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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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War in der Presse und im Volke mehr Eifer dem gegenwärtigen Ministerium zu
opponiren, als ein declamireiider Enthusiasmus für ein fremdes Volksthum sichtbar.

Und wir dürfen wohl mit dem Verlauf zufrieden sein, den die Polen¬
debatte gehabt hat, und mit der klugen Methode parlamentarischer Kriegsführung,
welche dabei zu Tage kam. Dem Ministerium hat dies zweite Treffen noch größere
Wunden geschlagen, als die Adreßdebatte. Wenn die Abneigung im Lande gegen
die herrschende Politik noch einer Steigerung sähig war, so ist diese erreicht.
Die Mißachtung der auswärtigen Mächte kann schwerlich großer werden. Eine
loyale Kritik, die wärmste Liebe und Hingabe an die Idee des Staates weiß
nichts mehr zur Vertheidigung dieser Politik aufzufinden, auch die Kritik des
In- und Auslandes ist mit ihrem Tadel fertig, sie hat ihren Recensionen
nichts mehr zuzufügen. Ja die Politik der Kreuzzeitungspartei hat den seltenen
Erfolg gehabt, die Botschafter und Gesandten in Berlin und die leidenschaftlichsten
Journalisten der Fortschrittspartei, Oestreicher, Engländer, Franzosen, ja selbst die
Russen in einmüthiger Verurtheilung zu vereinigen, und diese Politik gleicht, um
das Bild eines englischen Historikers zu gebrauchen, jetzt bereits dem Stink¬
thier, welches der Sage nach einsam durch die Oede der Bäume irrt, und durch
seinen üblen Geruch vor allen Angriffen der Bewohner des Waldes geschützt ist.

Unter solchen Umständen ist kaum von Wichtigkeit, weiche Stellung Herr
v. Bismarck zu andern einflußreichen Persönlichkeiten einnimmt. Das flackernde
Feuer seiner Pläne verbreitet keine Wärme, es zündet nicht, und wird wie eine
Theaterflamme von den Gegnern abgeschüttelt, aus welche es grade geschleudert
wird. Der letzte Notenwechsel mit Oestreich hat fast nur insofern Interesse,
"is er zeigt, wie der Stil der Journale bereits in die Sprache diplomatischer
Actenstücke eingedrungen ist. Es ist wahrscheinlich, daß eine einflußreiche Partei
in der Stille mit dem Ministerpräsidenten höchlich unzufrieden ist. es ist wahr¬
scheinlich, daß der Ministerpräsident ebenso unzufrieden mit einigen seiner Gön¬
ner ist. Die traurige Thatsache ist, daß der Staat in seiner gegenwärtigen
Lage ohne Politik existirt, und daß jede auswärtige Macht, sei diese Rusland
oder Oestreich oder Frankreich, ein Zusammenhandeln mit dem gegenwärtigen
Ministerium vermeiden wird, sobald irgend ein anderer Bundesgenosse zu er¬
langen ist, und daß sie die Hände, welche man zu Berlin ihr entgegenstrecken
wäg, nur mit einem Gefühl der Superivntät ergreifen wird, welche den Bundes¬
genossen zu einem Diener herabdrückt. Die gegenwärtige Regierung findet
keinen Verbündeten, so wenig sie ein Volk gefunden hat.

Die gesammte Hoffnung der Preußen ruht auf dem Hause seiner Abgeord¬
neten, und wir dürfen wohl die Haltung des tüchtigen und stolzen Volkes eine
Musterhafte nennen. Auch das Abgeordnetenhaus geht unbeirrt auf dem Wege
seiner Pflicht vorwärts. Es ist eine ernste und strenge Aufgabe, welche es
uicksichtglog zu erfüllen hat. So weit aus der Ferne ein Urtheil über seine


War in der Presse und im Volke mehr Eifer dem gegenwärtigen Ministerium zu
opponiren, als ein declamireiider Enthusiasmus für ein fremdes Volksthum sichtbar.

Und wir dürfen wohl mit dem Verlauf zufrieden sein, den die Polen¬
debatte gehabt hat, und mit der klugen Methode parlamentarischer Kriegsführung,
welche dabei zu Tage kam. Dem Ministerium hat dies zweite Treffen noch größere
Wunden geschlagen, als die Adreßdebatte. Wenn die Abneigung im Lande gegen
die herrschende Politik noch einer Steigerung sähig war, so ist diese erreicht.
Die Mißachtung der auswärtigen Mächte kann schwerlich großer werden. Eine
loyale Kritik, die wärmste Liebe und Hingabe an die Idee des Staates weiß
nichts mehr zur Vertheidigung dieser Politik aufzufinden, auch die Kritik des
In- und Auslandes ist mit ihrem Tadel fertig, sie hat ihren Recensionen
nichts mehr zuzufügen. Ja die Politik der Kreuzzeitungspartei hat den seltenen
Erfolg gehabt, die Botschafter und Gesandten in Berlin und die leidenschaftlichsten
Journalisten der Fortschrittspartei, Oestreicher, Engländer, Franzosen, ja selbst die
Russen in einmüthiger Verurtheilung zu vereinigen, und diese Politik gleicht, um
das Bild eines englischen Historikers zu gebrauchen, jetzt bereits dem Stink¬
thier, welches der Sage nach einsam durch die Oede der Bäume irrt, und durch
seinen üblen Geruch vor allen Angriffen der Bewohner des Waldes geschützt ist.

