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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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lassen das Buch als Prachtwerk bezeichnen, und der Text ist ebenfalls zu loben,
wenn man an ihn keine andern Ansprüche macht, als an derartige Nippestischlite-
ratur billigerweise zu steilen sind.


Aus früherer Zeit. Von Arnold Rug e. Zweiter Band. Berlin, Ver¬
lag von Franz Duncker. 1862.

Erzählt in ansprechender Weise die Erlebnisse des Verfassers während seiner
Universitätszeit, seine Betheiligung an der Burschenschaft und seine Conflicte mit
den Behörden in Jena, Halle und Heidelberg bis zu seiner Verhaftung an letzteren
Orte, die ihn auf mehre Jahre in den Kerker führte. Die Blicke, die uns auf
das damalige studentische Dichten und Trachten eröffnet werden, die Mittheilungen
über den wunderlichen Jünglingsbund, die Charakterbilder einer Anzahl von Haupt-
Persönlichkeiten der älteren Burschenschaft sind, da der Verfasser durchgehends den
Eindruck der Wahrhaftigkeit macht, werthvolle Bereicherungen unseres Wissens von
jener Zeit enthusiastischen, aber unklaren Strebens. Weniger gefällt das Urtheil,
welches Ruge über jenes Streben, füllt, wenn er seine Betheiligung an demselben
überall als vollkommen in der Ordnung darstellt, jede von seinen Handlungen als
durchaus in den Geboten der Sittlichkeit und der Vernunft begründet ansieht und
offen bekennt, daß er sich und seine Freunde als Märtyrer in einer großen Sache,
jeden Widerspruch gegen diese Auffassung als Ausfluß von Bornirtheit betrachtet.
Mit dieser hohen Meinung von sich und der alten Burschenschaft, die sich an einer
Stelle allen Ernstes sogar zu dem hochkomischen Anspruch steigert, das dankbare
Vaterland habe einst, wenn es die volle Freiheit erlangt, den guten Jungen vom
Jünglingsbnnde, azul as rsxublieu, non äespsrasssnt, ein Denkmal zu errichten,
steht Rüge in unsern Tagen wie eine Ruine da. Das Treiben jenes Bundes war
im Wesentlichen gemüthliche Konfusion, Abkehr von praktischen Zielen und realen
Bedingungen, kannegießernde Romantik, und selbst in das, was an dem Streben
der jugendlichen Weltverbesserer zu loben ist, in ihre Opposition gegen den alther¬
gebrachten Saufcvmment und die herkömmlichen Mißbräuche des Paukcns, mischt
sich ein starker Zug philisterhafter Altklugheit.


Meine Erlebnisse in Nußland und Sibirien, während meines Auf¬
enthalts daselbst, meiner Gefangenschaft und Flucht. 1843 bis 1846. Von Rufin
Piotrowsti. Nach dem Polnischen von L. Königl. Zwei Bände. Posen, Verlag
von L. Merzbach. 1362.

Die Geschichte eines polnischen Emigranten von 1831. der in Paris plötzlich
den Entschluß faßt, sich nach Podolien aufzumachen und dort für eine neue Erhe¬
bung des Volks gegen Nußland zu wirken, und der, dabei entdeckt, nach Sibirien
gebracht wird, von wo er nach einigen Monaten entflicht, um sich über Archangel,
Petersburg und Riga nach Preußen zu retten. Das Buch liest sich unterhaltend
wie ein Roman, macht aber durchweg den Eindruck einer wahren Geschichte. Wir
haben in-dem Verfasser einen ehrlichen, nicht ungebildeten, wenn auch gegen uns
Deutsche eingenommenen Mann, einen Ungewöhnlich energischen, vor dem kühnsten
Wagniß nicht zurückschreckenden Charakter und zugleich einen Schriftsteller vor uns,
der sehr gut sieht und seine Erlebnisse und Beobachtungen lebendig und anschaulich
wiederzugeben weiß. In fesselnder Weise erzählt er seine mit wenigen Mitteln unter¬
nommene Reise von Paris durch Deutschland und Ungarn nach Kaminiec Podolski.


