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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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begaben sich einige Gutsbesitzer und sonstige Personen ^zum Rabbi. dankten,
versicherten ihn ihrer Geneigtheit, mit den Juden in Frieden zu leben, und
forderten ihn aus. die Synagoge zu öffnen, indem sie auch dort ein Gebet
Matten wollten. In der Synagoge ließen sie auf ein stilles Gebet ein lautes
Lvi5L folgen.
Die Theilnehmer dieser Processton trugen ein roth und weißes Zeichen an
der Confederatka (viereckige Mütze), welches sie großmüthig theilten und weiter¬
gaben. Es war das Geschenk eines Geistlichen "aus dem Königreich", welcher
die Procession bis an die Grenze begleitet, dort gerufen hatte: Meinen Segen
gebe ich euch mit, sonst kann ich euch nichts weiter mitgeben. Er hatte sich dann
aber noch besonnen und prophetisch das weiße Chorhemd sowie den rothen
Ministrantenanzug in Fetzen zerrissen, aus ihnen weiß-rothe Cocarden gebildet
und die Gläubigen damit geziert.
Zu diesen großen politischen Acten kommen nun noch einige Praktiken,
die sich bald gegen die Deutschen überhaupt, bald gegen Einzelne unter ihnen
richten. In Sabrina ward ein Gerichtsdircctor. dessen Entscheidung in der
Sprachenfrage nicht behagte, kurzweg gefordert. In Pinscher ein unbequemer
Bürgermeister -- doch das ist die letzte längere Geschichte, zu der ich einen
besondern Anlauf brauche. Zu unsern katholischen Feiertagen kommen noch
die mit einem großen Ablaß verbundenen Spccialfeste der Localheiligen. Bei
diesen "Ablässen" wird durch das Zusammenströmen der Massen aus mehren
Parochien eine erhöhte geistliche Thätigkeit nöthig. Der Ortspfarrer findet sich
dann bei seinen Herrn Brüdern durch ein glänzendes Diner ab. zu dem Sie
auch eine Einladung haben sollen, wenn Sie uns einmal besuchen; denn es
werden deutsche Gäste in großer Zahl geladen. Widerstrebend nahm der Bür¬
germeister Hautzinger seine Aufforderung an. und als die Köpfe warm, die
Füße schwer wurden, versuchte er, wie wir minder Trunkscrtigen hier gern thun,
"polnischen Abschied" zu nehmen, d. h. sich still zu entfernen. Man kam ihm
nach und trug ihn auf den Schultern wieder herauf. Der geschmeichelte Consul
sprach nun auch dem Ungarweine zu und begann sich etwas aufzuknöpfen.
"I. Brüderchen, was wird die Regierung sagen, daß du hier mit uns trinkst".
^ "Ach was," sagt der in seinem Wasserpolnisch, "ich freß die Regierung",
uicht wissend, welch' schweren, unästhetischen Sinn die Worte frau im rs-
!^ne)-H hochpolnisch haben. Anderen Tags ward Hautzinger von seinen polni¬
schen Tischgenossen -- dem Staatsanwalt denuncirt.
In Trzemeszno wußten sie sich mit dem Beamten, der in der Processions-
angelegenhcit ein ungünstiges Zeugniß abgelegt, durch Steine, die sie gegen
>Ku und dann durch seine Fenster warfen, abzufinden. In Xions wurden acht
Bürger, die eine Polizeistrafe im Kreisgericht zu Sabrina abgebüßt hatten, in
feierlichem Zuge, an welchem der Geistliche und die Schule -- aber, wie sie

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begaben sich einige Gutsbesitzer und sonstige Personen ^zum Rabbi. dankten,
versicherten ihn ihrer Geneigtheit, mit den Juden in Frieden zu leben, und
forderten ihn aus. die Synagoge zu öffnen, indem sie auch dort ein Gebet
Matten wollten. In der Synagoge ließen sie auf ein stilles Gebet ein lautes
Lvi5L folgen.
Die Theilnehmer dieser Processton trugen ein roth und weißes Zeichen an
der Confederatka (viereckige Mütze), welches sie großmüthig theilten und weiter¬
gaben. Es war das Geschenk eines Geistlichen „aus dem Königreich", welcher
die Procession bis an die Grenze begleitet, dort gerufen hatte: Meinen Segen
gebe ich euch mit, sonst kann ich euch nichts weiter mitgeben. Er hatte sich dann
aber noch besonnen und prophetisch das weiße Chorhemd sowie den rothen
Ministrantenanzug in Fetzen zerrissen, aus ihnen weiß-rothe Cocarden gebildet
und die Gläubigen damit geziert.
