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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Moslemin in lauten Beifall ausbrachen. da mochte Wohl ein Deutscher stolzer
den Nacken heben. Denn dier. weit über die Grenzen christlicher Gesittung
hinaus, wo Keiner des Dichters Namen kannte, keine volksthümliche Erinne¬
rung des Gedichtes Zauber erhöhte -- hier strahlte siegreich die Macht des
deutschen Genius allein, das weltbezwingende Lächeln der Menschenliebe.

Durch sich selbst allein wirken jene Künstler auf die nachgebornen. Noch
mehr, sie selbst erst sind die Schöpfer eines freieren öffentlichen Lebens in un¬
serm Volke, sie standen unbewußt im Bunde mit jenen Staatsmännern, die
dem deutschen Staatswesen ein menschlicheres Dasein bereitet. Wie sich von
selbst versteht in einer Zeit., wo das häusliche Leben die beste Kraft der
Deutschen erschöpfte, geschah dies Hinüberwirken Lessings auf unser öffentliches
Leben vornehmlich durch seine Person, durch die souveräne Selbständigkeit
seines Charakters. Erst in diesem Jahre ist ein gutes Bild aus Lessings Ju¬
gend in weiten Kreisen bekannt geworden, und mit schalkhaftem Behagen sehen
wir den Mann vorgebildet in den Zügen des Kindes. Da sitzt Theophilus
Lessing, sittsam, ernst, in priesterlich langem Gewände, ehrbarlich ein Lämm¬
chen fütternd, daneben der aufgeweckte Bruder, "mit einem großen, großen
Haufen Bücher", in der eleganten rothen Tracht der Zeit; und auch der Un¬
kundige kann errathen, daß Jenem bestimmt sei. zu leben als dunkler Ehren¬
mann und Conrector, diesem -- als Gvtthold Lessing. Kraft und Wahrhaftig¬
keit spricht aus den derben Zügen des Knaben, und wahrlich, hart gebettet
hat die Zeit den starken und wahren Mann. Dessen Puls bei voller Gesund¬
heit so schnell schlug wie der Puls Anderer im Fieber, ihm war eigen im
höchsten Maße jene Lebhaftigkeit des Redens, welche die Obersachsen vor an-
dern Deutschen auszeichnet. Wie rasch jagen sich da Fragen, Ausrufe, schnell
wiederholte abgebrochene Worte, und er besaß den Muth also zu schreiben, wie
seine Landsleute dachten und sprachen. Nie hat ein Schriftsteller getreuer jenes
Wort erfüllt, das seltsam genug zuerst ausgesprochen ward in einer Nation,
die es nicht versteht -- das Wort: 1e Ltilö e'sse, I'Komms. Dramatisch be¬
wegt wie das Leben selber strömt sie dahin, diese schmucklose, wasscrtlare
Prosa - dem Unkundigen ein Kind der Laune, des Augenblicks, dem Tiefer¬
blickenden ein Werk vollendeter Kunst, die schwierigste aller Schreibweisen, denn
unerträglich verletzend muß jeder triviale Gedanke, jede falsche Empfindung sich
verrathen unter dieser leichten, nichts verbergenden Hülle.

Und dieser Natürlichste der Menschen wuchs empor in einer Umgebung,
wo jedes einfache menschliche Gefühl in feste, herzlose, beengende Formen gebannt
war. in einem Baterhause, wo hart abweisend der Befehl der Aeltern, unter-
würfig und in schnörkelhaftem Ausdruck die Antwort der Kinder erklang. Der
Mize Schmerz um eine verbildete Jugend spricht aus dem Worte des Man-
>"ü: "Der Name Mutter ist süß, aber Frau Mutter ist wie Honig mit Citronen-


Moslemin in lauten Beifall ausbrachen. da mochte Wohl ein Deutscher stolzer
den Nacken heben. Denn dier. weit über die Grenzen christlicher Gesittung
hinaus, wo Keiner des Dichters Namen kannte, keine volksthümliche Erinne¬
rung des Gedichtes Zauber erhöhte — hier strahlte siegreich die Macht des
deutschen Genius allein, das weltbezwingende Lächeln der Menschenliebe.

