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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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sehen Reichs der Nachwelt eine Lehre hat geben wollen, so kann es nur die
sein, daß ein Staat für die höchsten Güter der Menschheit wenig oder gar
nichts wirken und doch die heftigsten Stürme überdauern kann, vorausgesetzt,
daß er nicht aus ungleichartigen, auseinanderstrebenden Bestandtheilen zusam¬
mengesetzt ist und die physischen Machtmittel: Finanzen und Heerwesen, nicht
verkümmern läßt.

Den ersten Grund zu diesem in kulturhistorischer Beziehung mit Recht, in
Polnischer aber unvcrdientcrwcise geringgeschätzten Organismus hat Diocle-
tian gelegt. Konstantin hat dessen Plan modificirt und durch Hineinziehung
der christlichen Kirche erweitert. Die bedeutenderen unter den folgenden Kaisern
haben jeder seinen Theil zum Ausbaue beigesteuert, den Schlußstein aber haben
dem Ganzen erst Justinians Negicrungsmaßrcgcln eingefügt. Der mit Bewußt¬
sein und planmäßig gethane Schritt vom Römischen zu dem, was wir Byzan¬
tinisch nennen, ist gleichbedeutend mit der Umbildung des unmöglich gewordenen
Svldatcnkaiserthums in eine Bureaukratie, mit der Einführung einer straf¬
fen Centralisation in allen Zweigen der Verwaltung, mit der endlichen Nivel-
lirung der noch übrigen provinziellen Gegensätze. Hand in Hand damit ging,
wie schon die Verlegung der Hauptstadt von Rom nach Nitomedicn, dann nach
Konsiantinopcl zeigte, eine Vertauschung der römischen Basis des Staates mit
einer griechischen, oder richtiger gesagt, hellenistischen, die im Verlaufe endlich
zur völligen Verläugnung des römischen Charakters führen mußte. In dieser
Hinsicht ist von oben her einige Mal eingehalten worden; das Absterben der
westlichen Extremitäten des römischen Reichs drängte aber mit Nothwendigkeit
vorwärts auf der einmal betretenen Bahn. Justinian für seine Person hat
das Lateinische als Regierungssprache noch beibehalten, wohl im Hinblick aus
seine italischen Ncunionspläne, wie die Sprache der Institutionen zur Genüge
darthut: aber schon die Novellen sind griechisch, desgleichen die Gesetze aller
seiner Nachfolger, und schließlich bewahren nur noch die Münzen ein seltsames
Gemisch beider Sprachen.

Nicht durch ein bestimmtes Gesetz, aber in Folge der neuen Organisation
ganz von selbst trat bei der Besetzung des Kaiserthrons eine wesentliche Ver¬
änderung ein. Von jetzt an bestimmte in der Regel jeder Kaiser vor seinem
Tode seinen Nachfolger, der zu seiner Anerkennung der Bestätigung des Se¬
nats bedürfte; hatte er diese erlangt, so ward er den Ncnnbahnparteien vor¬
gestellt und von diesen durch Acclamation angenommen: von einer Betheiligung
der Armee an der Wahl ist in der nächsten Zeit keine Rede. Dieser Modus
der Ernennung mußte unter der Regierung kräftiger Kaiser zur Bildung dauer¬
hafterer erblicher Dynastien führen, nach denen das römische Reich in früherer
Zeit vergeblich gestrebt hatte. Bis auf Justinians Zeit war der Thron meist
"ut romanisirten Barbaren aus den Grenzprovinzen besetzt worden: Mar-


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sehen Reichs der Nachwelt eine Lehre hat geben wollen, so kann es nur die
sein, daß ein Staat für die höchsten Güter der Menschheit wenig oder gar
nichts wirken und doch die heftigsten Stürme überdauern kann, vorausgesetzt,
daß er nicht aus ungleichartigen, auseinanderstrebenden Bestandtheilen zusam¬
mengesetzt ist und die physischen Machtmittel: Finanzen und Heerwesen, nicht
verkümmern läßt.

Den ersten Grund zu diesem in kulturhistorischer Beziehung mit Recht, in
Polnischer aber unvcrdientcrwcise geringgeschätzten Organismus hat Diocle-
tian gelegt. Konstantin hat dessen Plan modificirt und durch Hineinziehung
der christlichen Kirche erweitert. Die bedeutenderen unter den folgenden Kaisern
haben jeder seinen Theil zum Ausbaue beigesteuert, den Schlußstein aber haben
dem Ganzen erst Justinians Negicrungsmaßrcgcln eingefügt. Der mit Bewußt¬
sein und planmäßig gethane Schritt vom Römischen zu dem, was wir Byzan¬
tinisch nennen, ist gleichbedeutend mit der Umbildung des unmöglich gewordenen
Svldatcnkaiserthums in eine Bureaukratie, mit der Einführung einer straf¬
fen Centralisation in allen Zweigen der Verwaltung, mit der endlichen Nivel-
lirung der noch übrigen provinziellen Gegensätze. Hand in Hand damit ging,
wie schon die Verlegung der Hauptstadt von Rom nach Nitomedicn, dann nach
Konsiantinopcl zeigte, eine Vertauschung der römischen Basis des Staates mit
einer griechischen, oder richtiger gesagt, hellenistischen, die im Verlaufe endlich
zur völligen Verläugnung des römischen Charakters führen mußte. In dieser
Hinsicht ist von oben her einige Mal eingehalten worden; das Absterben der
westlichen Extremitäten des römischen Reichs drängte aber mit Nothwendigkeit
vorwärts auf der einmal betretenen Bahn. Justinian für seine Person hat
das Lateinische als Regierungssprache noch beibehalten, wohl im Hinblick aus
seine italischen Ncunionspläne, wie die Sprache der Institutionen zur Genüge
darthut: aber schon die Novellen sind griechisch, desgleichen die Gesetze aller
seiner Nachfolger, und schließlich bewahren nur noch die Münzen ein seltsames
Gemisch beider Sprachen.

