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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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den Verschwörungsapparat mit allen seinen italienischen Erfindungen in kun¬
diger Hand, sie verstehen die Neigungen des Volkes zu dramatischen Emotionen
zu befriedigen, sie beherrschen die öffentliche Meinung mit einem Terrorismus,
dem sich auch die aristokratische Partei fügen muß, Trauerkleider, Pro-
cessionen, Singen polnischer Lieder, zwangsweises Erbeben von Geldbeiträgen,
geheime Druckerstätten, Spionage, geheime Gesellschaften mit verschiedenen
Graden und Geheimlehren, alle diese Mittel wurden seit dem Regierungsantritt
des Kaisers Alexander allmälig in Warschau ausgebreitet und mit großer Vir¬
tuosität gehandhabt. Die aristokratische Partei brauchte die steigende Erregung
des Volkes für ihre Zwecke, sie war aber auch genöthigt, diesem Treiben nach¬
zugeben, wo sie es für gefährlich hielt und doch nicht hindern konnte. In den
letzten Wochen ist auch in deutschen Blättern der Argwohn ausgesprochen
worden, daß die Mordversuche an dem Marquis Wielopolsti seine eigene Er¬
findung seien! Sollen auch die Attentate aus den Großfürsten Konstantin als
kluge Dichtungen des kaiserlichen Prinzen hinweg erklärt werden? Daß beide
den kurzsichtigen Fanatikern tödtlich verhaßt waren, ist ebenso unzweifelhaft,
als daß Mitglieder des Revolutionscomit" genau den Grad von politischer Sittlich¬
keit besitzen, dessen sich Ravaillac erfreute, durch den Orsini in unsern Tagen die
Bewunderung von Narren und Schurken für sich gewann.

Die conservative Partei aber wollte trotz Sorge und Haß die Revolutions-
männer zum Herausholen einiger feurigen Kastanien benutzen, und wenn
die gefährlichen aber unvermeidlichen Dienste gethan wären, mit ihr kurze
Abrechnung halten. Die Führer des Adels wußten seit einem Jahre, daß
die Revolutionspartei einen Aufstand vorbereitete, sie hatten dabei Alles
für sich und ihr Polen zu fürchten, aber es war ihr Verhängniß und das
Verhängniß ihres unglücklichen Vaterlandes, daß sie nur mit halber Kraft
den Verschwörern, welche die öffentliche Meinung tyrannisirten, entgegentreten
konnten.

Als die Anzeichen eines bevorstehenden Ausbruchs in Petersburg drohend
wurden, beschloß die Regierung, durch eine große Aushebungsruzzia der Ver¬
schwörung zuvorzukommen. Wir wissen nicht, wie weit die Führer der aristo¬
kratischen Partei in der Stille bei dieser Maßregel betheiligt waren. Es lag
in ihrem höchsten Interesse, einen Aufstand zu verhindern, sie können sich aber
auch die Gefahr nicht verborgen haben, daß gerade die Aushebung eine ver¬
zweifelte Empörung des Landes hervorrufen und dadurch ihre eigene politische
Thätigkeit in Frage stellen könne. Gleichviel aber, ob die Razzia durch Wielo¬
polsli begünstigt oder nothgedrungen unterstützt wurde, sie wurde verhängniß-
voll auch für die aristokratische Partei der Polen. Gerade die Mittel, durch
welche man eine allmälige Ablösung von Rußland bewirken wollte, die massen¬
hafte Einführung polnischer Beamten, erwies sich als die beste Unterstützung


den Verschwörungsapparat mit allen seinen italienischen Erfindungen in kun¬
diger Hand, sie verstehen die Neigungen des Volkes zu dramatischen Emotionen
zu befriedigen, sie beherrschen die öffentliche Meinung mit einem Terrorismus,
dem sich auch die aristokratische Partei fügen muß, Trauerkleider, Pro-
cessionen, Singen polnischer Lieder, zwangsweises Erbeben von Geldbeiträgen,
geheime Druckerstätten, Spionage, geheime Gesellschaften mit verschiedenen
Graden und Geheimlehren, alle diese Mittel wurden seit dem Regierungsantritt
des Kaisers Alexander allmälig in Warschau ausgebreitet und mit großer Vir¬
tuosität gehandhabt. Die aristokratische Partei brauchte die steigende Erregung
des Volkes für ihre Zwecke, sie war aber auch genöthigt, diesem Treiben nach¬
zugeben, wo sie es für gefährlich hielt und doch nicht hindern konnte. In den
letzten Wochen ist auch in deutschen Blättern der Argwohn ausgesprochen
worden, daß die Mordversuche an dem Marquis Wielopolsti seine eigene Er¬
findung seien! Sollen auch die Attentate aus den Großfürsten Konstantin als
kluge Dichtungen des kaiserlichen Prinzen hinweg erklärt werden? Daß beide
den kurzsichtigen Fanatikern tödtlich verhaßt waren, ist ebenso unzweifelhaft,
als daß Mitglieder des Revolutionscomit« genau den Grad von politischer Sittlich¬
keit besitzen, dessen sich Ravaillac erfreute, durch den Orsini in unsern Tagen die
Bewunderung von Narren und Schurken für sich gewann.

