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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Deutsche Briefe aus der preußischen Provinz Posen.
6.

Die Polen in ihrem Verhalten zum preußischen Staat, - Die Agitation der
Geistlichkeit. - Die Partei der aristokratischen Emigration. - Die Märchen
des Grafen Montalembert. - Die social-demokratische Partei und ihre Zei¬
tungen. - Herr I),-. Metzig in Lissa. - Die Erden Johanns ohne Land.

Ja. Dank der wohlwollenden Fürsorge und der Strenge der preußischen
Regierung steht der polnische Klerus unserer Provinz so hoch über dem des
"Königreichs", wie er wiederum mit einigen Ausnahmen unter der katholischen
Geistlichkeit von Schlesien und Rheinland steht. Sie sind vorüber, die urgemuth-
lichcn Zeiten, wo der Geistliche in stiller Selbstgenügsamkeit das Aeußere seines
Amtes versah und die reichlich gebotne Muße zwischen dem ungarischen Freund
und der polnischen Freundin theilte; die schönen Zeiten, mo der alte Pfarrer am
ersten Ostertage seine kurze, originelle Rede schloß: "Morgen. Ihr wäret so auch
nicht gekommen; aber Ihr brauet auch nicht, 's ist keine Kirche. Warum?
ich verreise. Wohin? Ihr möchtet's gerne wissen?! Pah! ich sag's Euch nicht.
Amen." Vater unser. Segen!

Diese Herren hatten dabei nicht einmal alle den Vorzug, daß sie Frieden
hielten. Auch sind jene anmuthigen Zeiten noch gar nicht sehr lange vorüber.
Man lese nach, wie Flottwell über die Geistlichen in Posen klagt. Als ich vor
zwanzig Jahren an Gelde arm. an guten Vorsätzen reich, die Alma Viadrina
bezog, war der erste lebendige Student, der mich begrüßte, ein katholischer
Theologus. ein wohlgenährter Oberschlcsicr. Er hatte vergeblich versucht, seinen
Ueberschuß an Kneipengelehrsamkeit mit dem Deficit an geistlicher auszugleichen;
er kam nicht ins Seminar. Ruhig trug er sein Geschick-
, ich gehe nach Posen
oder Pelplin, dort nehmen sie jeden, es fehlt zu viel. Wirklich hat der Hoch-
Würdige Bischof Sedlag ("unseligen Angedenkens", wie Dzicnnik sagt) ihn reci-
pirt, und vielleicht eifert er nun irgendwo für sein polnisch Vaterland und
verweigert deutsche Adressen. Noch vor fünfzehn Jahren blieben aus Mangel
"n qualisizirten Polen dreihundert geistliche Stellen in der Provinz Posen un¬
besetzt, und sogar 18S0 setzte Bischof Marwitz von Culm der Klage, daß er
nicht mehr Polen anstelle^ öffentlich diese Thatsache entgegen. Immer noch
leben unter uns ehrwürdige Reliquien jener Zeit. Geistliche, für deren Gaben
und Kräfte eine Predigt oder ein Bericht transcendente Dinge sind. Auch wird
da und dort ein "polnischer" Amtsbruder versprengt. Einer von ihnen zeichnete


Deutsche Briefe aus der preußischen Provinz Posen.
6.

Die Polen in ihrem Verhalten zum preußischen Staat, - Die Agitation der
Geistlichkeit. - Die Partei der aristokratischen Emigration. - Die Märchen
des Grafen Montalembert. - Die social-demokratische Partei und ihre Zei¬
tungen. - Herr I),-. Metzig in Lissa. - Die Erden Johanns ohne Land.

Ja. Dank der wohlwollenden Fürsorge und der Strenge der preußischen
Regierung steht der polnische Klerus unserer Provinz so hoch über dem des
„Königreichs", wie er wiederum mit einigen Ausnahmen unter der katholischen
Geistlichkeit von Schlesien und Rheinland steht. Sie sind vorüber, die urgemuth-
lichcn Zeiten, wo der Geistliche in stiller Selbstgenügsamkeit das Aeußere seines
Amtes versah und die reichlich gebotne Muße zwischen dem ungarischen Freund
und der polnischen Freundin theilte; die schönen Zeiten, mo der alte Pfarrer am
ersten Ostertage seine kurze, originelle Rede schloß: „Morgen. Ihr wäret so auch
nicht gekommen; aber Ihr brauet auch nicht, 's ist keine Kirche. Warum?
ich verreise. Wohin? Ihr möchtet's gerne wissen?! Pah! ich sag's Euch nicht.
Amen." Vater unser. Segen!

