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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Uebergang aus der alten in eine neue Zeit hat sich im christlichen Orient mehr
innerlich vollzogen; bei einigem Nachdenken wird man sich sagen, daß er mit
dem Uebergange aus dem Römischen in das Byzantinische zu¬
sammenfallen muß.

Ehe wir diesen Zeitpunkt bezeichnen, möchte ein Wort darüber, was denn
eigentlich Byzantinisch ist. am Platze sein. Byzantinisch beliebt man alles das
zu nennen, was sich von da an ereignet hat, wo Byzanz aufhörte Byzanz zu
heißen. Die landläufige Vorstellung vom byzantinischen Reiche ist die, daß es
ein altersschwacher Staat gewesen sei. gestützt von feilen Beamten und feigen
Soldaten, dem die Nachbarn mit langsamer Stetigkeit eine Provinz nach der
andern entrissen und der doch weder zu leben noch zu sterben vermochte. Beim
Philologen Pflegt sich dieser Anschauungsweise eine gewisse selbstgefällige Dank¬
barkeit gegen die Vorsehung beizumischen, welche die tausendjährige Stagnation
des byzantinischen Reichs eigens deshalb durch eine beispiellose Kette unver-
dienter Glücksfälle vor dem Uebergehen in Fciulniß bewahrt habe, um uns
zur rechten Zeit die Schätze des griechischen Alterthums zu überliefern und zu¬
gleich Schulmeister, um die blondhaariger Barbaren des fernen Westens in den
richtigen Gebrauch der Partikel ">- einzuweihen.

Das naive Kopfzerbrechen, wie ein so gearteter Staat so lange habe be¬
stehen können, erinnert mich immer an die vom Kurfürsten Karl Theodor ge¬
stellte Preisfrage, warum Wasser mit einem Fische nicht mehr wiege als Wasser
ohne einen Fisch. Bekanntlich gingen verschiedene Lösungen ein, bis den Preis¬
bewerbern zu ihrem großen Verdruß eröffnet ward, daß die Voraussetzung
eine fälschlich erfundene sei. Die Nachbarn haben hinreichende Gelegenheit
gehabt, in dem östlichen Römerreich auch in byzantinischer Metamorphose noch
das gräuliche Thier wiederzuerkennen, das eiserne Zähne hatte, um sich fraß
und zermalmte und das Uebrige mit seinen Füßen zertrat*). Das byzantinische
Reich war ein durch Wiedergeburt verjüngter Staat, der mit den Erfahrungen des
Alters die Rührigkeit und Leistungsfähigkeit der Jugend verband. Verwaltung
und Finanzen befanden sich mit seltenen Ausnahmen in guter Ordnung. Im
Kriegswesen ward das überkommene altrömische Schema beibehalten, aber uner¬
müdlich durch zeitgemäße Verbesserungen fortgebildet. Die Erfindung des grie¬
chischen Feuers hat bei weitem nicht so nachhaltig, aber viel unmittelbarer
!n die Kriegführung eingegriffen, als die des Schießpulvers, und noch in den
letzten Zeiten des Reichs sind durch nach türkischem Muster eingerichtete leichte
Reiterschwadronen unverhoffte Erfolge erzielt worden. Für den nöthigen Stoff¬
wechsel im Staate ward durch das liberalste Herbeiziehen auswärtiger Capaci-



') Das vierte Thier der danielischen Weissagung ist bekanntlich in der Apokalypse auf
Nom bezogen worden.
Grenzboten I. 1863. 43

Uebergang aus der alten in eine neue Zeit hat sich im christlichen Orient mehr
innerlich vollzogen; bei einigem Nachdenken wird man sich sagen, daß er mit
dem Uebergange aus dem Römischen in das Byzantinische zu¬
sammenfallen muß.

Ehe wir diesen Zeitpunkt bezeichnen, möchte ein Wort darüber, was denn
eigentlich Byzantinisch ist. am Platze sein. Byzantinisch beliebt man alles das
zu nennen, was sich von da an ereignet hat, wo Byzanz aufhörte Byzanz zu
heißen. Die landläufige Vorstellung vom byzantinischen Reiche ist die, daß es
ein altersschwacher Staat gewesen sei. gestützt von feilen Beamten und feigen
Soldaten, dem die Nachbarn mit langsamer Stetigkeit eine Provinz nach der
andern entrissen und der doch weder zu leben noch zu sterben vermochte. Beim
Philologen Pflegt sich dieser Anschauungsweise eine gewisse selbstgefällige Dank¬
barkeit gegen die Vorsehung beizumischen, welche die tausendjährige Stagnation
des byzantinischen Reichs eigens deshalb durch eine beispiellose Kette unver-
dienter Glücksfälle vor dem Uebergehen in Fciulniß bewahrt habe, um uns
zur rechten Zeit die Schätze des griechischen Alterthums zu überliefern und zu¬
gleich Schulmeister, um die blondhaariger Barbaren des fernen Westens in den
richtigen Gebrauch der Partikel «>- einzuweihen.