Grenzboten I. 1863. 55

lassen das Buch als Prachtwerk bezeichnen, und der Text ist ebenfalls zu loben,
wenn man an ihn keine andern Ansprüche macht, als an derartige Nippestischlite-
ratur billigerweise zu steilen sind.


Aus früherer Zeit. Von Arnold Rug e. Zweiter Band. Berlin, Ver¬
lag von Franz Duncker. 1862.

Erzählt in ansprechender Weise die Erlebnisse des Verfassers während seiner
Universitätszeit, seine Betheiligung an der Burschenschaft und seine Conflicte mit
den Behörden in Jena, Halle und Heidelberg bis zu seiner Verhaftung an letzteren
Orte, die ihn auf mehre Jahre in den Kerker führte. Die Blicke, die uns auf
das damalige studentische Dichten und Trachten eröffnet werden, die Mittheilungen
über den wunderlichen Jünglingsbund, die Charakterbilder einer Anzahl von Haupt-
Persönlichkeiten der älteren Burschenschaft sind, da der Verfasser durchgehends den
Eindruck der Wahrhaftigkeit macht, werthvolle Bereicherungen unseres Wissens von
jener Zeit enthusiastischen, aber unklaren Strebens. Weniger gefällt das Urtheil,
welches Ruge über jenes Streben, füllt, wenn er seine Betheiligung an demselben
überall als vollkommen in der Ordnung darstellt, jede von seinen Handlungen als
durchaus in den Geboten der Sittlichkeit und der Vernunft begründet ansieht und
offen bekennt, daß er sich und seine Freunde als Märtyrer in einer großen Sache,
jeden Widerspruch gegen diese Auffassung als Ausfluß von Bornirtheit betrachtet.
Mit dieser hohen Meinung von sich und der alten Burschenschaft, die sich an einer
Stelle allen Ernstes sogar zu dem hochkomischen Anspruch steigert, das dankbare
Vaterland habe einst, wenn es die volle Freiheit erlangt, den guten Jungen vom
Jünglingsbnnde, azul as rsxublieu, non äespsrasssnt, ein Denkmal zu errichten,
steht Rüge in unsern Tagen wie eine Ruine da. Das Treiben jenes Bundes war
im Wesentlichen gemüthliche Konfusion, Abkehr von praktischen Zielen und realen
Bedingungen, kannegießernde Romantik, und selbst in das, was an dem Streben
der jugendlichen Weltverbesserer zu loben ist, in ihre Opposition gegen den alther¬
gebrachten Saufcvmment und die herkömmlichen Mißbräuche des Paukcns, mischt
sich ein starker Zug philisterhafter Altklugheit.


Meine Erlebnisse in Nußland und Sibirien, während meines Auf¬
enthalts daselbst, meiner Gefangenschaft und Flucht. 1843 bis 1846. Von Rufin
Piotrowsti. Nach dem Polnischen von L. Königl. Zwei Bände. Posen, Verlag
von L. Merzbach. 1362.

Die Geschichte eines polnischen Emigranten von 1831. der in Paris plötzlich
den Entschluß faßt, sich nach Podolien aufzumachen und dort für eine neue Erhe¬
bung des Volks gegen Nußland zu wirken, und der, dabei entdeckt, nach Sibirien
gebracht wird, von wo er nach einigen Monaten entflicht, um sich über Archangel,
Petersburg und Riga nach Preußen zu retten. Das Buch liest sich unterhaltend
wie ein Roman, macht aber durchweg den Eindruck einer wahren Geschichte. Wir
haben in-dem Verfasser einen ehrlichen, nicht ungebildeten, wenn auch gegen uns
Deutsche eingenommenen Mann, einen Ungewöhnlich energischen, vor dem kühnsten
Wagniß nicht zurückschreckenden Charakter und zugleich einen Schriftsteller vor uns,
der sehr gut sieht und seine Erlebnisse und Beobachtungen lebendig und anschaulich
wiederzugeben weiß. In fesselnder Weise erzählt er seine mit wenigen Mitteln unter¬
nommene Reise von Paris durch Deutschland und Ungarn nach Kaminiec Podolski.


Grenzboten I. 1863. 55
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/441>, abgerufen am 22.12.2024.