Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

geworden sind. Haben wir ihm und dem Uebersetzer so schon für den Versuch zu
danken, der Welt der allgemein Gebildeten ein völlig neues Gebiet des Wissens aus¬
zuschließen, so muß das Werk um so wärmer willkommen geheißen werden, als es
den zum Theil nicht leicht für den Laien klar zu machenden Stoff mit großer Ge-
schicklichkeit in das rechte Licht stellt. Ueberall finden wir, daß der Verfasser seinen
Gegenstand gründlich kennt, ihn vollkommen in der Gewalt hat, und die Präcision
des Vortrage läßt nur eins bedauern- die Darstellung ist so knapp, daß es schwer
fällt, ans dem Buch einen Auszug zu geben. Die wissenschaftliche Kritik wird an
der vom Verfasser gegebenen Lösung einzelner specieller Fragen, z. B, an seiner
Ansicht vom Ursprung der Sprache, hier und da auszusetzen haben. Auch mußten
Vorträge, die sich an Laien richteten, wohl schon der Kürze und Uebersichtlichkeit halber
manches Ergebniß der gelehrten Untersuchung, das noch fraglich scheint, als fertig
und abgeschlossen behandeln. Indeß' treten solche Mängel, die übrigens populären
Schriften über naturwissenschaftliche Gegenstände oft weit mehr anhaften, vor der
schönen Entwickelung der wirklich gewonnenen, von allen sprachkundigen anerkannten
Resultate in den Hintergrund. Mancher wird ferner die systematische Ordnung der
einzelnen Materien der hier beliebten vorziehen, die den Leser zuerst zu Bekannten
und dann zu weniger Bekannten und Leichtem führt. Möchten wir hierin dem
Verfasser vielmehr unsern Beifall aussprechen, da dieser Weg das Verständniß dem
größern Publicum beträchtlich erleichtert, so Hütte die Bearbeitung einige andere
Eigenthümlichkeiten des Originals als Uebelstände ansehen und umgestalten sollen.
Gewisse englische Philosophen sind wohl für ein englisches, nicht aber für ein deut¬
sches Publicum Autoritäten, und wenn der Verfasser in den beiden ersten Vorlesungen
nachzuweisen versucht, daß die Sprachwissenschaft keine historische, sondern eine phy¬
sische Wissenschaft sei, die Sprache keine Geschichte, sondern nur ein Wachsthum
habe, so ist das in dem Sinne, in dem er es meint, allerdings vollkommen rich¬
tig, aber der Ausdruck Physisch und die Gegenüberstellung von Wachsthum und Ge¬
schichte ist wiederum uur für ein englisches Publicum, dem durch schroffe Worte ZU
demonstriren war, daß die Sprache kein Erzeugnis) menschlicher Willkür sei. Wir
Deutschen wissen, daß sie, ganz ebenso wie alles andere Geistige, ein Product der
Wechselwirkung zwischen Freiheit und Nothwendigkeit ist. Indeß sind auch diese
Mängel wie verschiedene andere, die ebenfalls daraus hervorgehen, daß die Um¬
arbeitung des zu Engländern redenden Buchs für Deutsche nicht sorgfältig genug
vorgenommen wurde, nicht von so tiefgehender Bedeutung, daß wir Anstand neh¬
men müßten, dem Werke als Ganzem warme Anerkennung zu zollen, und so möge
es mit seinem reichen Detail von Beispielen aus der vergleichenden Grammatik und
seinen glänzenden Aufschlüssen über die Bestandtheile der Sprache u. c>. allen Freun¬
den derartiger Untersuchungen als eines der lescuSwerthcsten Bücher seiner Gattung
angelegentlich empfohlen sein.




Verantwortlicher Redacteur: l)r. Moritz Busch.
Perlag von F. L. Her dig. -- Druck von C. E, Elbert in Leipzig.