Durch sich selbst allein wirken jene Künstler auf die nachgebornen. Noch
mehr, sie selbst erst sind die Schöpfer eines freieren öffentlichen Lebens in un¬
serm Volke, sie standen unbewußt im Bunde mit jenen Staatsmännern, die
dem deutschen Staatswesen ein menschlicheres Dasein bereitet. Wie sich von
selbst versteht in einer Zeit., wo das häusliche Leben die beste Kraft der
Deutschen erschöpfte, geschah dies Hinüberwirken Lessings auf unser öffentliches
Leben vornehmlich durch seine Person, durch die souveräne Selbständigkeit
seines Charakters. Erst in diesem Jahre ist ein gutes Bild aus Lessings Ju¬
gend in weiten Kreisen bekannt geworden, und mit schalkhaftem Behagen sehen
wir den Mann vorgebildet in den Zügen des Kindes. Da sitzt Theophilus
Lessing, sittsam, ernst, in priesterlich langem Gewände, ehrbarlich ein Lämm¬
chen fütternd, daneben der aufgeweckte Bruder, „mit einem großen, großen
Haufen Bücher", in der eleganten rothen Tracht der Zeit; und auch der Un¬
kundige kann errathen, daß Jenem bestimmt sei. zu leben als dunkler Ehren¬
mann und Conrector, diesem — als Gvtthold Lessing. Kraft und Wahrhaftig¬
keit spricht aus den derben Zügen des Knaben, und wahrlich, hart gebettet
hat die Zeit den starken und wahren Mann. Dessen Puls bei voller Gesund¬
heit so schnell schlug wie der Puls Anderer im Fieber, ihm war eigen im
höchsten Maße jene Lebhaftigkeit des Redens, welche die Obersachsen vor an-
dern Deutschen auszeichnet. Wie rasch jagen sich da Fragen, Ausrufe, schnell
wiederholte abgebrochene Worte, und er besaß den Muth also zu schreiben, wie
seine Landsleute dachten und sprachen. Nie hat ein Schriftsteller getreuer jenes
Wort erfüllt, das seltsam genug zuerst ausgesprochen ward in einer Nation,
die es nicht versteht — das Wort: 1e Ltilö e'sse, I'Komms. Dramatisch be¬
wegt wie das Leben selber strömt sie dahin, diese schmucklose, wasscrtlare
Prosa - dem Unkundigen ein Kind der Laune, des Augenblicks, dem Tiefer¬
blickenden ein Werk vollendeter Kunst, die schwierigste aller Schreibweisen, denn
unerträglich verletzend muß jeder triviale Gedanke, jede falsche Empfindung sich
verrathen unter dieser leichten, nichts verbergenden Hülle.

Und dieser Natürlichste der Menschen wuchs empor in einer Umgebung,
wo jedes einfache menschliche Gefühl in feste, herzlose, beengende Formen gebannt
war. in einem Baterhause, wo hart abweisend der Befehl der Aeltern, unter-
würfig und in schnörkelhaftem Ausdruck die Antwort der Kinder erklang. Der
Mize Schmerz um eine verbildete Jugend spricht aus dem Worte des Man-
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[0311] Moslemin in lauten Beifall ausbrachen. da mochte Wohl ein Deutscher stolzer den Nacken heben. Denn dier. weit über die Grenzen christlicher Gesittung hinaus, wo Keiner des Dichters Namen kannte, keine volksthümliche Erinne¬ rung des Gedichtes Zauber erhöhte — hier strahlte siegreich die Macht des deutschen Genius allein, das weltbezwingende Lächeln der Menschenliebe. Durch sich selbst allein wirken jene Künstler auf die nachgebornen. Noch mehr, sie selbst erst sind die Schöpfer eines freieren öffentlichen Lebens in un¬ serm Volke, sie standen unbewußt im Bunde mit jenen Staatsmännern, die dem deutschen Staatswesen ein menschlicheres Dasein bereitet. Wie sich von selbst versteht in einer Zeit., wo das häusliche Leben die beste Kraft der Deutschen erschöpfte, geschah dies Hinüberwirken Lessings auf unser öffentliches Leben vornehmlich durch seine Person, durch die souveräne Selbständigkeit seines Charakters. Erst in diesem Jahre ist ein gutes Bild aus Lessings Ju¬ gend in weiten Kreisen bekannt geworden, und mit schalkhaftem Behagen sehen wir den Mann vorgebildet in den Zügen des Kindes. Da sitzt Theophilus Lessing, sittsam, ernst, in priesterlich langem Gewände, ehrbarlich ein Lämm¬ chen fütternd, daneben der aufgeweckte Bruder, „mit einem großen, großen Haufen Bücher", in der eleganten rothen Tracht der Zeit; und auch der Un¬ kundige kann errathen, daß Jenem bestimmt sei. zu leben als dunkler Ehren¬ mann und Conrector, diesem — als Gvtthold Lessing. Kraft und Wahrhaftig¬ keit spricht aus den derben Zügen des Knaben, und wahrlich, hart gebettet hat die Zeit den starken und wahren Mann. Dessen Puls bei voller Gesund¬ heit so schnell schlug wie der Puls Anderer im Fieber, ihm war eigen im höchsten Maße jene Lebhaftigkeit des Redens, welche die Obersachsen vor an- dern Deutschen auszeichnet. Wie rasch jagen sich da Fragen, Ausrufe, schnell wiederholte abgebrochene Worte, und er besaß den Muth also zu schreiben, wie seine Landsleute dachten und sprachen. Nie hat ein Schriftsteller getreuer jenes Wort erfüllt, das seltsam genug zuerst ausgesprochen ward in einer Nation, die es nicht versteht — das Wort: 1e Ltilö e'sse, I'Komms. Dramatisch be¬ wegt wie das Leben selber strömt sie dahin, diese schmucklose, wasscrtlare Prosa - dem Unkundigen ein Kind der Laune, des Augenblicks, dem Tiefer¬ blickenden ein Werk vollendeter Kunst, die schwierigste aller Schreibweisen, denn unerträglich verletzend muß jeder triviale Gedanke, jede falsche Empfindung sich verrathen unter dieser leichten, nichts verbergenden Hülle. Und dieser Natürlichste der Menschen wuchs empor in einer Umgebung, wo jedes einfache menschliche Gefühl in feste, herzlose, beengende Formen gebannt war. in einem Baterhause, wo hart abweisend der Befehl der Aeltern, unter- würfig und in schnörkelhaftem Ausdruck die Antwort der Kinder erklang. Der Mize Schmerz um eine verbildete Jugend spricht aus dem Worte des Man- >"ü: „Der Name Mutter ist süß, aber Frau Mutter ist wie Honig mit Citronen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/311>, abgerufen am 28.07.2024.