Die conservative Partei aber wollte trotz Sorge und Haß die Revolutions-
männer zum Herausholen einiger feurigen Kastanien benutzen, und wenn
die gefährlichen aber unvermeidlichen Dienste gethan wären, mit ihr kurze
Abrechnung halten. Die Führer des Adels wußten seit einem Jahre, daß
die Revolutionspartei einen Aufstand vorbereitete, sie hatten dabei Alles
für sich und ihr Polen zu fürchten, aber es war ihr Verhängniß und das
Verhängniß ihres unglücklichen Vaterlandes, daß sie nur mit halber Kraft
den Verschwörern, welche die öffentliche Meinung tyrannisirten, entgegentreten
konnten.

Als die Anzeichen eines bevorstehenden Ausbruchs in Petersburg drohend
wurden, beschloß die Regierung, durch eine große Aushebungsruzzia der Ver¬
schwörung zuvorzukommen. Wir wissen nicht, wie weit die Führer der aristo¬
kratischen Partei in der Stille bei dieser Maßregel betheiligt waren. Es lag
in ihrem höchsten Interesse, einen Aufstand zu verhindern, sie können sich aber
auch die Gefahr nicht verborgen haben, daß gerade die Aushebung eine ver¬
zweifelte Empörung des Landes hervorrufen und dadurch ihre eigene politische
Thätigkeit in Frage stellen könne. Gleichviel aber, ob die Razzia durch Wielo¬
polsli begünstigt oder nothgedrungen unterstützt wurde, sie wurde verhängniß-
voll auch für die aristokratische Partei der Polen. Gerade die Mittel, durch
welche man eine allmälige Ablösung von Rußland bewirken wollte, die massen¬
hafte Einführung polnischer Beamten, erwies sich als die beste Unterstützung


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[0358] den Verschwörungsapparat mit allen seinen italienischen Erfindungen in kun¬ diger Hand, sie verstehen die Neigungen des Volkes zu dramatischen Emotionen zu befriedigen, sie beherrschen die öffentliche Meinung mit einem Terrorismus, dem sich auch die aristokratische Partei fügen muß, Trauerkleider, Pro- cessionen, Singen polnischer Lieder, zwangsweises Erbeben von Geldbeiträgen, geheime Druckerstätten, Spionage, geheime Gesellschaften mit verschiedenen Graden und Geheimlehren, alle diese Mittel wurden seit dem Regierungsantritt des Kaisers Alexander allmälig in Warschau ausgebreitet und mit großer Vir¬ tuosität gehandhabt. Die aristokratische Partei brauchte die steigende Erregung des Volkes für ihre Zwecke, sie war aber auch genöthigt, diesem Treiben nach¬ zugeben, wo sie es für gefährlich hielt und doch nicht hindern konnte. In den letzten Wochen ist auch in deutschen Blättern der Argwohn ausgesprochen worden, daß die Mordversuche an dem Marquis Wielopolsti seine eigene Er¬ findung seien! Sollen auch die Attentate aus den Großfürsten Konstantin als kluge Dichtungen des kaiserlichen Prinzen hinweg erklärt werden? Daß beide den kurzsichtigen Fanatikern tödtlich verhaßt waren, ist ebenso unzweifelhaft, als daß Mitglieder des Revolutionscomit« genau den Grad von politischer Sittlich¬ keit besitzen, dessen sich Ravaillac erfreute, durch den Orsini in unsern Tagen die Bewunderung von Narren und Schurken für sich gewann. Die conservative Partei aber wollte trotz Sorge und Haß die Revolutions- männer zum Herausholen einiger feurigen Kastanien benutzen, und wenn die gefährlichen aber unvermeidlichen Dienste gethan wären, mit ihr kurze Abrechnung halten. Die Führer des Adels wußten seit einem Jahre, daß die Revolutionspartei einen Aufstand vorbereitete, sie hatten dabei Alles für sich und ihr Polen zu fürchten, aber es war ihr Verhängniß und das Verhängniß ihres unglücklichen Vaterlandes, daß sie nur mit halber Kraft den Verschwörern, welche die öffentliche Meinung tyrannisirten, entgegentreten konnten. Als die Anzeichen eines bevorstehenden Ausbruchs in Petersburg drohend wurden, beschloß die Regierung, durch eine große Aushebungsruzzia der Ver¬ schwörung zuvorzukommen. Wir wissen nicht, wie weit die Führer der aristo¬ kratischen Partei in der Stille bei dieser Maßregel betheiligt waren. Es lag in ihrem höchsten Interesse, einen Aufstand zu verhindern, sie können sich aber auch die Gefahr nicht verborgen haben, daß gerade die Aushebung eine ver¬ zweifelte Empörung des Landes hervorrufen und dadurch ihre eigene politische Thätigkeit in Frage stellen könne. Gleichviel aber, ob die Razzia durch Wielo¬ polsli begünstigt oder nothgedrungen unterstützt wurde, sie wurde verhängniß- voll auch für die aristokratische Partei der Polen. Gerade die Mittel, durch welche man eine allmälige Ablösung von Rußland bewirken wollte, die massen¬ hafte Einführung polnischer Beamten, erwies sich als die beste Unterstützung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/358>, abgerufen am 28.07.2024.