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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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unier allen germanischen Völkern den größten Respect vor der in^'sstg." imperii
Uomsui gehabt haben. Theoderich und Athalarich haben sich durchaus nur
als deutsche Regenten eines integrirenden Theils des römischen Reichs betrachtet,
und daß ihren Nachfolgern von Konstantinopel aus die Anerkennung versagt
wurde, hat ihr Ansehen nicht blos bei ihren römischen, sondern auch bei ihren
gothischen Unterthanen augenscheinlich untergraben. Nur hieraus erklärt sich
der eingefleischt römische Standpunkt der Geschichtswerke des Cassiodor, der,
wenn auch Römer, doch Minister des Theoderich, und des Jordanes, der, wenn
auch Geistlicher, doch ein halber Göthe war. Die Unternehmungen Justinians
gegen Wandalen und Gothen sind eine bloße Fortsetzung der früheren von
Theodosius dem Zweiten und Leo dem Ersten zur Geltendmachung ihrer ober¬
herrlicher Rechte ins Abendland unternommenen Züge, nur ungleich erfolgreicher;
die überraschende Schnelligkeit und die noch überraschendere Dauerhaftigkeit der Kr"
folge.Justinians erklärt sich eben allein daraus, daß an den politischen Verhältnissen
des Abendlandes inzwischen nichts Wesentliches geändert worden war. Man bedenke
nur, daß die letzten, immer noch nicht ganz unbedeutenden Neste der justinianischen
Eroberungen erst im elften Jahrhundert den Normannen zur Beute gefallen sind, und
daß diese lange Dauer der oströmischen Herrschaft einen sehr wesentlichen Einfluß
auf den Charakter der Bevölkerung von Unteritalien und Sicilien ausgeübt
hat. Wenn irgend etwas, so beweist dies, daß der Eintritt der Herrschafte"
Odoakers und der Ostgothen, die aus nationalen Wurzeln keine Lebenskraft
gesogen hatten und für Italien spurlos vorübergingen, in keiner Weise einen
Abschnitt zu bilden geeignet ist. Einen solchen begründet erst der Einfall der
Langobarden S68 oder vielmehr die ihre Eroberungen in Italien auf lange Zeit
abschließende Einnahme ihrer künftigen Hauptstadt Pavia 572.

Erst die Langobarden haben mit der römischen Vergangenheit gebrochen.
Wie kein anderes ist dieses deutsche Volk seinen germanischen Erinnerungen
treu geblieben, bei keinem ist das Christenthum weniger tief eingedrungen, als
bei den Langobarden; es ist daher kein Wunder, daß nichts ihnen so fern lag,
als sich nach Art der Ostgothen vor dem alten Zauber des römischen Namens
zu beugen. Keine Rede mehr von einer Anerkennung der byzantinischen Ober¬
hoheit: schon Agilulf nennt sich i-ox totius IW1is.e. Erst die Langobarden
haben einen germanischen Staat in Italien gegründet. Die wichtigste aller
germanischen Institutionen, das Lchnwesen, finden wir gleich anfangs bei ihnen
schon sehr entwickelt, und wenige Jahre nach der Besitznahme Italiens hören
wir von dreißig Herzögen, die in den einzelnen Städten unter dem Könige ge¬
bieten. Den weltgeschichtlichen Beruf, die unterworfenen Romanen durch ger¬
manische Neubildungselemente zu befruchten und zu selbständigen Nationen zu
erziehen, der in Spanien den Westgothen, in Gallien den Franken zugefallen
war, diesen Beruf, dem die frommen und loyalen Ostgothen nicht gewachsen


unier allen germanischen Völkern den größten Respect vor der in^'sstg.« imperii
Uomsui gehabt haben. Theoderich und Athalarich haben sich durchaus nur
als deutsche Regenten eines integrirenden Theils des römischen Reichs betrachtet,
und daß ihren Nachfolgern von Konstantinopel aus die Anerkennung versagt
wurde, hat ihr Ansehen nicht blos bei ihren römischen, sondern auch bei ihren
gothischen Unterthanen augenscheinlich untergraben. Nur hieraus erklärt sich
der eingefleischt römische Standpunkt der Geschichtswerke des Cassiodor, der,
wenn auch Römer, doch Minister des Theoderich, und des Jordanes, der, wenn
auch Geistlicher, doch ein halber Göthe war. Die Unternehmungen Justinians
gegen Wandalen und Gothen sind eine bloße Fortsetzung der früheren von
Theodosius dem Zweiten und Leo dem Ersten zur Geltendmachung ihrer ober¬
herrlicher Rechte ins Abendland unternommenen Züge, nur ungleich erfolgreicher;
die überraschende Schnelligkeit und die noch überraschendere Dauerhaftigkeit der Kr»
folge.Justinians erklärt sich eben allein daraus, daß an den politischen Verhältnissen
des Abendlandes inzwischen nichts Wesentliches geändert worden war. Man bedenke
nur, daß die letzten, immer noch nicht ganz unbedeutenden Neste der justinianischen
Eroberungen erst im elften Jahrhundert den Normannen zur Beute gefallen sind, und
daß diese lange Dauer der oströmischen Herrschaft einen sehr wesentlichen Einfluß
auf den Charakter der Bevölkerung von Unteritalien und Sicilien ausgeübt
hat. Wenn irgend etwas, so beweist dies, daß der Eintritt der Herrschafte»
Odoakers und der Ostgothen, die aus nationalen Wurzeln keine Lebenskraft
gesogen hatten und für Italien spurlos vorübergingen, in keiner Weise einen
Abschnitt zu bilden geeignet ist. Einen solchen begründet erst der Einfall der
Langobarden S68 oder vielmehr die ihre Eroberungen in Italien auf lange Zeit
abschließende Einnahme ihrer künftigen Hauptstadt Pavia 572.

Erst die Langobarden haben mit der römischen Vergangenheit gebrochen.
Wie kein anderes ist dieses deutsche Volk seinen germanischen Erinnerungen
treu geblieben, bei keinem ist das Christenthum weniger tief eingedrungen, als
bei den Langobarden; es ist daher kein Wunder, daß nichts ihnen so fern lag,
als sich nach Art der Ostgothen vor dem alten Zauber des römischen Namens
zu beugen. Keine Rede mehr von einer Anerkennung der byzantinischen Ober¬
hoheit: schon Agilulf nennt sich i-ox totius IW1is.e. Erst die Langobarden
haben einen germanischen Staat in Italien gegründet. Die wichtigste aller
germanischen Institutionen, das Lchnwesen, finden wir gleich anfangs bei ihnen
schon sehr entwickelt, und wenige Jahre nach der Besitznahme Italiens hören
wir von dreißig Herzögen, die in den einzelnen Städten unter dem Könige ge¬
bieten. Den weltgeschichtlichen Beruf, die unterworfenen Romanen durch ger¬
manische Neubildungselemente zu befruchten und zu selbständigen Nationen zu
erziehen, der in Spanien den Westgothen, in Gallien den Franken zugefallen
war, diesen Beruf, dem die frommen und loyalen Ostgothen nicht gewachsen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/342>, abgerufen am 25.11.2024.