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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Jahre 476 nicht ein deutscher Bolkskönig ein deutsches Reich an die Stelle
eines römischen setzte, sondern der Häuptling einer jedes bestimmten nationalen
Gepräges entbehrenden Söldnerschaar einen Rivalen verdrängte und. was
schon dreimal dagewesen war, den Kaiserthron unbesetzt zu lassen für gut fand.
Odoaker. der nicht als .König der Skiren, sondern als Waffcngcfährte Ricimers
zu Macht und Ansehen gelangt war, unterscheidet sich durch nichts in seiner
Stellung von Ricimer. der erst ein, dann zwei Jahre ohne Kaiser regiert hatte,
durch nichts von Gundobald, der den Königstitel geführt hatte, so gut wie
Odoaker. Glieder des römischen Reichs waren alle drei in gleicher Weise,
nicht blos formell, sondern aller Wahrscheinlichkeit zufolge auch nach ihrer eig¬
nen Auffassung. Der Neichszusammcnhang und die Oberhoheit des ost-
römischen Kaisers wurde nach 476 ebenso anerkannt wie vorher und kann in
keiner Weise als etwas rein Illusorisches angesehen werden.

Die Theilung des Reichs unter die Sohne des Theodosius war eine rein
administrative Maßregel, sie sollte die Einheit des Ganzen weder aufheben, noch
hat sie dieselbe wirklich aufgehoben. So lange Arcadius lebte, nahm er als
älterer Bruder die erste Stelle ein, dann Honorius, da Theodosius der Zweite
ein Kind war. Nach Honorius Tode ward Valentinian der Dritte von Kon¬
stantinopel aus mit Waffengewalt eingesetzt, erkannte die Oberhoheit des dor¬
tigen Kaisers an, und seitdem galt das abendländische Reich nicht blos in der
diplomatischen Etikette als das geringere (der oströmische Kaiser, der in Kon¬
stantinopel antretende Consul wurden stets an erster Stelle genannt), sondern
war auch thatsächlich mehr oder weniger abhängig von Ostrom. Der in
Ravenna erwählte Kaiser mußte von Konstantinopel aus bestätigt werden und
wenn die Anerkennung nicht nachgesucht war, galt der Erwählte als h-rkm-
nus (Usurpator). Fünfmal hat der oströmische Kaiser den abendländischen er¬
nannt, in zwei Fällen mit Waffengewalt eingesetzt. Die Abhängigkeit Italiens
Von Konstantinopel ist im Princip auch nach 476 stets anerkannt worden,
nur trat, da der abendländische Kaiserthron erledigt war, an die Stelle der
Ernennung des Kaisers die Anerkennung als ^dz*) oder die Verleihung des
Patriciats.

Als Theoderich Italien eroberte, trat wenigstens insofern eine wesentliche
Aenderung ein, als nunmehr nicht eine neue deutsche Söldnerschaar, sondern
um wirkliches Volt zur Herrschaft über Italien gelangte. Der Rechtstitel, auf
den Theoderich sich stützte, blieb seine Ernennung durch Zeno. Allein von einer
Durchdringung Italiens mit deutschen Elementen, von einer Einrichtung des
neuen Staats auf deutschen Grundlagen ist bei den Ostgothen keine Rede, die



Zum Unterschied von /Z"s^-on. dem Kaiser.

Jahre 476 nicht ein deutscher Bolkskönig ein deutsches Reich an die Stelle
eines römischen setzte, sondern der Häuptling einer jedes bestimmten nationalen
Gepräges entbehrenden Söldnerschaar einen Rivalen verdrängte und. was
schon dreimal dagewesen war, den Kaiserthron unbesetzt zu lassen für gut fand.
Odoaker. der nicht als .König der Skiren, sondern als Waffcngcfährte Ricimers
zu Macht und Ansehen gelangt war, unterscheidet sich durch nichts in seiner
Stellung von Ricimer. der erst ein, dann zwei Jahre ohne Kaiser regiert hatte,
durch nichts von Gundobald, der den Königstitel geführt hatte, so gut wie
Odoaker. Glieder des römischen Reichs waren alle drei in gleicher Weise,
nicht blos formell, sondern aller Wahrscheinlichkeit zufolge auch nach ihrer eig¬
nen Auffassung. Der Neichszusammcnhang und die Oberhoheit des ost-
römischen Kaisers wurde nach 476 ebenso anerkannt wie vorher und kann in
keiner Weise als etwas rein Illusorisches angesehen werden.