geworden sind. Haben wir ihm und dem Uebersetzer so schon für den Versuch zu
danken, der Welt der allgemein Gebildeten ein völlig neues Gebiet des Wissens aus¬
zuschließen, so muß das Werk um so wärmer willkommen geheißen werden, als es
den zum Theil nicht leicht für den Laien klar zu machenden Stoff mit großer Ge-
schicklichkeit in das rechte Licht stellt. Ueberall finden wir, daß der Verfasser seinen
Gegenstand gründlich kennt, ihn vollkommen in der Gewalt hat, und die Präcision
des Vortrage läßt nur eins bedauern- die Darstellung ist so knapp, daß es schwer
fällt, ans dem Buch einen Auszug zu geben. Die wissenschaftliche Kritik wird an
der vom Verfasser gegebenen Lösung einzelner specieller Fragen, z. B, an seiner
Ansicht vom Ursprung der Sprache, hier und da auszusetzen haben. Auch mußten
Vorträge, die sich an Laien richteten, wohl schon der Kürze und Uebersichtlichkeit halber
manches Ergebniß der gelehrten Untersuchung, das noch fraglich scheint, als fertig
und abgeschlossen behandeln. Indeß' treten solche Mängel, die übrigens populären
Schriften über naturwissenschaftliche Gegenstände oft weit mehr anhaften, vor der
schönen Entwickelung der wirklich gewonnenen, von allen sprachkundigen anerkannten
Resultate in den Hintergrund. Mancher wird ferner die systematische Ordnung der
einzelnen Materien der hier beliebten vorziehen, die den Leser zuerst zu Bekannten
und dann zu weniger Bekannten und Leichtem führt. Möchten wir hierin dem
Verfasser vielmehr unsern Beifall aussprechen, da dieser Weg das Verständniß dem
größern Publicum beträchtlich erleichtert, so Hütte die Bearbeitung einige andere
Eigenthümlichkeiten des Originals als Uebelstände ansehen und umgestalten sollen.
Gewisse englische Philosophen sind wohl für ein englisches, nicht aber für ein deut¬
sches Publicum Autoritäten, und wenn der Verfasser in den beiden ersten Vorlesungen
nachzuweisen versucht, daß die Sprachwissenschaft keine historische, sondern eine phy¬
sische Wissenschaft sei, die Sprache keine Geschichte, sondern nur ein Wachsthum
habe, so ist das in dem Sinne, in dem er es meint, allerdings vollkommen rich¬
tig, aber der Ausdruck Physisch und die Gegenüberstellung von Wachsthum und Ge¬
schichte ist wiederum uur für ein englisches Publicum, dem durch schroffe Worte ZU
demonstriren war, daß die Sprache kein Erzeugnis) menschlicher Willkür sei. Wir
Deutschen wissen, daß sie, ganz ebenso wie alles andere Geistige, ein Product der
Wechselwirkung zwischen Freiheit und Nothwendigkeit ist. Indeß sind auch diese
Mängel wie verschiedene andere, die ebenfalls daraus hervorgehen, daß die Um¬
arbeitung des zu Engländern redenden Buchs für Deutsche nicht sorgfältig genug
vorgenommen wurde, nicht von so tiefgehender Bedeutung, daß wir Anstand neh¬
men müßten, dem Werke als Ganzem warme Anerkennung zu zollen, und so möge
es mit seinem reichen Detail von Beispielen aus der vergleichenden Grammatik und
seinen glänzenden Aufschlüssen über die Bestandtheile der Sprache u. c>. allen Freun¬
den derartiger Untersuchungen als eines der lescuSwerthcsten Bücher seiner Gattung
angelegentlich empfohlen sein.




Verantwortlicher Redacteur: l)r. Moritz Busch.
