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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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entfaltung der persischen Macht unter Chosru Perwiz. dann nicht weniger un¬
erhörte Erfolge der Oströmer unter Heraklius Vorführt und mit dem jähen und
schmählichen Zusammensturz beider Mächte unter dem Allahrufe einer Schaar
gottbegcisterter Beduinen endigt. Den richtigen Abschluß bildet das Jahr 641,
welches durch den Tod des Heraklius (der Syrien bereits preisgegeben hatte),
den Verlust Aegyptens und die über Persiens Loos entscheidende Schlacht bei
Nehawend ausgezeichnet ist.

Auch im Orient hat der große politische Umschwung seine Rückwirkung auf
die Kirche geäußert: nicht blos durch den Masscnübcrtritt zum Islam, sondern
namentlich auch dadurch, daß die bis dahin von Konstantinopel aus mit Hülfe
Von Beamten und Soldaten niedergedrückten häretischen Kirchen der Nestorianer
und besonders der Mvnophysiten nunmehr ihr Haupt neben und unter dem
Schutze der Araber über die heilige orthodoxe anatolische Kirche erheben und
alle Aussichten des Patriarchen von Konstantinopel auf eine der des römischen
Bischofs analoge Weltstellung für immer zu Nichte machen.

Nun noch ein Wort über die Literatur. Es ist in der Natur der Sache
begründet, daß im Abendlands, wo es sich um das Uebergehen der Herrschaft von
den Römern auf die Germanen handelt, das Ende der alten Geschichte im
Wesentlichen auch das Ende der alten Literatur sein muß. Hier ist denn
auch das Grenzjahr 476 als unhaltbar allgemein preisgegeben und vielmehr
etwa die Mitte des sechsten Jahrhunderts als Endpunkt angenommen worden.
Es liegt auch aus der Hand, daß eine Grenzlinie nicht richtig gezogen sein
kann, durch welche zwei so echtrömische Erscheinungen wie Bvöthius und Cas-
siodor, durch welche die die Entwicklung auf den betreffenden Gebieten abschließen¬
den, den folgenden Jahrhunderten zur alleinigen Richtschnur dienenden Werke
eines Priscian in der Grammatik, eines Jsidor im encyklopädischen Fache, vor Allem
aber das Liorpus M-is von der römischen Literatur ganz ausgeschlossen werden.

Am schärfsten läßt sich die alte und die neue Zeit auf dem Gebiete der
Geschichtschreibung auseinanderhalten. auf welche die politischen Veränderungen
am unmittelbarsten rückwirken. Die Männer, welche man an die Spitze der
mittelalterlichen Geschichtschreibung zu stellen pflegt, Cassiodor und sein Epito-
mator Jordanes (SSI), Gildas der Weise (559), Gregor von Tours (S93).
Jsidor von Sevilla (628). sind vielmehr in ihren Ländern die letzten Vertreter
des Alterthums; sie stehen in ihrer Anschauungsweise, wenn auch der Satzbau
und die historische Conception die einbrechende Nacht genügend verräth, noch
ganz auf römischem Boden, und sind auch ihrer Nationalität nach alle wenig¬
stens von der einen Seite her Romanen. Die Keime der mittelalterlichen
lateinischen Historiographie liegen nicht hier, sondern in den im Frankenrciche
mit dem achten Jahrhunderte beginnenden Klosterannalen, die, anfangs äußerst
mager und unvollständig, sich mit der Zeit immer mehr erweitern. Einen


entfaltung der persischen Macht unter Chosru Perwiz. dann nicht weniger un¬
erhörte Erfolge der Oströmer unter Heraklius Vorführt und mit dem jähen und
schmählichen Zusammensturz beider Mächte unter dem Allahrufe einer Schaar
gottbegcisterter Beduinen endigt. Den richtigen Abschluß bildet das Jahr 641,
welches durch den Tod des Heraklius (der Syrien bereits preisgegeben hatte),
den Verlust Aegyptens und die über Persiens Loos entscheidende Schlacht bei
Nehawend ausgezeichnet ist.

Auch im Orient hat der große politische Umschwung seine Rückwirkung auf
die Kirche geäußert: nicht blos durch den Masscnübcrtritt zum Islam, sondern
namentlich auch dadurch, daß die bis dahin von Konstantinopel aus mit Hülfe
Von Beamten und Soldaten niedergedrückten häretischen Kirchen der Nestorianer
und besonders der Mvnophysiten nunmehr ihr Haupt neben und unter dem
Schutze der Araber über die heilige orthodoxe anatolische Kirche erheben und
alle Aussichten des Patriarchen von Konstantinopel auf eine der des römischen
Bischofs analoge Weltstellung für immer zu Nichte machen.

