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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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sich vor drei Jahren als Wunderdoctor der ordinärsten Art aus. Wir haben
die Zettel gesehen, auf denen er "Mücken- und Wanzenfett" verordnete. Zu¬
letzt nahm das Kreisgericht von seiner Wirksamkeit Notiz, und da überdies ver¬
lautete, daß es mit den Weihen des geistlichen Arztes, der schon anderswo
gerichtlich bestraft war. nicht ganz richtig sei, so hätte man den (nachher durch
die Amnestie erlassenen) fünfzig Thalern Geldbuße gern eine ernstere Ahndung
hinzugefügt. Aber der katholische Klerus hat das mit der Judenschaft
gemein, daß er keinen der Seinigen fallen läßt. Es soll dadurch die Achtung
vor dem Stande erhöht werden. Das Gegentheil wird erreicht. Bei aller
Kriecherei vor demselben bat das Volk doch keine Verehrung sür ihn; je tiefer
es sich neigt, desto größer ist die innere Verachtung, die sich auch in Reden
kundgibt; ebenso im Mißtrauen gegen alles das, was der "Pfaff" -- so nennen
sie ihn, wen" sie deutsch reden -- unternimmt.

Eine Landgemeinde im Kreise Posen verweigerte dem Probst die Geneh¬
migung, als er das Kirchenvermögen und die pass, saers, in seine Verwahrung
nehmen wollte. Man wisse noch zu gut, hieß es, wie es 1848 mit den, ."irchen-
vennögen zugegangen sei. Vor etwa vierzehn Tagen*) geschah es -- auch im
Landkreise Posen -- daß ein Bauer den Probst bei seiner Ermahnung an
die Gemeinde, die neue Freiheit nicht auf die Abgaben für die Geistlichen
anzuwenden, aufforderte, vein Evangelium zu bleiben. -- Das Witzblatt
"Czma" führt uns einen mit handgreiflicher Deutlichkeit gezeichneten Probst,
welcher durch die genaue Kenntniß der besten Ungarweinquellen und seine geschäft¬
lichen Verbindungen mit ihnen Nuf hat, beim hohen Kartenspiel vor und
läßt ihm zu Ehren den Chorus singen: Tausend Thaler sind für den Probst
nur eine Bagatelle; für seine Verluste steht ihm seine Herrin ein.

Mit dieser Nichtachtung des katholischen Volkes vor seinem Klerus siebt
diejenige vor den heiligen Acten in Verbindung. Wir haben noch niemals
Stille und Ernst bei ihren Gottesdiensten angetroffen, noch keinen in Ordnung
erhaltenen Leichenzug gesehen. Redlich verdient ist die Geringschätzung durch
die geringe Sorge der Geistlichen für die Bildung des Volkes, namentlich fer'
die Schulen, welche der allergrößten Mehrzahl von ihnen erst am Herzen liegen,
wenn sie Gelegenheit zur Wühlerei bieten. Ich kann mit den Namen der
Dörfer dienen, in denen wegen eingefallenen Schulhauses oder wegen Vacanz
die Schule fast ein Jahr lang ausfiel.

Die neuere und neueste Zeit hat uns eine Anzahl ausgezeichneter Klerike>
gebracht, sittlich reiner, gründlich unterrichteter, beredter, in Armen- und
Krankenpflege überaus eifriger Männer, die jedem Lande zur Zierde gereichen
würden. Leider richten sie aber all ihre Thätigkeit auf polnische, oft auch aus



D. Red.

sich vor drei Jahren als Wunderdoctor der ordinärsten Art aus. Wir haben
die Zettel gesehen, auf denen er „Mücken- und Wanzenfett" verordnete. Zu¬
letzt nahm das Kreisgericht von seiner Wirksamkeit Notiz, und da überdies ver¬
lautete, daß es mit den Weihen des geistlichen Arztes, der schon anderswo
gerichtlich bestraft war. nicht ganz richtig sei, so hätte man den (nachher durch
die Amnestie erlassenen) fünfzig Thalern Geldbuße gern eine ernstere Ahndung
hinzugefügt. Aber der katholische Klerus hat das mit der Judenschaft
gemein, daß er keinen der Seinigen fallen läßt. Es soll dadurch die Achtung
vor dem Stande erhöht werden. Das Gegentheil wird erreicht. Bei aller
Kriecherei vor demselben bat das Volk doch keine Verehrung sür ihn; je tiefer
es sich neigt, desto größer ist die innere Verachtung, die sich auch in Reden
kundgibt; ebenso im Mißtrauen gegen alles das, was der „Pfaff" — so nennen
sie ihn, wen» sie deutsch reden — unternimmt.