Perlag von F. L. Her dig. — Druck von C. E, Elbert in Leipzig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187942"/>
            <p xml:id="ID_1642" prev="#ID_1641"> geworden sind. Haben wir ihm und dem Uebersetzer so schon für den Versuch zu<lb/>
danken, der Welt der allgemein Gebildeten ein völlig neues Gebiet des Wissens aus¬<lb/>
zuschließen, so muß das Werk um so wärmer willkommen geheißen werden, als es<lb/>
den zum Theil nicht leicht für den Laien klar zu machenden Stoff mit großer Ge-<lb/>
schicklichkeit in das rechte Licht stellt. Ueberall finden wir, daß der Verfasser seinen<lb/>
Gegenstand gründlich kennt, ihn vollkommen in der Gewalt hat, und die Präcision<lb/>
des Vortrage läßt nur eins bedauern- die Darstellung ist so knapp, daß es schwer<lb/>
fällt, ans dem Buch einen Auszug zu geben. Die wissenschaftliche Kritik wird an<lb/>
der vom Verfasser gegebenen Lösung einzelner specieller Fragen, z. B, an seiner<lb/>
Ansicht vom Ursprung der Sprache, hier und da auszusetzen haben. Auch mußten<lb/>
Vorträge, die sich an Laien richteten, wohl schon der Kürze und Uebersichtlichkeit halber<lb/>
manches Ergebniß der gelehrten Untersuchung, das noch fraglich scheint, als fertig<lb/>
und abgeschlossen behandeln. Indeß' treten solche Mängel, die übrigens populären<lb/>
Schriften über naturwissenschaftliche Gegenstände oft weit mehr anhaften, vor der<lb/>
schönen Entwickelung der wirklich gewonnenen, von allen sprachkundigen anerkannten<lb/>
Resultate in den Hintergrund. Mancher wird ferner die systematische Ordnung der<lb/>
einzelnen Materien der hier beliebten vorziehen, die den Leser zuerst zu Bekannten<lb/>
und dann zu weniger Bekannten und Leichtem führt. Möchten wir hierin dem<lb/>
Verfasser vielmehr unsern Beifall aussprechen, da dieser Weg das Verständniß dem<lb/>
größern Publicum beträchtlich erleichtert, so Hütte die Bearbeitung einige andere<lb/>
Eigenthümlichkeiten des Originals als Uebelstände ansehen und umgestalten sollen.<lb/>
Gewisse englische Philosophen sind wohl für ein englisches, nicht aber für ein deut¬<lb/>
sches Publicum Autoritäten, und wenn der Verfasser in den beiden ersten Vorlesungen<lb/>
nachzuweisen versucht, daß die Sprachwissenschaft keine historische, sondern eine phy¬<lb/>
sische Wissenschaft sei, die Sprache keine Geschichte, sondern nur ein Wachsthum<lb/>
habe, so ist das in dem Sinne, in dem er es meint, allerdings vollkommen rich¬<lb/>
tig, aber der Ausdruck Physisch und die Gegenüberstellung von Wachsthum und Ge¬<lb/>
schichte ist wiederum uur für ein englisches Publicum, dem durch schroffe Worte ZU<lb/>
demonstriren war, daß die Sprache kein Erzeugnis) menschlicher Willkür sei. Wir<lb/>
Deutschen wissen, daß sie, ganz ebenso wie alles andere Geistige, ein Product der<lb/>
Wechselwirkung zwischen Freiheit und Nothwendigkeit ist. Indeß sind auch diese<lb/>
Mängel wie verschiedene andere, die ebenfalls daraus hervorgehen, daß die Um¬<lb/>
arbeitung des zu Engländern redenden Buchs für Deutsche nicht sorgfältig genug<lb/>
vorgenommen wurde, nicht von so tiefgehender Bedeutung, daß wir Anstand neh¬<lb/>
men müßten, dem Werke als Ganzem warme Anerkennung zu zollen, und so möge<lb/>
es mit seinem reichen Detail von Beispielen aus der vergleichenden Grammatik und<lb/>
seinen glänzenden Aufschlüssen über die Bestandtheile der Sprache u. c&gt;. allen Freun¬<lb/>
den derartiger Untersuchungen als eines der lescuSwerthcsten Bücher seiner Gattung<lb/>
angelegentlich empfohlen sein.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <note type="byline"> Verantwortlicher Redacteur: l)r. Moritz Busch.<lb/>
