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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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der das Metallstück unter dem Stempel festhielt. Dazu gehört ein ähnliches
kleineres, vom sechsten Theil des Gewichts des größeren Stückes. Diese Stücke
haben unsre Münzforsch er dem äußern Anschein nach für die ältesten aller vor¬
handenen Münzen erklärt und im Wesentlichen gewiß mit Recht. Die Zeit
ihrer Prägung ist nicht mit Bestimmtheit auszumachen: aber sie sind nicht so
uralt, wie man wohl annimmt; ihr Ursprung fällt sicher später als die Ent¬
stehung der ebenfalls in Kleinasien heimischen und der Münze nirgends geden¬
kenden homerischen Gedichte und wahrscheinlich später als der Beginn der
Olympiadcmcchnung; es ist kein zwingender Grund vorhanden, die Ent¬
stehung der Münze über das siebente Jahrhundert vor Chr. hinaufzurücken.
Aber der Entstelmngsort ist bezeichnend. Die Griechen nennen jenes große
Goldstück den phokaischen stäter. das dazu gehörige kleine das phokaische
Sechstel; diese Münzen galten also als ursprünglich und hauptsächlich geschlagen
>" der Stadt Phokaea. Phokaea ist ein Hafenort des kleinasiatischen Ioniens
unweit Smyrna; jetzt ein namenloses türkisches Städtchen, aber einst der Stamm¬
sitz einer kühnen Schifferbevölkerung, die in der griechischen Geschichte ungefähr
die Rolle gespielt hat. wie in der des Mittelalters die Portugiesen: von hier
aus ist zuerst das westliche Mittelmeer befahren, von hier aus sind die italische
Westküste, die Insel Corsica, die Gestade der Provence und Kataloniens in
den Kreis des griechischen Lebens gezogen worden. Auf diesem Punkte also,
wo Asien und Europa sich berühren, in einer auf asiatischem Boden gegründe¬
ten, aber in ihrer Thätigkeit durchaus dem europäischen Verkehr zugewandten
Stadt, in einer Stadt, die wie keine andere es sich zur Aufgabe gemacht hat,
den fernen Westen mit dem Osten zu vermitteln, in der Mutterstadt Marseilles,
da mag wohl zuerst die Münze entstanden sein.

Nach Kleinasien also, an die ionische Küste führt uns die älteste Geschichte
des Geldstücks -- in eben jene Gegend, wo die Buchstabenschrift ihre Ausbil¬
dung empfangen hat, wo der griechische Handel zuerst erblüht ist, wo zuerst
das Schifferdvrf zu einem Gemeinwesen freier Bürger sich entwickelt, wo Poesie
und Philosophie ihre frühesten und mit die herrlichsten Blüthen getrieben haben.
Der Pfennig ist ein geringes Ding, und es mag Manchem seltsam vorkommen,
wenn ich seinen Ursprung zusammen nenne mit dem göttlichen Homer und dem
Weisen Thales; und doch schickt sich dieses Alles recht wohl zusammen -- sind
es doch vier der gewaltigsten irdischen Dinge, die in die Schöpfung der Münze
sich theilen: Staat, Handel, Kunst und Wissenschaft. Wer über Münzen han¬
delt, der hat ein Recht darauf Zahlen vorzubringen; und obwohl ich mich
dieses Rechts mit Bescheidenheit bedienen werde, so würde ich doch dem Ge¬
genstand nicht genügen, wenn ich ganz schwiege von den Anfängen des Münz-
shstems. Die älteste asiatische Ordnung von Maß und Gewicht ist erst vor
wenigen Jahren uns genau bekannt geworden durch die von Layard in Ninive


der das Metallstück unter dem Stempel festhielt. Dazu gehört ein ähnliches
kleineres, vom sechsten Theil des Gewichts des größeren Stückes. Diese Stücke
haben unsre Münzforsch er dem äußern Anschein nach für die ältesten aller vor¬
handenen Münzen erklärt und im Wesentlichen gewiß mit Recht. Die Zeit
ihrer Prägung ist nicht mit Bestimmtheit auszumachen: aber sie sind nicht so
uralt, wie man wohl annimmt; ihr Ursprung fällt sicher später als die Ent¬
stehung der ebenfalls in Kleinasien heimischen und der Münze nirgends geden¬
kenden homerischen Gedichte und wahrscheinlich später als der Beginn der
Olympiadcmcchnung; es ist kein zwingender Grund vorhanden, die Ent¬
stehung der Münze über das siebente Jahrhundert vor Chr. hinaufzurücken.
Aber der Entstelmngsort ist bezeichnend. Die Griechen nennen jenes große
Goldstück den phokaischen stäter. das dazu gehörige kleine das phokaische
Sechstel; diese Münzen galten also als ursprünglich und hauptsächlich geschlagen
>» der Stadt Phokaea. Phokaea ist ein Hafenort des kleinasiatischen Ioniens
unweit Smyrna; jetzt ein namenloses türkisches Städtchen, aber einst der Stamm¬
sitz einer kühnen Schifferbevölkerung, die in der griechischen Geschichte ungefähr
die Rolle gespielt hat. wie in der des Mittelalters die Portugiesen: von hier
aus ist zuerst das westliche Mittelmeer befahren, von hier aus sind die italische
Westküste, die Insel Corsica, die Gestade der Provence und Kataloniens in
den Kreis des griechischen Lebens gezogen worden. Auf diesem Punkte also,
wo Asien und Europa sich berühren, in einer auf asiatischem Boden gegründe¬
ten, aber in ihrer Thätigkeit durchaus dem europäischen Verkehr zugewandten
Stadt, in einer Stadt, die wie keine andere es sich zur Aufgabe gemacht hat,
den fernen Westen mit dem Osten zu vermitteln, in der Mutterstadt Marseilles,
da mag wohl zuerst die Münze entstanden sein.

Nach Kleinasien also, an die ionische Küste führt uns die älteste Geschichte
des Geldstücks — in eben jene Gegend, wo die Buchstabenschrift ihre Ausbil¬
dung empfangen hat, wo der griechische Handel zuerst erblüht ist, wo zuerst
das Schifferdvrf zu einem Gemeinwesen freier Bürger sich entwickelt, wo Poesie
und Philosophie ihre frühesten und mit die herrlichsten Blüthen getrieben haben.
Der Pfennig ist ein geringes Ding, und es mag Manchem seltsam vorkommen,
wenn ich seinen Ursprung zusammen nenne mit dem göttlichen Homer und dem
Weisen Thales; und doch schickt sich dieses Alles recht wohl zusammen — sind
es doch vier der gewaltigsten irdischen Dinge, die in die Schöpfung der Münze
sich theilen: Staat, Handel, Kunst und Wissenschaft. Wer über Münzen han¬
delt, der hat ein Recht darauf Zahlen vorzubringen; und obwohl ich mich
dieses Rechts mit Bescheidenheit bedienen werde, so würde ich doch dem Ge¬
genstand nicht genügen, wenn ich ganz schwiege von den Anfängen des Münz-
shstems. Die älteste asiatische Ordnung von Maß und Gewicht ist erst vor
wenigen Jahren uns genau bekannt geworden durch die von Layard in Ninive


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/397>, abgerufen am 23.11.2024.