Diese Herren hatten dabei nicht einmal alle den Vorzug, daß sie Frieden
hielten. Auch sind jene anmuthigen Zeiten noch gar nicht sehr lange vorüber.
Man lese nach, wie Flottwell über die Geistlichen in Posen klagt. Als ich vor
zwanzig Jahren an Gelde arm. an guten Vorsätzen reich, die Alma Viadrina
bezog, war der erste lebendige Student, der mich begrüßte, ein katholischer
Theologus. ein wohlgenährter Oberschlcsicr. Er hatte vergeblich versucht, seinen
Ueberschuß an Kneipengelehrsamkeit mit dem Deficit an geistlicher auszugleichen;
er kam nicht ins Seminar. Ruhig trug er sein Geschick-
, ich gehe nach Posen
oder Pelplin, dort nehmen sie jeden, es fehlt zu viel. Wirklich hat der Hoch-
Würdige Bischof Sedlag („unseligen Angedenkens", wie Dzicnnik sagt) ihn reci-
pirt, und vielleicht eifert er nun irgendwo für sein polnisch Vaterland und
verweigert deutsche Adressen. Noch vor fünfzehn Jahren blieben aus Mangel
"n qualisizirten Polen dreihundert geistliche Stellen in der Provinz Posen un¬
besetzt, und sogar 18S0 setzte Bischof Marwitz von Culm der Klage, daß er
nicht mehr Polen anstelle^ öffentlich diese Thatsache entgegen. Immer noch
leben unter uns ehrwürdige Reliquien jener Zeit. Geistliche, für deren Gaben
und Kräfte eine Predigt oder ein Bericht transcendente Dinge sind. Auch wird
da und dort ein „polnischer" Amtsbruder versprengt. Einer von ihnen zeichnete


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[0421] Deutsche Briefe aus der preußischen Provinz Posen. 6. Die Polen in ihrem Verhalten zum preußischen Staat, - Die Agitation der Geistlichkeit. - Die Partei der aristokratischen Emigration. - Die Märchen des Grafen Montalembert. - Die social-demokratische Partei und ihre Zei¬ tungen. - Herr I),-. Metzig in Lissa. - Die Erden Johanns ohne Land. Ja. Dank der wohlwollenden Fürsorge und der Strenge der preußischen Regierung steht der polnische Klerus unserer Provinz so hoch über dem des „Königreichs", wie er wiederum mit einigen Ausnahmen unter der katholischen Geistlichkeit von Schlesien und Rheinland steht. Sie sind vorüber, die urgemuth- lichcn Zeiten, wo der Geistliche in stiller Selbstgenügsamkeit das Aeußere seines Amtes versah und die reichlich gebotne Muße zwischen dem ungarischen Freund und der polnischen Freundin theilte; die schönen Zeiten, mo der alte Pfarrer am ersten Ostertage seine kurze, originelle Rede schloß: „Morgen. Ihr wäret so auch nicht gekommen; aber Ihr brauet auch nicht, 's ist keine Kirche. Warum? ich verreise. Wohin? Ihr möchtet's gerne wissen?! Pah! ich sag's Euch nicht. Amen." Vater unser. Segen! Diese Herren hatten dabei nicht einmal alle den Vorzug, daß sie Frieden hielten. Auch sind jene anmuthigen Zeiten noch gar nicht sehr lange vorüber. Man lese nach, wie Flottwell über die Geistlichen in Posen klagt. Als ich vor zwanzig Jahren an Gelde arm. an guten Vorsätzen reich, die Alma Viadrina bezog, war der erste lebendige Student, der mich begrüßte, ein katholischer Theologus. ein wohlgenährter Oberschlcsicr. Er hatte vergeblich versucht, seinen Ueberschuß an Kneipengelehrsamkeit mit dem Deficit an geistlicher auszugleichen; er kam nicht ins Seminar. Ruhig trug er sein Geschick- , ich gehe nach Posen oder Pelplin, dort nehmen sie jeden, es fehlt zu viel. Wirklich hat der Hoch- Würdige Bischof Sedlag („unseligen Angedenkens", wie Dzicnnik sagt) ihn reci- pirt, und vielleicht eifert er nun irgendwo für sein polnisch Vaterland und verweigert deutsche Adressen. Noch vor fünfzehn Jahren blieben aus Mangel "n qualisizirten Polen dreihundert geistliche Stellen in der Provinz Posen un¬ besetzt, und sogar 18S0 setzte Bischof Marwitz von Culm der Klage, daß er nicht mehr Polen anstelle^ öffentlich diese Thatsache entgegen. Immer noch leben unter uns ehrwürdige Reliquien jener Zeit. Geistliche, für deren Gaben und Kräfte eine Predigt oder ein Bericht transcendente Dinge sind. Auch wird da und dort ein „polnischer" Amtsbruder versprengt. Einer von ihnen zeichnete

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/421>, abgerufen am 22.11.2024.