Das naive Kopfzerbrechen, wie ein so gearteter Staat so lange habe be¬
stehen können, erinnert mich immer an die vom Kurfürsten Karl Theodor ge¬
stellte Preisfrage, warum Wasser mit einem Fische nicht mehr wiege als Wasser
ohne einen Fisch. Bekanntlich gingen verschiedene Lösungen ein, bis den Preis¬
bewerbern zu ihrem großen Verdruß eröffnet ward, daß die Voraussetzung
eine fälschlich erfundene sei. Die Nachbarn haben hinreichende Gelegenheit
gehabt, in dem östlichen Römerreich auch in byzantinischer Metamorphose noch
das gräuliche Thier wiederzuerkennen, das eiserne Zähne hatte, um sich fraß
und zermalmte und das Uebrige mit seinen Füßen zertrat*). Das byzantinische
Reich war ein durch Wiedergeburt verjüngter Staat, der mit den Erfahrungen des
Alters die Rührigkeit und Leistungsfähigkeit der Jugend verband. Verwaltung
und Finanzen befanden sich mit seltenen Ausnahmen in guter Ordnung. Im
Kriegswesen ward das überkommene altrömische Schema beibehalten, aber uner¬
müdlich durch zeitgemäße Verbesserungen fortgebildet. Die Erfindung des grie¬
chischen Feuers hat bei weitem nicht so nachhaltig, aber viel unmittelbarer
!n die Kriegführung eingegriffen, als die des Schießpulvers, und noch in den
letzten Zeiten des Reichs sind durch nach türkischem Muster eingerichtete leichte
Reiterschwadronen unverhoffte Erfolge erzielt worden. Für den nöthigen Stoff¬
wechsel im Staate ward durch das liberalste Herbeiziehen auswärtiger Capaci-



') Das vierte Thier der danielischen Weissagung ist bekanntlich in der Apokalypse auf
Nom bezogen worden.
Grenzboten I. 1863. 43
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[0345] Uebergang aus der alten in eine neue Zeit hat sich im christlichen Orient mehr innerlich vollzogen; bei einigem Nachdenken wird man sich sagen, daß er mit dem Uebergange aus dem Römischen in das Byzantinische zu¬ sammenfallen muß. Ehe wir diesen Zeitpunkt bezeichnen, möchte ein Wort darüber, was denn eigentlich Byzantinisch ist. am Platze sein. Byzantinisch beliebt man alles das zu nennen, was sich von da an ereignet hat, wo Byzanz aufhörte Byzanz zu heißen. Die landläufige Vorstellung vom byzantinischen Reiche ist die, daß es ein altersschwacher Staat gewesen sei. gestützt von feilen Beamten und feigen Soldaten, dem die Nachbarn mit langsamer Stetigkeit eine Provinz nach der andern entrissen und der doch weder zu leben noch zu sterben vermochte. Beim Philologen Pflegt sich dieser Anschauungsweise eine gewisse selbstgefällige Dank¬ barkeit gegen die Vorsehung beizumischen, welche die tausendjährige Stagnation des byzantinischen Reichs eigens deshalb durch eine beispiellose Kette unver- dienter Glücksfälle vor dem Uebergehen in Fciulniß bewahrt habe, um uns zur rechten Zeit die Schätze des griechischen Alterthums zu überliefern und zu¬ gleich Schulmeister, um die blondhaariger Barbaren des fernen Westens in den richtigen Gebrauch der Partikel «>- einzuweihen. Das naive Kopfzerbrechen, wie ein so gearteter Staat so lange habe be¬ stehen können, erinnert mich immer an die vom Kurfürsten Karl Theodor ge¬ stellte Preisfrage, warum Wasser mit einem Fische nicht mehr wiege als Wasser ohne einen Fisch. Bekanntlich gingen verschiedene Lösungen ein, bis den Preis¬ bewerbern zu ihrem großen Verdruß eröffnet ward, daß die Voraussetzung eine fälschlich erfundene sei. Die Nachbarn haben hinreichende Gelegenheit gehabt, in dem östlichen Römerreich auch in byzantinischer Metamorphose noch das gräuliche Thier wiederzuerkennen, das eiserne Zähne hatte, um sich fraß und zermalmte und das Uebrige mit seinen Füßen zertrat*). Das byzantinische Reich war ein durch Wiedergeburt verjüngter Staat, der mit den Erfahrungen des Alters die Rührigkeit und Leistungsfähigkeit der Jugend verband. Verwaltung und Finanzen befanden sich mit seltenen Ausnahmen in guter Ordnung. Im Kriegswesen ward das überkommene altrömische Schema beibehalten, aber uner¬ müdlich durch zeitgemäße Verbesserungen fortgebildet. Die Erfindung des grie¬ chischen Feuers hat bei weitem nicht so nachhaltig, aber viel unmittelbarer !n die Kriegführung eingegriffen, als die des Schießpulvers, und noch in den letzten Zeiten des Reichs sind durch nach türkischem Muster eingerichtete leichte Reiterschwadronen unverhoffte Erfolge erzielt worden. Für den nöthigen Stoff¬ wechsel im Staate ward durch das liberalste Herbeiziehen auswärtiger Capaci- ') Das vierte Thier der danielischen Weissagung ist bekanntlich in der Apokalypse auf Nom bezogen worden. Grenzboten I. 1863. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/345>, abgerufen am 25.11.2024.