Unter solchen Umständen ist kaum von Wichtigkeit, weiche Stellung Herr
v. Bismarck zu andern einflußreichen Persönlichkeiten einnimmt. Das flackernde
Feuer seiner Pläne verbreitet keine Wärme, es zündet nicht, und wird wie eine
Theaterflamme von den Gegnern abgeschüttelt, aus welche es grade geschleudert
wird. Der letzte Notenwechsel mit Oestreich hat fast nur insofern Interesse,
"is er zeigt, wie der Stil der Journale bereits in die Sprache diplomatischer
Actenstücke eingedrungen ist. Es ist wahrscheinlich, daß eine einflußreiche Partei
in der Stille mit dem Ministerpräsidenten höchlich unzufrieden ist. es ist wahr¬
scheinlich, daß der Ministerpräsident ebenso unzufrieden mit einigen seiner Gön¬
ner ist. Die traurige Thatsache ist, daß der Staat in seiner gegenwärtigen
Lage ohne Politik existirt, und daß jede auswärtige Macht, sei diese Rusland
oder Oestreich oder Frankreich, ein Zusammenhandeln mit dem gegenwärtigen
Ministerium vermeiden wird, sobald irgend ein anderer Bundesgenosse zu er¬
langen ist, und daß sie die Hände, welche man zu Berlin ihr entgegenstrecken
wäg, nur mit einem Gefühl der Superivntät ergreifen wird, welche den Bundes¬
genossen zu einem Diener herabdrückt. Die gegenwärtige Regierung findet
keinen Verbündeten, so wenig sie ein Volk gefunden hat.

Die gesammte Hoffnung der Preußen ruht auf dem Hause seiner Abgeord¬
neten, und wir dürfen wohl die Haltung des tüchtigen und stolzen Volkes eine
Musterhafte nennen. Auch das Abgeordnetenhaus geht unbeirrt auf dem Wege
seiner Pflicht vorwärts. Es ist eine ernste und strenge Aufgabe, welche es
uicksichtglog zu erfüllen hat. So weit aus der Ferne ein Urtheil über seine


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[0437] War in der Presse und im Volke mehr Eifer dem gegenwärtigen Ministerium zu opponiren, als ein declamireiider Enthusiasmus für ein fremdes Volksthum sichtbar. Und wir dürfen wohl mit dem Verlauf zufrieden sein, den die Polen¬ debatte gehabt hat, und mit der klugen Methode parlamentarischer Kriegsführung, welche dabei zu Tage kam. Dem Ministerium hat dies zweite Treffen noch größere Wunden geschlagen, als die Adreßdebatte. Wenn die Abneigung im Lande gegen die herrschende Politik noch einer Steigerung sähig war, so ist diese erreicht. Die Mißachtung der auswärtigen Mächte kann schwerlich großer werden. Eine loyale Kritik, die wärmste Liebe und Hingabe an die Idee des Staates weiß nichts mehr zur Vertheidigung dieser Politik aufzufinden, auch die Kritik des In- und Auslandes ist mit ihrem Tadel fertig, sie hat ihren Recensionen nichts mehr zuzufügen. Ja die Politik der Kreuzzeitungspartei hat den seltenen Erfolg gehabt, die Botschafter und Gesandten in Berlin und die leidenschaftlichsten Journalisten der Fortschrittspartei, Oestreicher, Engländer, Franzosen, ja selbst die Russen in einmüthiger Verurtheilung zu vereinigen, und diese Politik gleicht, um das Bild eines englischen Historikers zu gebrauchen, jetzt bereits dem Stink¬ thier, welches der Sage nach einsam durch die Oede der Bäume irrt, und durch seinen üblen Geruch vor allen Angriffen der Bewohner des Waldes geschützt ist. Unter solchen Umständen ist kaum von Wichtigkeit, weiche Stellung Herr v. Bismarck zu andern einflußreichen Persönlichkeiten einnimmt. Das flackernde Feuer seiner Pläne verbreitet keine Wärme, es zündet nicht, und wird wie eine Theaterflamme von den Gegnern abgeschüttelt, aus welche es grade geschleudert wird. Der letzte Notenwechsel mit Oestreich hat fast nur insofern Interesse, "is er zeigt, wie der Stil der Journale bereits in die Sprache diplomatischer Actenstücke eingedrungen ist. Es ist wahrscheinlich, daß eine einflußreiche Partei in der Stille mit dem Ministerpräsidenten höchlich unzufrieden ist. es ist wahr¬ scheinlich, daß der Ministerpräsident ebenso unzufrieden mit einigen seiner Gön¬ ner ist. Die traurige Thatsache ist, daß der Staat in seiner gegenwärtigen Lage ohne Politik existirt, und daß jede auswärtige Macht, sei diese Rusland oder Oestreich oder Frankreich, ein Zusammenhandeln mit dem gegenwärtigen Ministerium vermeiden wird, sobald irgend ein anderer Bundesgenosse zu er¬ langen ist, und daß sie die Hände, welche man zu Berlin ihr entgegenstrecken wäg, nur mit einem Gefühl der Superivntät ergreifen wird, welche den Bundes¬ genossen zu einem Diener herabdrückt. Die gegenwärtige Regierung findet keinen Verbündeten, so wenig sie ein Volk gefunden hat. Die gesammte Hoffnung der Preußen ruht auf dem Hause seiner Abgeord¬ neten, und wir dürfen wohl die Haltung des tüchtigen und stolzen Volkes eine Musterhafte nennen. Auch das Abgeordnetenhaus geht unbeirrt auf dem Wege seiner Pflicht vorwärts. Es ist eine ernste und strenge Aufgabe, welche es uicksichtglog zu erfüllen hat. So weit aus der Ferne ein Urtheil über seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/437>, abgerufen am 22.11.2024.