Zu diesen großen politischen Acten kommen nun noch einige Praktiken,
die sich bald gegen die Deutschen überhaupt, bald gegen Einzelne unter ihnen
richten. In Sabrina ward ein Gerichtsdircctor. dessen Entscheidung in der
Sprachenfrage nicht behagte, kurzweg gefordert. In Pinscher ein unbequemer
Bürgermeister — doch das ist die letzte längere Geschichte, zu der ich einen
besondern Anlauf brauche. Zu unsern katholischen Feiertagen kommen noch
die mit einem großen Ablaß verbundenen Spccialfeste der Localheiligen. Bei
diesen „Ablässen" wird durch das Zusammenströmen der Massen aus mehren
Parochien eine erhöhte geistliche Thätigkeit nöthig. Der Ortspfarrer findet sich
dann bei seinen Herrn Brüdern durch ein glänzendes Diner ab. zu dem Sie
auch eine Einladung haben sollen, wenn Sie uns einmal besuchen; denn es
werden deutsche Gäste in großer Zahl geladen. Widerstrebend nahm der Bür¬
germeister Hautzinger seine Aufforderung an. und als die Köpfe warm, die
Füße schwer wurden, versuchte er, wie wir minder Trunkscrtigen hier gern thun,
»polnischen Abschied" zu nehmen, d. h. sich still zu entfernen. Man kam ihm
nach und trug ihn auf den Schultern wieder herauf. Der geschmeichelte Consul
sprach nun auch dem Ungarweine zu und begann sich etwas aufzuknöpfen.
»I. Brüderchen, was wird die Regierung sagen, daß du hier mit uns trinkst".
^ „Ach was," sagt der in seinem Wasserpolnisch, „ich freß die Regierung",
uicht wissend, welch' schweren, unästhetischen Sinn die Worte frau im rs-
!^ne)-H hochpolnisch haben. Anderen Tags ward Hautzinger von seinen polni¬
schen Tischgenossen — dem Staatsanwalt denuncirt.
In Trzemeszno wußten sie sich mit dem Beamten, der in der Processions-
angelegenhcit ein ungünstiges Zeugniß abgelegt, durch Steine, die sie gegen
>Ku und dann durch seine Fenster warfen, abzufinden. In Xions wurden acht
Bürger, die eine Polizeistrafe im Kreisgericht zu Sabrina abgebüßt hatten, in
feierlichem Zuge, an welchem der Geistliche und die Schule — aber, wie sie

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[0465] begaben sich einige Gutsbesitzer und sonstige Personen ^zum Rabbi. dankten, versicherten ihn ihrer Geneigtheit, mit den Juden in Frieden zu leben, und forderten ihn aus. die Synagoge zu öffnen, indem sie auch dort ein Gebet Matten wollten. In der Synagoge ließen sie auf ein stilles Gebet ein lautes Lvi5L folgen. Die Theilnehmer dieser Processton trugen ein roth und weißes Zeichen an der Confederatka (viereckige Mütze), welches sie großmüthig theilten und weiter¬ gaben. Es war das Geschenk eines Geistlichen „aus dem Königreich", welcher die Procession bis an die Grenze begleitet, dort gerufen hatte: Meinen Segen gebe ich euch mit, sonst kann ich euch nichts weiter mitgeben. Er hatte sich dann aber noch besonnen und prophetisch das weiße Chorhemd sowie den rothen Ministrantenanzug in Fetzen zerrissen, aus ihnen weiß-rothe Cocarden gebildet und die Gläubigen damit geziert. Zu diesen großen politischen Acten kommen nun noch einige Praktiken, die sich bald gegen die Deutschen überhaupt, bald gegen Einzelne unter ihnen richten. In Sabrina ward ein Gerichtsdircctor. dessen Entscheidung in der Sprachenfrage nicht behagte, kurzweg gefordert. In Pinscher ein unbequemer Bürgermeister — doch das ist die letzte längere Geschichte, zu der ich einen besondern Anlauf brauche. Zu unsern katholischen Feiertagen kommen noch die mit einem großen Ablaß verbundenen Spccialfeste der Localheiligen. Bei diesen „Ablässen" wird durch das Zusammenströmen der Massen aus mehren Parochien eine erhöhte geistliche Thätigkeit nöthig. Der Ortspfarrer findet sich dann bei seinen Herrn Brüdern durch ein glänzendes Diner ab. zu dem Sie auch eine Einladung haben sollen, wenn Sie uns einmal besuchen; denn es werden deutsche Gäste in großer Zahl geladen. Widerstrebend nahm der Bür¬ germeister Hautzinger seine Aufforderung an. und als die Köpfe warm, die Füße schwer wurden, versuchte er, wie wir minder Trunkscrtigen hier gern thun, »polnischen Abschied" zu nehmen, d. h. sich still zu entfernen. Man kam ihm nach und trug ihn auf den Schultern wieder herauf. Der geschmeichelte Consul sprach nun auch dem Ungarweine zu und begann sich etwas aufzuknöpfen. »I. Brüderchen, was wird die Regierung sagen, daß du hier mit uns trinkst". ^ „Ach was," sagt der in seinem Wasserpolnisch, „ich freß die Regierung", uicht wissend, welch' schweren, unästhetischen Sinn die Worte frau im rs- !^ne)-H hochpolnisch haben. Anderen Tags ward Hautzinger von seinen polni¬ schen Tischgenossen — dem Staatsanwalt denuncirt. In Trzemeszno wußten sie sich mit dem Beamten, der in der Processions- angelegenhcit ein ungünstiges Zeugniß abgelegt, durch Steine, die sie gegen >Ku und dann durch seine Fenster warfen, abzufinden. In Xions wurden acht Bürger, die eine Polizeistrafe im Kreisgericht zu Sabrina abgebüßt hatten, in feierlichem Zuge, an welchem der Geistliche und die Schule — aber, wie sie Grenzboten l. 1S63. »8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/465>, abgerufen am 30.11.2024.