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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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daß man meiner Freiheit ein Gebiß anlege. Seid immerhin Wächter Eurer
Freiheit, aber meine Zuchtmeister dürft Ihr nicht sein. Schützt Eure Freiheit,
aber Frechheit ist keine Freiheit." Er war nicht mehr im Stande, den Strom
aufzuhalten. Gewählte Könige und erbliche Staatsämter, deren Einkünfte in
dem Besitz von Krongütern lagen. Ein ohnmächtiger König und ein über¬
müthige Adel, dem die Verfassung in dem nie po2ng,ig,in, liberum veto, eine
furchtbare Macht gab, die er selbst aber noch durch Konföderationen verstärkte.
Statt stehender Heere für den Nothfall herbeigerufene Sensenmänner! Kein
Volk, sondern acht bis zehn Millionen der Scholle zugehörige Leibeigene ohne
politische Existenz, deren Haus und Hof, Weib und Kind, Acker und Vieh, ja
deren Arbeitsgeräth dem Herrn gehörte, deren -- ich nehme die Worte eines
berühmten Polenfreundes, des General Dumouriez, auf, "Sklavenstand ver¬
kauft, gekauft, eingetauscht oder vererbt wird und allen Veränderungen des
Eigenthumes wie Hausthiere unterliegt, der sociale Verband der Polen ist ein
Ungethüm, bestehend in einer Vereinigung von Köpfen und Magen, ohne Arme
und Beine." Die Edelleute durften nicht wagen, ihren Bauern Waffen zu
geben. -- Das Land war schwach bevölkert; es hätte die dreifache Bewohner¬
zahl ernährt.

Die Leitung der öffentlichen Dinge lag bei den Frauen. Am 19. Juli
1645 schrieb Herr v. Flecellcs von Warschau aus an Fürstin Ludowina Maria
Gonzaga, die Braut König Wladislaw des Vierten: "Es ist die Sitte unter
den Senatoren und Magnaten, daß sie sich, um eine königliche Gnade zu er¬
halten, an die Königin wenden, und an diese mit Hülfe der Ehrendame. Von
dieser letzten hängt es also besonders ab, recht geschickt die Sache einzufädeln,
damit die Königin und auch sie ihre wesentlichen Vortheile davon haben." Ein
ferneres Uebel, für das trotz aller Erfahrungen noch heute Proceß- und händel¬
süchtige Volk doppelt verhängnißvoll, war der traurige Zustand der Gerichts¬
pflege. Einen mächtigen, unterrichteten und unabhängigen Richterstand hatte
die Adelsrepublik nicht. Im Strafverfahren herrschte die Folter. Die Ncchts-
befugnisse, die Grenzen derselben, selbst im räumlichen Sinne, waren streitig,
die Richter, wie Alles, käuflich. In dem soeben erwähnten, vom Grafen Nac-
zynski herausgegebenen Briefwechsel räth der Vertraute der Prinzessin, ihre
Besitzungen in Paris zu verkaufen. "Hier wird Geld anfangs nöthig sein;
aber ich versichere, dahin einem halben Jahre höchstens Ew. K. H. schon soviel
hier werden eingenommen haben, um Alles zu bezahlen." Die Bestechungen
fielen "gleich Sägespänen auf den Boden", und das Sprichwort sagte: zeige
mir den Mann, so zeige ich dir das Gesetz. Nur adelige Katholiken waren zu
Richtern wählbar. Eine auswärtige Universität besuchten sie nicht, und in Po¬
len wurde seit Sigismund dem Dritten kein Nechtsunterricht mehr ertheilt; die
juristische Facultät zu Krakau war durch die theologische verdrängt. Ward nun


daß man meiner Freiheit ein Gebiß anlege. Seid immerhin Wächter Eurer
Freiheit, aber meine Zuchtmeister dürft Ihr nicht sein. Schützt Eure Freiheit,
aber Frechheit ist keine Freiheit." Er war nicht mehr im Stande, den Strom
aufzuhalten. Gewählte Könige und erbliche Staatsämter, deren Einkünfte in
dem Besitz von Krongütern lagen. Ein ohnmächtiger König und ein über¬
müthige Adel, dem die Verfassung in dem nie po2ng,ig,in, liberum veto, eine
furchtbare Macht gab, die er selbst aber noch durch Konföderationen verstärkte.
Statt stehender Heere für den Nothfall herbeigerufene Sensenmänner! Kein
Volk, sondern acht bis zehn Millionen der Scholle zugehörige Leibeigene ohne
politische Existenz, deren Haus und Hof, Weib und Kind, Acker und Vieh, ja
deren Arbeitsgeräth dem Herrn gehörte, deren — ich nehme die Worte eines
berühmten Polenfreundes, des General Dumouriez, auf, „Sklavenstand ver¬
kauft, gekauft, eingetauscht oder vererbt wird und allen Veränderungen des
Eigenthumes wie Hausthiere unterliegt, der sociale Verband der Polen ist ein
Ungethüm, bestehend in einer Vereinigung von Köpfen und Magen, ohne Arme
und Beine." Die Edelleute durften nicht wagen, ihren Bauern Waffen zu
geben. — Das Land war schwach bevölkert; es hätte die dreifache Bewohner¬
zahl ernährt.