Nun noch ein Wort über die Literatur. Es ist in der Natur der Sache
begründet, daß im Abendlands, wo es sich um das Uebergehen der Herrschaft von
den Römern auf die Germanen handelt, das Ende der alten Geschichte im
Wesentlichen auch das Ende der alten Literatur sein muß. Hier ist denn
auch das Grenzjahr 476 als unhaltbar allgemein preisgegeben und vielmehr
etwa die Mitte des sechsten Jahrhunderts als Endpunkt angenommen worden.
Es liegt auch aus der Hand, daß eine Grenzlinie nicht richtig gezogen sein
kann, durch welche zwei so echtrömische Erscheinungen wie Bvöthius und Cas-
siodor, durch welche die die Entwicklung auf den betreffenden Gebieten abschließen¬
den, den folgenden Jahrhunderten zur alleinigen Richtschnur dienenden Werke
eines Priscian in der Grammatik, eines Jsidor im encyklopädischen Fache, vor Allem
aber das Liorpus M-is von der römischen Literatur ganz ausgeschlossen werden.

Am schärfsten läßt sich die alte und die neue Zeit auf dem Gebiete der
Geschichtschreibung auseinanderhalten. auf welche die politischen Veränderungen
am unmittelbarsten rückwirken. Die Männer, welche man an die Spitze der
mittelalterlichen Geschichtschreibung zu stellen pflegt, Cassiodor und sein Epito-
mator Jordanes (SSI), Gildas der Weise (559), Gregor von Tours (S93).
Jsidor von Sevilla (628). sind vielmehr in ihren Ländern die letzten Vertreter
des Alterthums; sie stehen in ihrer Anschauungsweise, wenn auch der Satzbau
und die historische Conception die einbrechende Nacht genügend verräth, noch
ganz auf römischem Boden, und sind auch ihrer Nationalität nach alle wenig¬
stens von der einen Seite her Romanen. Die Keime der mittelalterlichen
lateinischen Historiographie liegen nicht hier, sondern in den im Frankenrciche
mit dem achten Jahrhunderte beginnenden Klosterannalen, die, anfangs äußerst
mager und unvollständig, sich mit der Zeit immer mehr erweitern. Einen


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[0349] entfaltung der persischen Macht unter Chosru Perwiz. dann nicht weniger un¬ erhörte Erfolge der Oströmer unter Heraklius Vorführt und mit dem jähen und schmählichen Zusammensturz beider Mächte unter dem Allahrufe einer Schaar gottbegcisterter Beduinen endigt. Den richtigen Abschluß bildet das Jahr 641, welches durch den Tod des Heraklius (der Syrien bereits preisgegeben hatte), den Verlust Aegyptens und die über Persiens Loos entscheidende Schlacht bei Nehawend ausgezeichnet ist. Auch im Orient hat der große politische Umschwung seine Rückwirkung auf die Kirche geäußert: nicht blos durch den Masscnübcrtritt zum Islam, sondern namentlich auch dadurch, daß die bis dahin von Konstantinopel aus mit Hülfe Von Beamten und Soldaten niedergedrückten häretischen Kirchen der Nestorianer und besonders der Mvnophysiten nunmehr ihr Haupt neben und unter dem Schutze der Araber über die heilige orthodoxe anatolische Kirche erheben und alle Aussichten des Patriarchen von Konstantinopel auf eine der des römischen Bischofs analoge Weltstellung für immer zu Nichte machen. Nun noch ein Wort über die Literatur. Es ist in der Natur der Sache begründet, daß im Abendlands, wo es sich um das Uebergehen der Herrschaft von den Römern auf die Germanen handelt, das Ende der alten Geschichte im Wesentlichen auch das Ende der alten Literatur sein muß. Hier ist denn auch das Grenzjahr 476 als unhaltbar allgemein preisgegeben und vielmehr etwa die Mitte des sechsten Jahrhunderts als Endpunkt angenommen worden. Es liegt auch aus der Hand, daß eine Grenzlinie nicht richtig gezogen sein kann, durch welche zwei so echtrömische Erscheinungen wie Bvöthius und Cas- siodor, durch welche die die Entwicklung auf den betreffenden Gebieten abschließen¬ den, den folgenden Jahrhunderten zur alleinigen Richtschnur dienenden Werke eines Priscian in der Grammatik, eines Jsidor im encyklopädischen Fache, vor Allem aber das Liorpus M-is von der römischen Literatur ganz ausgeschlossen werden. Am schärfsten läßt sich die alte und die neue Zeit auf dem Gebiete der Geschichtschreibung auseinanderhalten. auf welche die politischen Veränderungen am unmittelbarsten rückwirken. Die Männer, welche man an die Spitze der mittelalterlichen Geschichtschreibung zu stellen pflegt, Cassiodor und sein Epito- mator Jordanes (SSI), Gildas der Weise (559), Gregor von Tours (S93). Jsidor von Sevilla (628). sind vielmehr in ihren Ländern die letzten Vertreter des Alterthums; sie stehen in ihrer Anschauungsweise, wenn auch der Satzbau und die historische Conception die einbrechende Nacht genügend verräth, noch ganz auf römischem Boden, und sind auch ihrer Nationalität nach alle wenig¬ stens von der einen Seite her Romanen. Die Keime der mittelalterlichen lateinischen Historiographie liegen nicht hier, sondern in den im Frankenrciche mit dem achten Jahrhunderte beginnenden Klosterannalen, die, anfangs äußerst mager und unvollständig, sich mit der Zeit immer mehr erweitern. Einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/349>, abgerufen am 25.11.2024.