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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Zartheit der Empfindung, die ein hartes Geschick dem Jüngling verkümmerte
-- wie vermöchte der Mann sie je aus sich heraus zu entfalten?

Also hinausgetreten aus den altgewohnten Kreisen des bürgerlichen Lebens,
hat er mit unverwüstlichem Muth seinen Kampf geführt wider die falschen
Götzen der literarischen Welt. Die Freude am Kampfe, am Widerspruch --
vergeblich hat man es läugnen wollen -- blieb herrschende Leidenschaft in ihm,
der von früh auf es liebte, "Rettungen" verkannter Charaktere zu schreiben,
der das Bekenntniß streitlustigen Stolzes niedergelegt in dem Worte: "auf wen
Alle losschlagen, der hat vor mir Frieden." Wie die Schwäche und zugleich
die Größe der modernen Culturvölker gutcntheils darin gelegen ist, daß sie
nicht vermögen, wieder ganz jung zu werden, so offenbarte auch die unreife
deutsche Dichtung jener Tage alle Mängel der Kindheit und des Greisenalters
zugleich. Eine Weltliteratur mag man sie nennen, wenn das widerstandlose
Aufnehmen fremdländischer Ideale und Formen zu solchem Namen berechtigt.
Und doch war die in festen überlieferten Formen erstarrte Dichtung nicht ein¬
mal der correcten Redeweise mächtig. Von beiden Schwächen hat Lessing unsre
Dichtung geheilt. Nur eine Seite seines kritischen Wirkens erfassen Sie, wenn
Sie in ihm lediglich den trotzigen Streiter wider die rögle-L cku bon gout er-
' blicken, wenn Sie ihm nicht folgen in jene ersten Jahre, da er mit der pein¬
lichen Strenge des Pädagogen die kläglichsten Übersetzungsfehler armseliger Ge¬
sellen rügte.

Kein Wunder aber, daß jener Kampf mit den Regeln der französischen
Aesthetik allein noch haftet in dem Gedächtniß der Nachwelt. Denn das erste
unsterbliche seiner Werke schuf er erst, da er in den Literaturbriefen auf die
zuversichtliche Behauptung: "Niemand wird läugnen, daß die deutsche Schau¬
bühne einen großen Theil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gott¬
sched zu danken habe" -- seinen kecken Schlachtruf erschallen ließ: "ich bin dieser
Niemand". Allerdings der Zorn des tiefempörten nationalen Stolzes redet an?
dieser Polemik. Wider den Dünkel der Kritik lehnt der Kritiker sich auf und hält ihr
das Recht des Künstlers entgegen, der sich selber seine Bahnen bricht. Doch schärfer
noch befehdet der Deutsche die Anmaßung des fremden Volkes, das jeden anderen
Volksgeist in die Enge seiner conventionellen Empfindungen zu bannen gedachte.
Wer hört nicht das schadenfrohe Gelächter des nationalen Selbstgefühles aus
jenen erbarmungslosen Zeilen, die der untrüglichen französischen Aesthetik be¬
weisen, daß sie die Regeln des Aristoteles nicht verstanden, die Voltaires Drama¬
tik enthüllen wie sie ist -- gesucht, gemacht, der Natur entfremdet, "so steif,
als wäre jedes Glied an einen besonderen Klotz geschmiedet". Mochten die Einen
i>n derben Liede den alten Fritz preisen, der sich auf die Hosen klopft und
die Franzosen laufen läßt, die Andern Beifall rufen, wenn der deutsche Kritiker
Voltaires Blöße zeigte: beide feierten Siege eines wieder erwachenden Volt'Sehnens.


Zartheit der Empfindung, die ein hartes Geschick dem Jüngling verkümmerte
— wie vermöchte der Mann sie je aus sich heraus zu entfalten?

Also hinausgetreten aus den altgewohnten Kreisen des bürgerlichen Lebens,
hat er mit unverwüstlichem Muth seinen Kampf geführt wider die falschen
Götzen der literarischen Welt. Die Freude am Kampfe, am Widerspruch —
vergeblich hat man es läugnen wollen — blieb herrschende Leidenschaft in ihm,
der von früh auf es liebte, „Rettungen" verkannter Charaktere zu schreiben,
der das Bekenntniß streitlustigen Stolzes niedergelegt in dem Worte: „auf wen
Alle losschlagen, der hat vor mir Frieden." Wie die Schwäche und zugleich
die Größe der modernen Culturvölker gutcntheils darin gelegen ist, daß sie
nicht vermögen, wieder ganz jung zu werden, so offenbarte auch die unreife
deutsche Dichtung jener Tage alle Mängel der Kindheit und des Greisenalters
zugleich. Eine Weltliteratur mag man sie nennen, wenn das widerstandlose
Aufnehmen fremdländischer Ideale und Formen zu solchem Namen berechtigt.
Und doch war die in festen überlieferten Formen erstarrte Dichtung nicht ein¬
mal der correcten Redeweise mächtig. Von beiden Schwächen hat Lessing unsre
Dichtung geheilt. Nur eine Seite seines kritischen Wirkens erfassen Sie, wenn
Sie in ihm lediglich den trotzigen Streiter wider die rögle-L cku bon gout er-
' blicken, wenn Sie ihm nicht folgen in jene ersten Jahre, da er mit der pein¬
lichen Strenge des Pädagogen die kläglichsten Übersetzungsfehler armseliger Ge¬
sellen rügte.