Die Leitung der öffentlichen Dinge lag bei den Frauen. Am 19. Juli
1645 schrieb Herr v. Flecellcs von Warschau aus an Fürstin Ludowina Maria
Gonzaga, die Braut König Wladislaw des Vierten: „Es ist die Sitte unter
den Senatoren und Magnaten, daß sie sich, um eine königliche Gnade zu er¬
halten, an die Königin wenden, und an diese mit Hülfe der Ehrendame. Von
dieser letzten hängt es also besonders ab, recht geschickt die Sache einzufädeln,
damit die Königin und auch sie ihre wesentlichen Vortheile davon haben." Ein
ferneres Uebel, für das trotz aller Erfahrungen noch heute Proceß- und händel¬
süchtige Volk doppelt verhängnißvoll, war der traurige Zustand der Gerichts¬
pflege. Einen mächtigen, unterrichteten und unabhängigen Richterstand hatte
die Adelsrepublik nicht. Im Strafverfahren herrschte die Folter. Die Ncchts-
befugnisse, die Grenzen derselben, selbst im räumlichen Sinne, waren streitig,
die Richter, wie Alles, käuflich. In dem soeben erwähnten, vom Grafen Nac-
zynski herausgegebenen Briefwechsel räth der Vertraute der Prinzessin, ihre
Besitzungen in Paris zu verkaufen. „Hier wird Geld anfangs nöthig sein;
aber ich versichere, dahin einem halben Jahre höchstens Ew. K. H. schon soviel
hier werden eingenommen haben, um Alles zu bezahlen." Die Bestechungen
fielen „gleich Sägespänen auf den Boden", und das Sprichwort sagte: zeige
mir den Mann, so zeige ich dir das Gesetz. Nur adelige Katholiken waren zu
Richtern wählbar. Eine auswärtige Universität besuchten sie nicht, und in Po¬
len wurde seit Sigismund dem Dritten kein Nechtsunterricht mehr ertheilt; die
juristische Facultät zu Krakau war durch die theologische verdrängt. Ward nun


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[0330] daß man meiner Freiheit ein Gebiß anlege. Seid immerhin Wächter Eurer Freiheit, aber meine Zuchtmeister dürft Ihr nicht sein. Schützt Eure Freiheit, aber Frechheit ist keine Freiheit." Er war nicht mehr im Stande, den Strom aufzuhalten. Gewählte Könige und erbliche Staatsämter, deren Einkünfte in dem Besitz von Krongütern lagen. Ein ohnmächtiger König und ein über¬ müthige Adel, dem die Verfassung in dem nie po2ng,ig,in, liberum veto, eine furchtbare Macht gab, die er selbst aber noch durch Konföderationen verstärkte. Statt stehender Heere für den Nothfall herbeigerufene Sensenmänner! Kein Volk, sondern acht bis zehn Millionen der Scholle zugehörige Leibeigene ohne politische Existenz, deren Haus und Hof, Weib und Kind, Acker und Vieh, ja deren Arbeitsgeräth dem Herrn gehörte, deren — ich nehme die Worte eines berühmten Polenfreundes, des General Dumouriez, auf, „Sklavenstand ver¬ kauft, gekauft, eingetauscht oder vererbt wird und allen Veränderungen des Eigenthumes wie Hausthiere unterliegt, der sociale Verband der Polen ist ein Ungethüm, bestehend in einer Vereinigung von Köpfen und Magen, ohne Arme und Beine." Die Edelleute durften nicht wagen, ihren Bauern Waffen zu geben. — Das Land war schwach bevölkert; es hätte die dreifache Bewohner¬ zahl ernährt. Die Leitung der öffentlichen Dinge lag bei den Frauen. Am 19. Juli 1645 schrieb Herr v. Flecellcs von Warschau aus an Fürstin Ludowina Maria Gonzaga, die Braut König Wladislaw des Vierten: „Es ist die Sitte unter den Senatoren und Magnaten, daß sie sich, um eine königliche Gnade zu er¬ halten, an die Königin wenden, und an diese mit Hülfe der Ehrendame. Von dieser letzten hängt es also besonders ab, recht geschickt die Sache einzufädeln, damit die Königin und auch sie ihre wesentlichen Vortheile davon haben." Ein ferneres Uebel, für das trotz aller Erfahrungen noch heute Proceß- und händel¬ süchtige Volk doppelt verhängnißvoll, war der traurige Zustand der Gerichts¬ pflege. Einen mächtigen, unterrichteten und unabhängigen Richterstand hatte die Adelsrepublik nicht. Im Strafverfahren herrschte die Folter. Die Ncchts- befugnisse, die Grenzen derselben, selbst im räumlichen Sinne, waren streitig, die Richter, wie Alles, käuflich. In dem soeben erwähnten, vom Grafen Nac- zynski herausgegebenen Briefwechsel räth der Vertraute der Prinzessin, ihre Besitzungen in Paris zu verkaufen. „Hier wird Geld anfangs nöthig sein; aber ich versichere, dahin einem halben Jahre höchstens Ew. K. H. schon soviel hier werden eingenommen haben, um Alles zu bezahlen." Die Bestechungen fielen „gleich Sägespänen auf den Boden", und das Sprichwort sagte: zeige mir den Mann, so zeige ich dir das Gesetz. Nur adelige Katholiken waren zu Richtern wählbar. Eine auswärtige Universität besuchten sie nicht, und in Po¬ len wurde seit Sigismund dem Dritten kein Nechtsunterricht mehr ertheilt; die juristische Facultät zu Krakau war durch die theologische verdrängt. Ward nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/330>, abgerufen am 25.11.2024.