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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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oder daß Schnicpel ^jun., der hübsche Stenograph auf der Galerie des Ab¬
geordnetenhauses mit der Tochter des würdigen Mr. Elieser Thalermann im
Parterre davonlief -- Ereignisse, welche der Stadt Krämpfe verursachten und
die Zeitungen und Klatschgcvattcrn im ganzen Lande glücklich machten.

Es gab in der Saison eine gute Anzahl von politischen Jndustrieritteni
aller Arten hier, besonders in den letzten zehn Jahren vor dem Kriege. Aber
es gab auch eine gute Anzahl rechtschaffner Leute. Namentlich enthielten die
Regierungskanzleien gewisse räthselhafte Geschöpfe, die stillen Gemüthern Wa¬
shington sehr angenehm machten. Damit meinen wir jene alle" Secreläre,
Registraturen und Assessoren, welche durch gewissenhafte Erfüllung ganz be¬
sonderer Pflichten sich unabsetzbar, weil unersetzbar gemacht hatten und so, un¬
berührt von der großen "Beamtenausfegung" bei jedem Wechsel der Executive,
von Präsident zu Präsident forterbten. Sie mischten sich nicht in den Streit
der Parteien. Sie hatten nichts mit politischen Intriguen zu schaffen. Sie
sollen sogar bisweilen ihr Wahlvoium nicht abgegeben haben. Gleich den we¬
nigen Gerechten in Sodom wandelten sie von Hause nach ihrer Kanzlei und von
ihrer Kanzlei nach Hause, bis der Perpendikel still stand und sie so still ver¬
schwanden wie sie gelebt hatten. Sie sind die einzigen Glieder, welche die
Gegenwart mit den Anfangszeiten der Republik verbanden, als ein Amt noch
une Ehre war und reine Charaktere das Ruder führten. Ihre Pfiffigen Zeit¬
genossen in bey Kanzleien der Executive nennen sie "antcdiluvianische Geschöpfe",
aber das galt auch von den beiden Adams, Die Race stirbt jetzt aus, und
die wenigen, die übrig sind, machen, verloren unter Rudeln habgieriger Liefe¬
ranten und lärmender Demagogen, verblüfftere Gesichter als Rip Ban Winkle,
wie er aus seinem "jahrelangen Traum erwachte.

Die Stadt war also früher nicht allzu verderbt, und es gab wirklich mehr
anständig denkende und ehrliche Leute da, als die Zeitungen zugestehen woll¬
en. Aber mit dem Kriege kamen ungeheure Ausgaben für Kleider, Proviant,
Geschütze. Gewehre, Pferde, Schiffe und Beförderung der Truppen, und jetzt
knellen jedem dritte" Mann in Amerika die Finger nach einem Antheil an der
^ente. Die Habgierigen, die Meineidigen, die Unverschämter eilten sofort
herbei und das Knegs- und Marinedepartcment befanden sich von diesem Augen¬
blick an thatsächlich im Zustand belagerter Festungen. Schildwachen versperrten
Zugang zu den öffentlichen Behörden, persönliche Gesuche bei denselben
anzubringen wurde verboten, und zu den Haupterfordernissen eines Bureau-
chefs gehörten Blindheit, Taubheit und Fühllosigkeit. Jeder Staat der Union
War durch Gauner vertreten. Das Heer von Schurken, welches sich hier nach
PrvsitclM drängte, war so stark fast als das hier versammelte Soldatenhecr.
Durch keine Drohung eingeschüchtert, durch keinerlei Entlarvung verblüfft, stäh¬
ln diese grundsatzloser Patrioten und machten sich lustig über das Unglück des


oder daß Schnicpel ^jun., der hübsche Stenograph auf der Galerie des Ab¬
geordnetenhauses mit der Tochter des würdigen Mr. Elieser Thalermann im
Parterre davonlief — Ereignisse, welche der Stadt Krämpfe verursachten und
die Zeitungen und Klatschgcvattcrn im ganzen Lande glücklich machten.

Es gab in der Saison eine gute Anzahl von politischen Jndustrieritteni
aller Arten hier, besonders in den letzten zehn Jahren vor dem Kriege. Aber
es gab auch eine gute Anzahl rechtschaffner Leute. Namentlich enthielten die
Regierungskanzleien gewisse räthselhafte Geschöpfe, die stillen Gemüthern Wa¬
shington sehr angenehm machten. Damit meinen wir jene alle» Secreläre,
Registraturen und Assessoren, welche durch gewissenhafte Erfüllung ganz be¬
sonderer Pflichten sich unabsetzbar, weil unersetzbar gemacht hatten und so, un¬
berührt von der großen „Beamtenausfegung" bei jedem Wechsel der Executive,
von Präsident zu Präsident forterbten. Sie mischten sich nicht in den Streit
der Parteien. Sie hatten nichts mit politischen Intriguen zu schaffen. Sie
sollen sogar bisweilen ihr Wahlvoium nicht abgegeben haben. Gleich den we¬
nigen Gerechten in Sodom wandelten sie von Hause nach ihrer Kanzlei und von
ihrer Kanzlei nach Hause, bis der Perpendikel still stand und sie so still ver¬
schwanden wie sie gelebt hatten. Sie sind die einzigen Glieder, welche die
Gegenwart mit den Anfangszeiten der Republik verbanden, als ein Amt noch
une Ehre war und reine Charaktere das Ruder führten. Ihre Pfiffigen Zeit¬
genossen in bey Kanzleien der Executive nennen sie „antcdiluvianische Geschöpfe",
aber das galt auch von den beiden Adams, Die Race stirbt jetzt aus, und
die wenigen, die übrig sind, machen, verloren unter Rudeln habgieriger Liefe¬
ranten und lärmender Demagogen, verblüfftere Gesichter als Rip Ban Winkle,
wie er aus seinem «jahrelangen Traum erwachte.

Die Stadt war also früher nicht allzu verderbt, und es gab wirklich mehr
anständig denkende und ehrliche Leute da, als die Zeitungen zugestehen woll¬
en. Aber mit dem Kriege kamen ungeheure Ausgaben für Kleider, Proviant,
Geschütze. Gewehre, Pferde, Schiffe und Beförderung der Truppen, und jetzt
knellen jedem dritte» Mann in Amerika die Finger nach einem Antheil an der
^ente. Die Habgierigen, die Meineidigen, die Unverschämter eilten sofort
herbei und das Knegs- und Marinedepartcment befanden sich von diesem Augen¬
blick an thatsächlich im Zustand belagerter Festungen. Schildwachen versperrten
Zugang zu den öffentlichen Behörden, persönliche Gesuche bei denselben
anzubringen wurde verboten, und zu den Haupterfordernissen eines Bureau-
chefs gehörten Blindheit, Taubheit und Fühllosigkeit. Jeder Staat der Union
War durch Gauner vertreten. Das Heer von Schurken, welches sich hier nach
PrvsitclM drängte, war so stark fast als das hier versammelte Soldatenhecr.
Durch keine Drohung eingeschüchtert, durch keinerlei Entlarvung verblüfft, stäh¬
ln diese grundsatzloser Patrioten und machten sich lustig über das Unglück des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/471>, abgerufen am 29.11.2024.