Kein Wunder aber, daß jener Kampf mit den Regeln der französischen
Aesthetik allein noch haftet in dem Gedächtniß der Nachwelt. Denn das erste
unsterbliche seiner Werke schuf er erst, da er in den Literaturbriefen auf die
zuversichtliche Behauptung: „Niemand wird läugnen, daß die deutsche Schau¬
bühne einen großen Theil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gott¬
sched zu danken habe" — seinen kecken Schlachtruf erschallen ließ: „ich bin dieser
Niemand". Allerdings der Zorn des tiefempörten nationalen Stolzes redet an?
dieser Polemik. Wider den Dünkel der Kritik lehnt der Kritiker sich auf und hält ihr
das Recht des Künstlers entgegen, der sich selber seine Bahnen bricht. Doch schärfer
noch befehdet der Deutsche die Anmaßung des fremden Volkes, das jeden anderen
Volksgeist in die Enge seiner conventionellen Empfindungen zu bannen gedachte.
Wer hört nicht das schadenfrohe Gelächter des nationalen Selbstgefühles aus
jenen erbarmungslosen Zeilen, die der untrüglichen französischen Aesthetik be¬
weisen, daß sie die Regeln des Aristoteles nicht verstanden, die Voltaires Drama¬
tik enthüllen wie sie ist — gesucht, gemacht, der Natur entfremdet, „so steif,
als wäre jedes Glied an einen besonderen Klotz geschmiedet". Mochten die Einen
i>n derben Liede den alten Fritz preisen, der sich auf die Hosen klopft und
die Franzosen laufen läßt, die Andern Beifall rufen, wenn der deutsche Kritiker
Voltaires Blöße zeigte: beide feierten Siege eines wieder erwachenden Volt'Sehnens.


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[0314] Zartheit der Empfindung, die ein hartes Geschick dem Jüngling verkümmerte — wie vermöchte der Mann sie je aus sich heraus zu entfalten? Also hinausgetreten aus den altgewohnten Kreisen des bürgerlichen Lebens, hat er mit unverwüstlichem Muth seinen Kampf geführt wider die falschen Götzen der literarischen Welt. Die Freude am Kampfe, am Widerspruch — vergeblich hat man es läugnen wollen — blieb herrschende Leidenschaft in ihm, der von früh auf es liebte, „Rettungen" verkannter Charaktere zu schreiben, der das Bekenntniß streitlustigen Stolzes niedergelegt in dem Worte: „auf wen Alle losschlagen, der hat vor mir Frieden." Wie die Schwäche und zugleich die Größe der modernen Culturvölker gutcntheils darin gelegen ist, daß sie nicht vermögen, wieder ganz jung zu werden, so offenbarte auch die unreife deutsche Dichtung jener Tage alle Mängel der Kindheit und des Greisenalters zugleich. Eine Weltliteratur mag man sie nennen, wenn das widerstandlose Aufnehmen fremdländischer Ideale und Formen zu solchem Namen berechtigt. Und doch war die in festen überlieferten Formen erstarrte Dichtung nicht ein¬ mal der correcten Redeweise mächtig. Von beiden Schwächen hat Lessing unsre Dichtung geheilt. Nur eine Seite seines kritischen Wirkens erfassen Sie, wenn Sie in ihm lediglich den trotzigen Streiter wider die rögle-L cku bon gout er- ' blicken, wenn Sie ihm nicht folgen in jene ersten Jahre, da er mit der pein¬ lichen Strenge des Pädagogen die kläglichsten Übersetzungsfehler armseliger Ge¬ sellen rügte. Kein Wunder aber, daß jener Kampf mit den Regeln der französischen Aesthetik allein noch haftet in dem Gedächtniß der Nachwelt. Denn das erste unsterbliche seiner Werke schuf er erst, da er in den Literaturbriefen auf die zuversichtliche Behauptung: „Niemand wird läugnen, daß die deutsche Schau¬ bühne einen großen Theil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gott¬ sched zu danken habe" — seinen kecken Schlachtruf erschallen ließ: „ich bin dieser Niemand". Allerdings der Zorn des tiefempörten nationalen Stolzes redet an? dieser Polemik. Wider den Dünkel der Kritik lehnt der Kritiker sich auf und hält ihr das Recht des Künstlers entgegen, der sich selber seine Bahnen bricht. Doch schärfer noch befehdet der Deutsche die Anmaßung des fremden Volkes, das jeden anderen Volksgeist in die Enge seiner conventionellen Empfindungen zu bannen gedachte. Wer hört nicht das schadenfrohe Gelächter des nationalen Selbstgefühles aus jenen erbarmungslosen Zeilen, die der untrüglichen französischen Aesthetik be¬ weisen, daß sie die Regeln des Aristoteles nicht verstanden, die Voltaires Drama¬ tik enthüllen wie sie ist — gesucht, gemacht, der Natur entfremdet, „so steif, als wäre jedes Glied an einen besonderen Klotz geschmiedet". Mochten die Einen i>n derben Liede den alten Fritz preisen, der sich auf die Hosen klopft und die Franzosen laufen läßt, die Andern Beifall rufen, wenn der deutsche Kritiker Voltaires Blöße zeigte: beide feierten Siege eines wieder erwachenden Volt'Sehnens.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/314>, abgerufen am 28.07.2024.