerichtshause'!! Steigen Sie ein,
Sie sollen einen Platz haben. So stieg ich denn ein. und der Iudge fuhr
W't. seine Papiere zu lesen. Plötzlich stößt der Wagen an einen Baumstumpf
auf der einen Seite der Straße, daß er auf die andere hiuübcrfliegt. Ich gucke
hinaus und sehe wie der Kutscher auf seinem Bock hinüber- und herübcrbaumelt.
Sag' ich: Iudge. ich dächte, Ihr Kutscher hätte diesen Morgen ein Bischen
Zu tief ins Glas geguckt. — Na wahrhaftig. Lincoln, sagt er. ich sollte mich
nicht wundern, wenn Sie recht hätte»; denn er hat mich seit dem Wegfahren
wohl ein halb Dutzend Mal beinahe umgeschmissen. — So steckt er seinen Kops
aus dem Schlag und schreit: El du verdammter Racker, du bist ja besoffen!


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[0475] großen und weit abstehenden Ohren machen, kann durch den Zug von Güte, Klugheit und grotesker Gutmüthigkeit zurückgedrängt werden, den sein Antlitz zeigt. Der Mund ist unbedingt ungeheuer, die Lippen, die sich schier von ein^r Linie schwarzen Bartes bis zur andern erstrecken, werden nur von zwei riefen Falten, die von den Nasenflügeln dio zum Kinn herablaufen, von weiteren Ausschreitungen abgehalten. Die Nase, ein Organ von beträchtlicher Größe, tritt aus dem Gesicht mit einer gewissen fragenden Aengstlichkeit hervor, als ob sie »ach irgend etwas Gutem in den Wind hincinschnüsseln wollte. Die Augen, dun¬ kel, voll und tiefliegend, sind durchdringend, aber von einem Ausdruck, der fast wie Zärtlichkeit aussieht, und über ihnen treten borstige Augenbrauen hervor, welche in einen kleinen harten Stirnraum endigen, dessen Entwickelung sich kaum genau bemessen läßt, da unregelmäßige Locken dichten Haares sorglos darüber gekämmt sind." Bei der Gelegenheit lernte Russell auch Seward und verschiedene andere Minister Lincolns kennen, deren Porträts man in dem Buche selbst aufsuchen möge. Hiev nnr noch eine Probe der Art, auf welche sich Lincoln der Anek¬ doten bedient, deretwegen er berühmt ist. Russell sagt: „Wo Veute. erzogen an Höfen, gewöhnt an die Welt oder "'fahren in der Diplomatie irgend eine Ausflucht gebrauchen, eine artige Rede halten oder mit den Achseln zucken würden, um sich aus einer Verlegenheit zu Ziehen, läßt Mr. Lincoln die Leute über irgend eine kecke Anekdote aus dem Westen lachen und macht sich dann in der Wolke von Heiterkeit, die sein Spaß erzeugt hat, aus dem Staube. So fuhr, als Mr. Bates (der Justizminister) lebhaft gegen die Ernennung eines unbedeutenden Advocaten zu einem wich¬ tigen Nichtcrpvsten Einspruch erhob, der Präsident mit den Worten dazwischen: »Ach lassen Sie das. Bates, er ist nicht halb so schlimm, als Sie meinen. Dann aber muß ich Ihnen sagen, daß er mir vor langen Jahren einmal einen großen Dienst erzeigt hat. Als ich mich aufs Advocatwcrden legte, ging ich eines Morgens zu Gericht. Ich lenkte so was wie zehn oder zwölf Meilen schlechten Weges vor mir und kein Pferd. Der Indge holte mich mit seinem Wagen el». Holla, Lincoln! Gehen Sie nicht nach dem Gerichtshause'!! Steigen Sie ein, Sie sollen einen Platz haben. So stieg ich denn ein. und der Iudge fuhr W't. seine Papiere zu lesen. Plötzlich stößt der Wagen an einen Baumstumpf auf der einen Seite der Straße, daß er auf die andere hiuübcrfliegt. Ich gucke hinaus und sehe wie der Kutscher auf seinem Bock hinüber- und herübcrbaumelt. Sag' ich: Iudge. ich dächte, Ihr Kutscher hätte diesen Morgen ein Bischen Zu tief ins Glas geguckt. — Na wahrhaftig. Lincoln, sagt er. ich sollte mich nicht wundern, wenn Sie recht hätte»; denn er hat mich seit dem Wegfahren wohl ein halb Dutzend Mal beinahe umgeschmissen. — So steckt er seinen Kops aus dem Schlag und schreit: El du verdammter Racker, du bist ja besoffen! 59»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/475>, abgerufen am 29.11.2024.