Nicht durch ein bestimmtes Gesetz, aber in Folge der neuen Organisation
ganz von selbst trat bei der Besetzung des Kaiserthrons eine wesentliche Ver¬
änderung ein. Von jetzt an bestimmte in der Regel jeder Kaiser vor seinem
Tode seinen Nachfolger, der zu seiner Anerkennung der Bestätigung des Se¬
nats bedürfte; hatte er diese erlangt, so ward er den Ncnnbahnparteien vor¬
gestellt und von diesen durch Acclamation angenommen: von einer Betheiligung
der Armee an der Wahl ist in der nächsten Zeit keine Rede. Dieser Modus
der Ernennung mußte unter der Regierung kräftiger Kaiser zur Bildung dauer¬
hafterer erblicher Dynastien führen, nach denen das römische Reich in früherer
Zeit vergeblich gestrebt hatte. Bis auf Justinians Zeit war der Thron meist
»ut romanisirten Barbaren aus den Grenzprovinzen besetzt worden: Mar-


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[0347] sehen Reichs der Nachwelt eine Lehre hat geben wollen, so kann es nur die sein, daß ein Staat für die höchsten Güter der Menschheit wenig oder gar nichts wirken und doch die heftigsten Stürme überdauern kann, vorausgesetzt, daß er nicht aus ungleichartigen, auseinanderstrebenden Bestandtheilen zusam¬ mengesetzt ist und die physischen Machtmittel: Finanzen und Heerwesen, nicht verkümmern läßt. Den ersten Grund zu diesem in kulturhistorischer Beziehung mit Recht, in Polnischer aber unvcrdientcrwcise geringgeschätzten Organismus hat Diocle- tian gelegt. Konstantin hat dessen Plan modificirt und durch Hineinziehung der christlichen Kirche erweitert. Die bedeutenderen unter den folgenden Kaisern haben jeder seinen Theil zum Ausbaue beigesteuert, den Schlußstein aber haben dem Ganzen erst Justinians Negicrungsmaßrcgcln eingefügt. Der mit Bewußt¬ sein und planmäßig gethane Schritt vom Römischen zu dem, was wir Byzan¬ tinisch nennen, ist gleichbedeutend mit der Umbildung des unmöglich gewordenen Svldatcnkaiserthums in eine Bureaukratie, mit der Einführung einer straf¬ fen Centralisation in allen Zweigen der Verwaltung, mit der endlichen Nivel- lirung der noch übrigen provinziellen Gegensätze. Hand in Hand damit ging, wie schon die Verlegung der Hauptstadt von Rom nach Nitomedicn, dann nach Konsiantinopcl zeigte, eine Vertauschung der römischen Basis des Staates mit einer griechischen, oder richtiger gesagt, hellenistischen, die im Verlaufe endlich zur völligen Verläugnung des römischen Charakters führen mußte. In dieser Hinsicht ist von oben her einige Mal eingehalten worden; das Absterben der westlichen Extremitäten des römischen Reichs drängte aber mit Nothwendigkeit vorwärts auf der einmal betretenen Bahn. Justinian für seine Person hat das Lateinische als Regierungssprache noch beibehalten, wohl im Hinblick aus seine italischen Ncunionspläne, wie die Sprache der Institutionen zur Genüge darthut: aber schon die Novellen sind griechisch, desgleichen die Gesetze aller seiner Nachfolger, und schließlich bewahren nur noch die Münzen ein seltsames Gemisch beider Sprachen. Nicht durch ein bestimmtes Gesetz, aber in Folge der neuen Organisation ganz von selbst trat bei der Besetzung des Kaiserthrons eine wesentliche Ver¬ änderung ein. Von jetzt an bestimmte in der Regel jeder Kaiser vor seinem Tode seinen Nachfolger, der zu seiner Anerkennung der Bestätigung des Se¬ nats bedürfte; hatte er diese erlangt, so ward er den Ncnnbahnparteien vor¬ gestellt und von diesen durch Acclamation angenommen: von einer Betheiligung der Armee an der Wahl ist in der nächsten Zeit keine Rede. Dieser Modus der Ernennung mußte unter der Regierung kräftiger Kaiser zur Bildung dauer¬ hafterer erblicher Dynastien führen, nach denen das römische Reich in früherer Zeit vergeblich gestrebt hatte. Bis auf Justinians Zeit war der Thron meist »ut romanisirten Barbaren aus den Grenzprovinzen besetzt worden: Mar- 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/347>, abgerufen am 28.07.2024.