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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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für die innere Entwicklung Oestreichs, oder besser gesagt sür das Stehenbleiben
desselben auf dem alten Flecke gegenüber dem Klerus. Berechtigt die Bischofs¬
mütze zu solchen Ausfällen, dann wird jedes Protcstantcngesctz zur leeren Phrase.
Hören Sie selbst. "Wenn wir frei von den Leidenschaften der Welt (?!!) und
mit ruhigem Auge die Gesellschaft betrachten, wie sie heutzutage gestaltet und
gewachsen ist, und von der gegenwärtigen Lage derselben in die Zukunft Hin¬
blicken aus jenen Abgrund, dem sie nothwendig entgegengedrängt wird, können
wir, ehrwürdige Brüder und geliebteste Sölme. nicht umhin bittere Thränen zu
vergießen. Welch ein großer Theil der christlichen Familie verkennt Christus,
ihr Oberhaupt! Wie viele Meister der Lüge erHoden sich und richteten einen
Lehrstuhl der Bosheit auf! Wie Viele ließen sich, von ihnen betrügen und
schaarten sich um sie. Der Herr wird diese verabscheuungswürdigen Bemühungen
vereiteln; aber indessen so. lange Gott nicht zu achten scheint auf das schreckliche
Sittenverderbniß, auf die Verkehrtheit der Begriffe, auf die Verachtung der
Grundsätze des Glaubens, auf die Verletzung der heiligsten Rechte (von Kraut¬
junkern und Schwarzröcken; von dem Rechte, das mit uns geboren, ist bei diesen
Herren nie die Rede!) müssen wir mit dem Psalmisten wiederholen: Die Un¬
sinnigen haben Gott verläugnet; ihre Zungen sind trugvvll, ihre Lippen ver¬
bergen Natterngift, ihr Mund ist voll Bitterkeit. Ungerechtigkeit ist ihr Ge¬
werbe, sie verzehren mein Volk. Und dieser Strom der Bosheit bedrohte auch
unsere Grenzen, innerhalb welcher sich bisher das kostbare Gut der katholischen
Lehre unversehrt erhielt und das Licht des Glaubens so rein in die Lufr unserer
Berge glänzte. Vor dieser.Gefahr schützte uns nicht hinreichend die Einsam¬
keit der Alpen und die herkömmliche Einfalt der Sitten; denn unter dem Scheine
des materiellen Fortschrittes streute man den schlechten Samen aus, welcher
nur zu sehr auch mitten unter uns die Früchte des Todes erzeugte. Wie viele
werfen sich, betrogen durch Schmeicheleien, irregeführt durch Neuerungssucht, ver¬
giftet durch Lesung schlechter Schriften zu Richtern der Kirche auf, verdrehen
den Sinn des Evangeliums und sehnen sich als Lobredner jeder Neuerung nach
dem Tage der Gewissensfreiheit, während durch sie die Kälte religiöser Gleich-
giltigkeit verbreitet wird. (Das Kompliment ergeht an die Adresse der Libera¬
len Tirols.)

In diesen gefahrvollen Zeiten versammelt sich nun der Landtag, auf wel¬
chem nebst mehren andern Gegenständen von größter Wichtigkeit auch die
Lebensfrage Tirols wieder zur öffentlichen Besprechung kommen wird, ob näm¬
lich Tirol auch in Zukunft der unschätzbaren Wohlthat der katholischen Glau¬
benseinheit sich erfreuen solle.

Ich halte für verdammungswürdige Intoleranz die Unterdrückung der
Andersgläubigen in jenen Gegenden, in welchen sie während eines langen
Zeitraumes Bürgerrechte erhalten haben, die ihnen durch ein allgemeines Staats-
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für die innere Entwicklung Oestreichs, oder besser gesagt sür das Stehenbleiben
desselben auf dem alten Flecke gegenüber dem Klerus. Berechtigt die Bischofs¬
mütze zu solchen Ausfällen, dann wird jedes Protcstantcngesctz zur leeren Phrase.
Hören Sie selbst. „Wenn wir frei von den Leidenschaften der Welt (?!!) und
mit ruhigem Auge die Gesellschaft betrachten, wie sie heutzutage gestaltet und
gewachsen ist, und von der gegenwärtigen Lage derselben in die Zukunft Hin¬
blicken aus jenen Abgrund, dem sie nothwendig entgegengedrängt wird, können
wir, ehrwürdige Brüder und geliebteste Sölme. nicht umhin bittere Thränen zu
vergießen. Welch ein großer Theil der christlichen Familie verkennt Christus,
ihr Oberhaupt! Wie viele Meister der Lüge erHoden sich und richteten einen
Lehrstuhl der Bosheit auf! Wie Viele ließen sich, von ihnen betrügen und
schaarten sich um sie. Der Herr wird diese verabscheuungswürdigen Bemühungen
vereiteln; aber indessen so. lange Gott nicht zu achten scheint auf das schreckliche
Sittenverderbniß, auf die Verkehrtheit der Begriffe, auf die Verachtung der
Grundsätze des Glaubens, auf die Verletzung der heiligsten Rechte (von Kraut¬
junkern und Schwarzröcken; von dem Rechte, das mit uns geboren, ist bei diesen
Herren nie die Rede!) müssen wir mit dem Psalmisten wiederholen: Die Un¬
sinnigen haben Gott verläugnet; ihre Zungen sind trugvvll, ihre Lippen ver¬
bergen Natterngift, ihr Mund ist voll Bitterkeit. Ungerechtigkeit ist ihr Ge¬
werbe, sie verzehren mein Volk. Und dieser Strom der Bosheit bedrohte auch
unsere Grenzen, innerhalb welcher sich bisher das kostbare Gut der katholischen
Lehre unversehrt erhielt und das Licht des Glaubens so rein in die Lufr unserer
Berge glänzte. Vor dieser.Gefahr schützte uns nicht hinreichend die Einsam¬
keit der Alpen und die herkömmliche Einfalt der Sitten; denn unter dem Scheine
des materiellen Fortschrittes streute man den schlechten Samen aus, welcher
nur zu sehr auch mitten unter uns die Früchte des Todes erzeugte. Wie viele
werfen sich, betrogen durch Schmeicheleien, irregeführt durch Neuerungssucht, ver¬
giftet durch Lesung schlechter Schriften zu Richtern der Kirche auf, verdrehen
den Sinn des Evangeliums und sehnen sich als Lobredner jeder Neuerung nach
dem Tage der Gewissensfreiheit, während durch sie die Kälte religiöser Gleich-
giltigkeit verbreitet wird. (Das Kompliment ergeht an die Adresse der Libera¬
len Tirols.)

