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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Europa habe sie nur geringes Gewicht. Lord Castlereagh, auf den Graf
Czicszl'owski sich sonst so gern beruft und dessen Noten er zu Gesetzen erheben
möchte, durch welche wir gebunden wären, schrieb im October 1814. daß er
nicht begreife, warum Preußen nicht auf Kosten eines Feindes schadlos gehalten
werden solle, der, nach den Principien des Völkerrechts die Gesammtheit seiner
politischen Rechte eingebüßt habe.

Nur Kaiser Alexander zeigte Sympathien für die Polen; aber nicht nur
der Freiherr v. Stein trat ihm entgegen, sondern selbst sein eigner Minister
Pozzo ti Borgo: "Sind die Polen." sagte dieser, "so gut für eine freie Ver¬
fassung vorbereitet, warum haben sie denn bei Bonaparte keine Schritte gethan,
sich als Nation zu stellen, sondern nur als französisches Militärdepartement?
Weshalb haben sie gar keine" Widerwillen gezeigt, zu marschiren, um die
Spanier zu morden, und Feste und Gelage an-urichten, jedesmal wenn ein
Regiment nach den Pyrenäen zog? Die Polen fordern nicht ihre Befreiung,
sondern ihre Selbstherrschaft, nachdem sie Madrid verwüstet und Moskau ver¬
brannt haben. Sie declamiren Dramen über ihr Unglück, und doch ist ihr
Loos kein anderes, als was alle Völker, die sich so betragen, getroffen hat."
(Pertz, Stein IV. S. 184.)

In dieser Stimmung gegen die Nation ging man an die Arbeiten des
Congresses. Es handelte sich nur darum, die Modalitäten zu finden und zu
bestimmen, welche dem Frieden und der Ruhe der Staaten die möglichste Dauer
geben würden.

Die Arbeit, die einzelnen Bestimmungen der Verträge in Betreff unserer
Provinz zu analysiren, ist nicht so leicht, wie sie Graf Czieszkowsli und die
Zierde des polnischen Junkcrthums, Herr Referendarius Dr. V. Niegolcwski,
nehmen. Es gehört dazu, daß man auf den Text des Friedens von Tilsit
zurückgehe, daß man diejenigen Paragraphen hübsch mitlese, welche die andern
preußischen Erwerbungen angehen, daß man endlich auch das Datum der ein¬
zelnen Acte u. s. f. beachte. Wir haben auf preußischer Seite drei ganz vor¬
zügliche Darstellungen des Sachverhaltes. Mit der Schärfe eines genialen
Militärs, der ernstem Nachdenken nicht aus dem Wege geht, hat der damalige
Major, jetzige General, v. Voigts - Nhetz, der bedeutendste Schriftsteller in
unseren Provinzialangclegenheiten, im Jahre 1849, wo er Mitglied der ersten
Kammer war, eine Denlschnft über die politische Stellung der Provinz Posen
zur preußischen Monarchie und die nationale Berechtigung ihrer polnischen
Bewohner, nach staatsrechtlichen Urkunden und officiellen Documenten als
Manuscript drucken lassen. In der Weise eines wohlmeinenden Patrioten hat
sich "ein früherer Abgeordneter der Provinz Posen", in welchem man den
General v. Ölberg zu errathen glaubt, seiner früheren Mandanten in einer
schon erwähnten Schrift "Das Großherzogthum Posen und die Polen" (1861)


Europa habe sie nur geringes Gewicht. Lord Castlereagh, auf den Graf
Czicszl'owski sich sonst so gern beruft und dessen Noten er zu Gesetzen erheben
möchte, durch welche wir gebunden wären, schrieb im October 1814. daß er
nicht begreife, warum Preußen nicht auf Kosten eines Feindes schadlos gehalten
werden solle, der, nach den Principien des Völkerrechts die Gesammtheit seiner
politischen Rechte eingebüßt habe.

Nur Kaiser Alexander zeigte Sympathien für die Polen; aber nicht nur
der Freiherr v. Stein trat ihm entgegen, sondern selbst sein eigner Minister
Pozzo ti Borgo: „Sind die Polen." sagte dieser, „so gut für eine freie Ver¬
fassung vorbereitet, warum haben sie denn bei Bonaparte keine Schritte gethan,
sich als Nation zu stellen, sondern nur als französisches Militärdepartement?
Weshalb haben sie gar keine» Widerwillen gezeigt, zu marschiren, um die
Spanier zu morden, und Feste und Gelage an-urichten, jedesmal wenn ein
Regiment nach den Pyrenäen zog? Die Polen fordern nicht ihre Befreiung,
sondern ihre Selbstherrschaft, nachdem sie Madrid verwüstet und Moskau ver¬
brannt haben. Sie declamiren Dramen über ihr Unglück, und doch ist ihr
Loos kein anderes, als was alle Völker, die sich so betragen, getroffen hat."
(Pertz, Stein IV. S. 184.)

In dieser Stimmung gegen die Nation ging man an die Arbeiten des
Congresses. Es handelte sich nur darum, die Modalitäten zu finden und zu
bestimmen, welche dem Frieden und der Ruhe der Staaten die möglichste Dauer
geben würden.

Die Arbeit, die einzelnen Bestimmungen der Verträge in Betreff unserer
Provinz zu analysiren, ist nicht so leicht, wie sie Graf Czieszkowsli und die
Zierde des polnischen Junkcrthums, Herr Referendarius Dr. V. Niegolcwski,
nehmen. Es gehört dazu, daß man auf den Text des Friedens von Tilsit
zurückgehe, daß man diejenigen Paragraphen hübsch mitlese, welche die andern
preußischen Erwerbungen angehen, daß man endlich auch das Datum der ein¬
zelnen Acte u. s. f. beachte. Wir haben auf preußischer Seite drei ganz vor¬
zügliche Darstellungen des Sachverhaltes. Mit der Schärfe eines genialen
Militärs, der ernstem Nachdenken nicht aus dem Wege geht, hat der damalige
Major, jetzige General, v. Voigts - Nhetz, der bedeutendste Schriftsteller in
unseren Provinzialangclegenheiten, im Jahre 1849, wo er Mitglied der ersten
Kammer war, eine Denlschnft über die politische Stellung der Provinz Posen
zur preußischen Monarchie und die nationale Berechtigung ihrer polnischen
Bewohner, nach staatsrechtlichen Urkunden und officiellen Documenten als
Manuscript drucken lassen. In der Weise eines wohlmeinenden Patrioten hat
sich „ein früherer Abgeordneter der Provinz Posen", in welchem man den
General v. Ölberg zu errathen glaubt, seiner früheren Mandanten in einer
schon erwähnten Schrift „Das Großherzogthum Posen und die Polen" (1861)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/370>, abgerufen am 23.12.2024.