Eine Landgemeinde im Kreise Posen verweigerte dem Probst die Geneh¬
migung, als er das Kirchenvermögen und die pass, saers, in seine Verwahrung
nehmen wollte. Man wisse noch zu gut, hieß es, wie es 1848 mit den, .«irchen-
vennögen zugegangen sei. Vor etwa vierzehn Tagen*) geschah es — auch im
Landkreise Posen — daß ein Bauer den Probst bei seiner Ermahnung an
die Gemeinde, die neue Freiheit nicht auf die Abgaben für die Geistlichen
anzuwenden, aufforderte, vein Evangelium zu bleiben. — Das Witzblatt
„Czma" führt uns einen mit handgreiflicher Deutlichkeit gezeichneten Probst,
welcher durch die genaue Kenntniß der besten Ungarweinquellen und seine geschäft¬
lichen Verbindungen mit ihnen Nuf hat, beim hohen Kartenspiel vor und
läßt ihm zu Ehren den Chorus singen: Tausend Thaler sind für den Probst
nur eine Bagatelle; für seine Verluste steht ihm seine Herrin ein.

Mit dieser Nichtachtung des katholischen Volkes vor seinem Klerus siebt
diejenige vor den heiligen Acten in Verbindung. Wir haben noch niemals
Stille und Ernst bei ihren Gottesdiensten angetroffen, noch keinen in Ordnung
erhaltenen Leichenzug gesehen. Redlich verdient ist die Geringschätzung durch
die geringe Sorge der Geistlichen für die Bildung des Volkes, namentlich fer'
die Schulen, welche der allergrößten Mehrzahl von ihnen erst am Herzen liegen,
wenn sie Gelegenheit zur Wühlerei bieten. Ich kann mit den Namen der
Dörfer dienen, in denen wegen eingefallenen Schulhauses oder wegen Vacanz
die Schule fast ein Jahr lang ausfiel.

Die neuere und neueste Zeit hat uns eine Anzahl ausgezeichneter Klerike>
gebracht, sittlich reiner, gründlich unterrichteter, beredter, in Armen- und
Krankenpflege überaus eifriger Männer, die jedem Lande zur Zierde gereichen
würden. Leider richten sie aber all ihre Thätigkeit auf polnische, oft auch aus



D. Red.
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[0422] sich vor drei Jahren als Wunderdoctor der ordinärsten Art aus. Wir haben die Zettel gesehen, auf denen er „Mücken- und Wanzenfett" verordnete. Zu¬ letzt nahm das Kreisgericht von seiner Wirksamkeit Notiz, und da überdies ver¬ lautete, daß es mit den Weihen des geistlichen Arztes, der schon anderswo gerichtlich bestraft war. nicht ganz richtig sei, so hätte man den (nachher durch die Amnestie erlassenen) fünfzig Thalern Geldbuße gern eine ernstere Ahndung hinzugefügt. Aber der katholische Klerus hat das mit der Judenschaft gemein, daß er keinen der Seinigen fallen läßt. Es soll dadurch die Achtung vor dem Stande erhöht werden. Das Gegentheil wird erreicht. Bei aller Kriecherei vor demselben bat das Volk doch keine Verehrung sür ihn; je tiefer es sich neigt, desto größer ist die innere Verachtung, die sich auch in Reden kundgibt; ebenso im Mißtrauen gegen alles das, was der „Pfaff" — so nennen sie ihn, wen» sie deutsch reden — unternimmt. Eine Landgemeinde im Kreise Posen verweigerte dem Probst die Geneh¬ migung, als er das Kirchenvermögen und die pass, saers, in seine Verwahrung nehmen wollte. Man wisse noch zu gut, hieß es, wie es 1848 mit den, .«irchen- vennögen zugegangen sei. Vor etwa vierzehn Tagen*) geschah es — auch im Landkreise Posen — daß ein Bauer den Probst bei seiner Ermahnung an die Gemeinde, die neue Freiheit nicht auf die Abgaben für die Geistlichen anzuwenden, aufforderte, vein Evangelium zu bleiben. — Das Witzblatt „Czma" führt uns einen mit handgreiflicher Deutlichkeit gezeichneten Probst, welcher durch die genaue Kenntniß der besten Ungarweinquellen und seine geschäft¬ lichen Verbindungen mit ihnen Nuf hat, beim hohen Kartenspiel vor und läßt ihm zu Ehren den Chorus singen: Tausend Thaler sind für den Probst nur eine Bagatelle; für seine Verluste steht ihm seine Herrin ein. Mit dieser Nichtachtung des katholischen Volkes vor seinem Klerus siebt diejenige vor den heiligen Acten in Verbindung. Wir haben noch niemals Stille und Ernst bei ihren Gottesdiensten angetroffen, noch keinen in Ordnung erhaltenen Leichenzug gesehen. Redlich verdient ist die Geringschätzung durch die geringe Sorge der Geistlichen für die Bildung des Volkes, namentlich fer' die Schulen, welche der allergrößten Mehrzahl von ihnen erst am Herzen liegen, wenn sie Gelegenheit zur Wühlerei bieten. Ich kann mit den Namen der Dörfer dienen, in denen wegen eingefallenen Schulhauses oder wegen Vacanz die Schule fast ein Jahr lang ausfiel. Die neuere und neueste Zeit hat uns eine Anzahl ausgezeichneter Klerike> gebracht, sittlich reiner, gründlich unterrichteter, beredter, in Armen- und Krankenpflege überaus eifriger Männer, die jedem Lande zur Zierde gereichen würden. Leider richten sie aber all ihre Thätigkeit auf polnische, oft auch aus D. Red.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/422>, abgerufen am 22.11.2024.