In diesen gefahrvollen Zeiten versammelt sich nun der Landtag, auf wel¬
chem nebst mehren andern Gegenständen von größter Wichtigkeit auch die
Lebensfrage Tirols wieder zur öffentlichen Besprechung kommen wird, ob näm¬
lich Tirol auch in Zukunft der unschätzbaren Wohlthat der katholischen Glau¬
benseinheit sich erfreuen solle.

Ich halte für verdammungswürdige Intoleranz die Unterdrückung der
Andersgläubigen in jenen Gegenden, in welchen sie während eines langen
Zeitraumes Bürgerrechte erhalten haben, die ihnen durch ein allgemeines Staats-
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[0043] für die innere Entwicklung Oestreichs, oder besser gesagt sür das Stehenbleiben desselben auf dem alten Flecke gegenüber dem Klerus. Berechtigt die Bischofs¬ mütze zu solchen Ausfällen, dann wird jedes Protcstantcngesctz zur leeren Phrase. Hören Sie selbst. „Wenn wir frei von den Leidenschaften der Welt (?!!) und mit ruhigem Auge die Gesellschaft betrachten, wie sie heutzutage gestaltet und gewachsen ist, und von der gegenwärtigen Lage derselben in die Zukunft Hin¬ blicken aus jenen Abgrund, dem sie nothwendig entgegengedrängt wird, können wir, ehrwürdige Brüder und geliebteste Sölme. nicht umhin bittere Thränen zu vergießen. Welch ein großer Theil der christlichen Familie verkennt Christus, ihr Oberhaupt! Wie viele Meister der Lüge erHoden sich und richteten einen Lehrstuhl der Bosheit auf! Wie Viele ließen sich, von ihnen betrügen und schaarten sich um sie. Der Herr wird diese verabscheuungswürdigen Bemühungen vereiteln; aber indessen so. lange Gott nicht zu achten scheint auf das schreckliche Sittenverderbniß, auf die Verkehrtheit der Begriffe, auf die Verachtung der Grundsätze des Glaubens, auf die Verletzung der heiligsten Rechte (von Kraut¬ junkern und Schwarzröcken; von dem Rechte, das mit uns geboren, ist bei diesen Herren nie die Rede!) müssen wir mit dem Psalmisten wiederholen: Die Un¬ sinnigen haben Gott verläugnet; ihre Zungen sind trugvvll, ihre Lippen ver¬ bergen Natterngift, ihr Mund ist voll Bitterkeit. Ungerechtigkeit ist ihr Ge¬ werbe, sie verzehren mein Volk. Und dieser Strom der Bosheit bedrohte auch unsere Grenzen, innerhalb welcher sich bisher das kostbare Gut der katholischen Lehre unversehrt erhielt und das Licht des Glaubens so rein in die Lufr unserer Berge glänzte. Vor dieser.Gefahr schützte uns nicht hinreichend die Einsam¬ keit der Alpen und die herkömmliche Einfalt der Sitten; denn unter dem Scheine des materiellen Fortschrittes streute man den schlechten Samen aus, welcher nur zu sehr auch mitten unter uns die Früchte des Todes erzeugte. Wie viele werfen sich, betrogen durch Schmeicheleien, irregeführt durch Neuerungssucht, ver¬ giftet durch Lesung schlechter Schriften zu Richtern der Kirche auf, verdrehen den Sinn des Evangeliums und sehnen sich als Lobredner jeder Neuerung nach dem Tage der Gewissensfreiheit, während durch sie die Kälte religiöser Gleich- giltigkeit verbreitet wird. (Das Kompliment ergeht an die Adresse der Libera¬ len Tirols.) In diesen gefahrvollen Zeiten versammelt sich nun der Landtag, auf wel¬ chem nebst mehren andern Gegenständen von größter Wichtigkeit auch die Lebensfrage Tirols wieder zur öffentlichen Besprechung kommen wird, ob näm¬ lich Tirol auch in Zukunft der unschätzbaren Wohlthat der katholischen Glau¬ benseinheit sich erfreuen solle. Ich halte für verdammungswürdige Intoleranz die Unterdrückung der Andersgläubigen in jenen Gegenden, in welchen sie während eines langen Zeitraumes Bürgerrechte erhalten haben, die ihnen durch ein allgemeines Staats- * 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/43>, abgerufen am 22.11.2024.