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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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wußten, Wohl dachte er groß und menschlich von den niederen Ständen, von
"dem mit seinem Körper thätigen Theile des Volks, dem es nicht sowohl an
Verstand als an Gelegenheit ihn zu zeigen fehlt", er wünschte ihnen als Trö¬
stung Gedichte zum Preise der "fröhlichen Armuth". Er selber indeß suchte
sich andere Leser. Wie er sich hinausgerettet aus dem Bannkreise der alten
Stände, so sprach er auch zu einem gebildeten Publicum, das keine Stände
kennt, und half also diesen Kern unsres Volkes erziehen, der in der Literatur
zuerst, dann im Staate zur entscheidenden Macht emporwachsen sollte.

Zum ersten Male sahen die Deutschen das ruhelose und doch nie würde¬
lose Leben eines abenteuernden Schriftstellers. Sie wissen, wie schön Goethe
dies geschildert: "Lessing warf die persönliche Würde gern weg, weil er sich
zutraute, sie jeden Augenblick wieder ergreifen und aufnehmen zu können."
Wie geistvoll hier der Herzenskündiger geurtheilt, das mag Ihnen ein erst vor
Kurzem wieder aufgefundenes Epigramm aus Lessings Studentenzeit bewähren.
Goethe hat es nie gekannt, und doch stimmt es wörtlich mit seinem Urtheile
überein. Achtlos, übermüthig wirft der Dichter in den ersten Zeilen seine
Würde hin, um sie am Ende gefaßt wieder auszunehmen -- in den Versen:


Wie lange währt's, so bin ich hin
Und einer Nachwelt unter'n Füßen.
Was braucht sie, wen sie tritt, zu wissen,
Weiß ich nur, orr ich bin.

Worte, überaus bezeichnend für Lesstngs rasche, ungestüme Weise des Lebens
-- denn er vor Allen besaß jenen gemeinsamen Charakterzug aller vorwärts¬
strebender Geister, die Gleichgiltigkeit gegen seine eignen Werke, sobald sie
vollendet -- aber bezeichnender noch für die Meinung, welche unsres Volkes
beste Männer von dem Werthe des Nachruhms hegten. Ist den hellen Köpfen
der Romanen der Nachruhm das eingestandene höchste Ziel des Schaffens, so
leben die Deutschen des Glaubens: der Ruhm sei. wie die Liebe, wie jedes
ächteste und höchste Glück des Lebens, eine Gnade des Geschicks, die wir in
Demuth hinnehmen, doch nimmermehr erstreben sollen. Und noch immer hat
unser Volk sich jener Männer mit der wärmsten Liebe erinnert, die am wenig¬
sten davon geredet, daß sie ein solches Gedächtniß erhoffen. -- Einen leisen
Schatten freilich hat diese harte, kampferfüllte Jugend in Lessings Wesen zurück¬
gelassen. Jenen prosaischen, nüchternen Zug, der Lessing von späteren glück¬
licheren Dichtern in ähnlicher Weise unterscheidet, wie Friedrich der Große
einem Cäsar, einem Napoleon gegenübersteht. Sie können ihn nicht allein
aus der Naturanlage des Dichters erklären. Erinnern Sie sich, da'ß in je¬
nen Tagen, wo das Gemüth jede Härte am schmerzlichsten empfindet, kein
Frauenauge gütig über ihm waltete, daß ihm allein die streng abweisende
Mutter, die lieblos meisternde Schwester gegenüberstand. Und jene innige


Greiijboteu I. 1L63. 39

wußten, Wohl dachte er groß und menschlich von den niederen Ständen, von
»dem mit seinem Körper thätigen Theile des Volks, dem es nicht sowohl an
Verstand als an Gelegenheit ihn zu zeigen fehlt", er wünschte ihnen als Trö¬
stung Gedichte zum Preise der „fröhlichen Armuth". Er selber indeß suchte
sich andere Leser. Wie er sich hinausgerettet aus dem Bannkreise der alten
Stände, so sprach er auch zu einem gebildeten Publicum, das keine Stände
kennt, und half also diesen Kern unsres Volkes erziehen, der in der Literatur
zuerst, dann im Staate zur entscheidenden Macht emporwachsen sollte.

Zum ersten Male sahen die Deutschen das ruhelose und doch nie würde¬
lose Leben eines abenteuernden Schriftstellers. Sie wissen, wie schön Goethe
dies geschildert: „Lessing warf die persönliche Würde gern weg, weil er sich
zutraute, sie jeden Augenblick wieder ergreifen und aufnehmen zu können."
Wie geistvoll hier der Herzenskündiger geurtheilt, das mag Ihnen ein erst vor
Kurzem wieder aufgefundenes Epigramm aus Lessings Studentenzeit bewähren.
Goethe hat es nie gekannt, und doch stimmt es wörtlich mit seinem Urtheile
überein. Achtlos, übermüthig wirft der Dichter in den ersten Zeilen seine
Würde hin, um sie am Ende gefaßt wieder auszunehmen — in den Versen:


Wie lange währt's, so bin ich hin
Und einer Nachwelt unter'n Füßen.
Was braucht sie, wen sie tritt, zu wissen,
Weiß ich nur, orr ich bin.

Worte, überaus bezeichnend für Lesstngs rasche, ungestüme Weise des Lebens
— denn er vor Allen besaß jenen gemeinsamen Charakterzug aller vorwärts¬
strebender Geister, die Gleichgiltigkeit gegen seine eignen Werke, sobald sie
vollendet — aber bezeichnender noch für die Meinung, welche unsres Volkes
beste Männer von dem Werthe des Nachruhms hegten. Ist den hellen Köpfen
der Romanen der Nachruhm das eingestandene höchste Ziel des Schaffens, so
leben die Deutschen des Glaubens: der Ruhm sei. wie die Liebe, wie jedes
ächteste und höchste Glück des Lebens, eine Gnade des Geschicks, die wir in
Demuth hinnehmen, doch nimmermehr erstreben sollen. Und noch immer hat
unser Volk sich jener Männer mit der wärmsten Liebe erinnert, die am wenig¬
sten davon geredet, daß sie ein solches Gedächtniß erhoffen. — Einen leisen
Schatten freilich hat diese harte, kampferfüllte Jugend in Lessings Wesen zurück¬
gelassen. Jenen prosaischen, nüchternen Zug, der Lessing von späteren glück¬
licheren Dichtern in ähnlicher Weise unterscheidet, wie Friedrich der Große
einem Cäsar, einem Napoleon gegenübersteht. Sie können ihn nicht allein
aus der Naturanlage des Dichters erklären. Erinnern Sie sich, da'ß in je¬
nen Tagen, wo das Gemüth jede Härte am schmerzlichsten empfindet, kein
Frauenauge gütig über ihm waltete, daß ihm allein die streng abweisende
Mutter, die lieblos meisternde Schwester gegenüberstand. Und jene innige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/313>, abgerufen am 25.11.2024.