Die Theilung des Reichs unter die Sohne des Theodosius war eine rein
administrative Maßregel, sie sollte die Einheit des Ganzen weder aufheben, noch
hat sie dieselbe wirklich aufgehoben. So lange Arcadius lebte, nahm er als
älterer Bruder die erste Stelle ein, dann Honorius, da Theodosius der Zweite
ein Kind war. Nach Honorius Tode ward Valentinian der Dritte von Kon¬
stantinopel aus mit Waffengewalt eingesetzt, erkannte die Oberhoheit des dor¬
tigen Kaisers an, und seitdem galt das abendländische Reich nicht blos in der
diplomatischen Etikette als das geringere (der oströmische Kaiser, der in Kon¬
stantinopel antretende Consul wurden stets an erster Stelle genannt), sondern
war auch thatsächlich mehr oder weniger abhängig von Ostrom. Der in
Ravenna erwählte Kaiser mußte von Konstantinopel aus bestätigt werden und
wenn die Anerkennung nicht nachgesucht war, galt der Erwählte als h-rkm-
nus (Usurpator). Fünfmal hat der oströmische Kaiser den abendländischen er¬
nannt, in zwei Fällen mit Waffengewalt eingesetzt. Die Abhängigkeit Italiens
Von Konstantinopel ist im Princip auch nach 476 stets anerkannt worden,
nur trat, da der abendländische Kaiserthron erledigt war, an die Stelle der
Ernennung des Kaisers die Anerkennung als ^dz*) oder die Verleihung des
Patriciats.

Als Theoderich Italien eroberte, trat wenigstens insofern eine wesentliche
Aenderung ein, als nunmehr nicht eine neue deutsche Söldnerschaar, sondern
um wirkliches Volt zur Herrschaft über Italien gelangte. Der Rechtstitel, auf
den Theoderich sich stützte, blieb seine Ernennung durch Zeno. Allein von einer
Durchdringung Italiens mit deutschen Elementen, von einer Einrichtung des
neuen Staats auf deutschen Grundlagen ist bei den Ostgothen keine Rede, die



Zum Unterschied von /Z«s^-on. dem Kaiser.
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[0341] Jahre 476 nicht ein deutscher Bolkskönig ein deutsches Reich an die Stelle eines römischen setzte, sondern der Häuptling einer jedes bestimmten nationalen Gepräges entbehrenden Söldnerschaar einen Rivalen verdrängte und. was schon dreimal dagewesen war, den Kaiserthron unbesetzt zu lassen für gut fand. Odoaker. der nicht als .König der Skiren, sondern als Waffcngcfährte Ricimers zu Macht und Ansehen gelangt war, unterscheidet sich durch nichts in seiner Stellung von Ricimer. der erst ein, dann zwei Jahre ohne Kaiser regiert hatte, durch nichts von Gundobald, der den Königstitel geführt hatte, so gut wie Odoaker. Glieder des römischen Reichs waren alle drei in gleicher Weise, nicht blos formell, sondern aller Wahrscheinlichkeit zufolge auch nach ihrer eig¬ nen Auffassung. Der Neichszusammcnhang und die Oberhoheit des ost- römischen Kaisers wurde nach 476 ebenso anerkannt wie vorher und kann in keiner Weise als etwas rein Illusorisches angesehen werden. Die Theilung des Reichs unter die Sohne des Theodosius war eine rein administrative Maßregel, sie sollte die Einheit des Ganzen weder aufheben, noch hat sie dieselbe wirklich aufgehoben. So lange Arcadius lebte, nahm er als älterer Bruder die erste Stelle ein, dann Honorius, da Theodosius der Zweite ein Kind war. Nach Honorius Tode ward Valentinian der Dritte von Kon¬ stantinopel aus mit Waffengewalt eingesetzt, erkannte die Oberhoheit des dor¬ tigen Kaisers an, und seitdem galt das abendländische Reich nicht blos in der diplomatischen Etikette als das geringere (der oströmische Kaiser, der in Kon¬ stantinopel antretende Consul wurden stets an erster Stelle genannt), sondern war auch thatsächlich mehr oder weniger abhängig von Ostrom. Der in Ravenna erwählte Kaiser mußte von Konstantinopel aus bestätigt werden und wenn die Anerkennung nicht nachgesucht war, galt der Erwählte als h-rkm- nus (Usurpator). Fünfmal hat der oströmische Kaiser den abendländischen er¬ nannt, in zwei Fällen mit Waffengewalt eingesetzt. Die Abhängigkeit Italiens Von Konstantinopel ist im Princip auch nach 476 stets anerkannt worden, nur trat, da der abendländische Kaiserthron erledigt war, an die Stelle der Ernennung des Kaisers die Anerkennung als ^dz*) oder die Verleihung des Patriciats. Als Theoderich Italien eroberte, trat wenigstens insofern eine wesentliche Aenderung ein, als nunmehr nicht eine neue deutsche Söldnerschaar, sondern um wirkliches Volt zur Herrschaft über Italien gelangte. Der Rechtstitel, auf den Theoderich sich stützte, blieb seine Ernennung durch Zeno. Allein von einer Durchdringung Italiens mit deutschen Elementen, von einer Einrichtung des neuen Staats auf deutschen Grundlagen ist bei den Ostgothen keine Rede, die Zum Unterschied von /Z«s^-on. dem Kaiser.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/341>, abgerufen am 28.07.2024.