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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Geistliche sprach von der Kanzel vortrefflich über Ägyptische Knechtschaft. d,e
Nation in Trauer. Aufopferung fürs Vaterland, von der Proscr.pe.on un
Königreich, vom qalizischen Blutbade, den Vorfällen in Rypin und schloß an
einer Aufforderung zu Beiträgen sür die Militärschule in Batignoles. we che
1600 polnische Groschen (8 Thlr. 26 Sgr. 4 Pf.) ergaben; dabei obligates Ge-
murmel über die endlosen Sammlungen, die Manchem kaum mehr etwas zu
Schuhwer? übrig lassen. Für das Denkmal und die Familie des verstorbenen
Dichters Kondrodowicz ist jedoch im Großherzogthum nicht ein Groschen her.
gegeben - dafür aber war er auch nicht vom Carmoisin - Adel. sondern em
schlichter Graukittel."

Nadwisicmin und Dziennik wollen, daß das Volk die Tändelei rrnt den
Demonstrationen lasse und zu Thaten übergehe; welcher Art? liegt auf der
Hand. Zu ihnen ist in neuester Zeit ein Satiriker gestoßen. welcher sich gleich¬
zeitig gegen die sittliche Schwäche der Nation richtet. Es liegen mir die ein¬
zelnen Blätter vor. Das erste vom 17. August nennt sick "?ol^w". Wind¬
beutel, das andere vom 3. September O-ma, Nachtvogel. Die Czma ist die
Tochter des Potrata und vermählt sich im November mit dem Markgraf
Wieikopolski; demnach trägt das dritte Blatt dem Titel KöujA Mi-Moxolsw.

Nicht eigentlich eine Partei, aber eine interessante Gruppe und kaum in
einer Stadt ganz ohne Vertretung bilden die Deutschen, die. weil sie in
Posen geboren sind, sich für Polen halten. Ihr Führer ist der schon öfters
erwähnte frühere Bataillonsarzt Dr. Metzig. Er hat. als die preußische Re.
gierung 1848 durch Abberufung Willisens einen "falschen" Weg einschlug, seinen
Abschied genommen und lebt in Lissa seiner Praxis und seinem großen Welt-
historischen Berufe, den er erfüllen wird, sobald er nur einmal zum Abgeord¬
neten gewählt wird. Er wird dann nach Berlin gehen, auch wenn, um mit
Luther zu reden, dort so viel Teufel auf ihn lauerten, als Ziegel auf den
Dächern sind. Er wird das Lügengewebe unserer Beamten zerreißen und den
König seinem Volke, das Volk seinem Könige gewinnen. Auch will er >n
Polnisch-Lissa eine slawische Universität gründen. Es wird ihm leicht sein, durch
seine Verbindungen von den 2,300,000 Slawen der Monarchie 2.000,000 Thlr.
zu erbitten. Davon werden 600,000 den Bürgern der Stadt zu Wohnungen
sür Professoren und Studenten gegeben. S00.000 Thlr. gehen für die Uni-
bersitätseinrichiung auf; 1.000,000 Thlr. gewähren jährlich 50,000 Thlr. zur
Besoldung der Professoren. -- Unermüdlich setzt Dr. Metzig in Schrift und
Rede seine Ideen der ungläubigen Welt auseinander; mit "och größerer Ge-
duld sieht er zu. wie die polnischen Brüder ihn bei jeder Landtagswahl über-
gehn, ihm Berücksichtigung bei den Nachwahlen versprechen und. wo es zu
diesen kommt, ihm wieder polnische Treue halten. Ein wohlthätiger, friedlieben¬
der Mann, hat er sich d^es schon zu Forderungen und Drohungen heroischer


Geistliche sprach von der Kanzel vortrefflich über Ägyptische Knechtschaft. d,e
Nation in Trauer. Aufopferung fürs Vaterland, von der Proscr.pe.on un
Königreich, vom qalizischen Blutbade, den Vorfällen in Rypin und schloß an
einer Aufforderung zu Beiträgen sür die Militärschule in Batignoles. we che
1600 polnische Groschen (8 Thlr. 26 Sgr. 4 Pf.) ergaben; dabei obligates Ge-
murmel über die endlosen Sammlungen, die Manchem kaum mehr etwas zu
Schuhwer? übrig lassen. Für das Denkmal und die Familie des verstorbenen
Dichters Kondrodowicz ist jedoch im Großherzogthum nicht ein Groschen her.
gegeben - dafür aber war er auch nicht vom Carmoisin - Adel. sondern em
schlichter Graukittel."

Nadwisicmin und Dziennik wollen, daß das Volk die Tändelei rrnt den
Demonstrationen lasse und zu Thaten übergehe; welcher Art? liegt auf der
Hand. Zu ihnen ist in neuester Zeit ein Satiriker gestoßen. welcher sich gleich¬
zeitig gegen die sittliche Schwäche der Nation richtet. Es liegen mir die ein¬
zelnen Blätter vor. Das erste vom 17. August nennt sick „?ol^w". Wind¬
beutel, das andere vom 3. September O-ma, Nachtvogel. Die Czma ist die
Tochter des Potrata und vermählt sich im November mit dem Markgraf
Wieikopolski; demnach trägt das dritte Blatt dem Titel KöujA Mi-Moxolsw.

Nicht eigentlich eine Partei, aber eine interessante Gruppe und kaum in
einer Stadt ganz ohne Vertretung bilden die Deutschen, die. weil sie in
Posen geboren sind, sich für Polen halten. Ihr Führer ist der schon öfters
erwähnte frühere Bataillonsarzt Dr. Metzig. Er hat. als die preußische Re.
gierung 1848 durch Abberufung Willisens einen „falschen" Weg einschlug, seinen
Abschied genommen und lebt in Lissa seiner Praxis und seinem großen Welt-
historischen Berufe, den er erfüllen wird, sobald er nur einmal zum Abgeord¬
neten gewählt wird. Er wird dann nach Berlin gehen, auch wenn, um mit
Luther zu reden, dort so viel Teufel auf ihn lauerten, als Ziegel auf den
Dächern sind. Er wird das Lügengewebe unserer Beamten zerreißen und den
König seinem Volke, das Volk seinem Könige gewinnen. Auch will er >n
Polnisch-Lissa eine slawische Universität gründen. Es wird ihm leicht sein, durch
seine Verbindungen von den 2,300,000 Slawen der Monarchie 2.000,000 Thlr.
zu erbitten. Davon werden 600,000 den Bürgern der Stadt zu Wohnungen
sür Professoren und Studenten gegeben. S00.000 Thlr. gehen für die Uni-
bersitätseinrichiung auf; 1.000,000 Thlr. gewähren jährlich 50,000 Thlr. zur
Besoldung der Professoren. — Unermüdlich setzt Dr. Metzig in Schrift und
Rede seine Ideen der ungläubigen Welt auseinander; mit »och größerer Ge-
duld sieht er zu. wie die polnischen Brüder ihn bei jeder Landtagswahl über-
gehn, ihm Berücksichtigung bei den Nachwahlen versprechen und. wo es zu
diesen kommt, ihm wieder polnische Treue halten. Ein wohlthätiger, friedlieben¬
der Mann, hat er sich d^es schon zu Forderungen und Drohungen heroischer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/429>, abgerufen am 25.11.2024.