Perlag von F. L. Her dig. &#x2014; Druck von C. E, Elbert in Leipzig.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0448] geworden sind. Haben wir ihm und dem Uebersetzer so schon für den Versuch zu danken, der Welt der allgemein Gebildeten ein völlig neues Gebiet des Wissens aus¬ zuschließen, so muß das Werk um so wärmer willkommen geheißen werden, als es den zum Theil nicht leicht für den Laien klar zu machenden Stoff mit großer Ge- schicklichkeit in das rechte Licht stellt. Ueberall finden wir, daß der Verfasser seinen Gegenstand gründlich kennt, ihn vollkommen in der Gewalt hat, und die Präcision des Vortrage läßt nur eins bedauern- die Darstellung ist so knapp, daß es schwer fällt, ans dem Buch einen Auszug zu geben. Die wissenschaftliche Kritik wird an der vom Verfasser gegebenen Lösung einzelner specieller Fragen, z. B, an seiner Ansicht vom Ursprung der Sprache, hier und da auszusetzen haben. Auch mußten Vorträge, die sich an Laien richteten, wohl schon der Kürze und Uebersichtlichkeit halber manches Ergebniß der gelehrten Untersuchung, das noch fraglich scheint, als fertig und abgeschlossen behandeln. Indeß' treten solche Mängel, die übrigens populären Schriften über naturwissenschaftliche Gegenstände oft weit mehr anhaften, vor der schönen Entwickelung der wirklich gewonnenen, von allen sprachkundigen anerkannten Resultate in den Hintergrund. Mancher wird ferner die systematische Ordnung der einzelnen Materien der hier beliebten vorziehen, die den Leser zuerst zu Bekannten und dann zu weniger Bekannten und Leichtem führt. Möchten wir hierin dem Verfasser vielmehr unsern Beifall aussprechen, da dieser Weg das Verständniß dem größern Publicum beträchtlich erleichtert, so Hütte die Bearbeitung einige andere Eigenthümlichkeiten des Originals als Uebelstände ansehen und umgestalten sollen. Gewisse englische Philosophen sind wohl für ein englisches, nicht aber für ein deut¬ sches Publicum Autoritäten, und wenn der Verfasser in den beiden ersten Vorlesungen nachzuweisen versucht, daß die Sprachwissenschaft keine historische, sondern eine phy¬ sische Wissenschaft sei, die Sprache keine Geschichte, sondern nur ein Wachsthum habe, so ist das in dem Sinne, in dem er es meint, allerdings vollkommen rich¬ tig, aber der Ausdruck Physisch und die Gegenüberstellung von Wachsthum und Ge¬ schichte ist wiederum uur für ein englisches Publicum, dem durch schroffe Worte ZU demonstriren war, daß die Sprache kein Erzeugnis) menschlicher Willkür sei. Wir Deutschen wissen, daß sie, ganz ebenso wie alles andere Geistige, ein Product der Wechselwirkung zwischen Freiheit und Nothwendigkeit ist. Indeß sind auch diese Mängel wie verschiedene andere, die ebenfalls daraus hervorgehen, daß die Um¬ arbeitung des zu Engländern redenden Buchs für Deutsche nicht sorgfältig genug vorgenommen wurde, nicht von so tiefgehender Bedeutung, daß wir Anstand neh¬ men müßten, dem Werke als Ganzem warme Anerkennung zu zollen, und so möge es mit seinem reichen Detail von Beispielen aus der vergleichenden Grammatik und seinen glänzenden Aufschlüssen über die Bestandtheile der Sprache u. c>. allen Freun¬ den derartiger Untersuchungen als eines der lescuSwerthcsten Bücher seiner Gattung angelegentlich empfohlen sein. Verantwortlicher Redacteur: l)r. Moritz Busch. Perlag von F. L. Her dig. — Druck von C. E, Elbert in Leipzig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/448
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/448>, abgerufen am 25.11.2024.