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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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ein, und jetzt begann ein Wüthen, ähnlich dem bei der Zerstörung Magdeburgs.
Grausamkeiten aller Art wurden begangen, Morden der Bürger, Abdanken von
Gliedmaßen, Ausstechen der Augen, Abschneiden der Nasen und Ohren. Aus¬
graben von Todten und Beschimpfung derselben, Schanden der Frauen und
Jungfrauen, Plünderung, Raub, alle Schandthaten wurden ausgeübt. An
verschiedenen Orten zugleich wurde Feuer angelegt, in die neue noch nicht ein¬
geweihte Kirche der Gemeinde böhmischer Konfession Stroh geschleppt und sie
angezündet. Die ganze Stadt mit dem herrlichen Rathhause wurde ein Raub
der Flammen, alle Kirchen brannten nieder, nur die Pfarrhäuser bei der neuen
Kirche blieben unversehrt. Drei Tage wüthete das Feuer, dessen Beute auch
siebzig Windmühlen in der Umgebung der Stadt wurden.

Die Chronik von Posen sagt kurz:


"Emigration der deutschen und schottischen reichen Kaufleute und Fabrikanten,
denen der Aufenthalt in Posen durch die unaufhörlichen Vexationen der Jesuiten¬
schüler unmöglich gemacht wurde, um so mehr, da die Zerstörung der lutherischen
und böhmischen Gotteshäuser 1616 durch die Jesuiten den Dissidenten in Po¬
sen jeden Religionsact hinderten."

Wie der Jesuit Piasincki 1608 von der Kanzel der Maria-Magdalenen-
Kirche dem Volke ungestraft zurufen durfte: "die Stadt will die Ketzer nicht
dulden, der Magistrat auch nicht; du Volk, verwandle ihre Kirchen in Schutt
und Asche," wie dann am 6. September 1603 das erste Mal Feuer an die
lutherische Kirche gelegt und da, dieses zeitig gelöscht ward, am 13. April 1606
durch 300 Jesuitenschüler das Zerstörungswerk vollbracht wurde, können wir
in dem Geschichtswerk des katholischen Lukaszewicz ausführlich lesen. Er er¬
zählt uns auch, daß die Tumultuanten selbst das Hospital, wo die Armuth
wohnt, verwüsteten und ausplünderten und auch die Kirchen, Psarr- und
Schulgebäude der böhmischen Brüder mit Feuer und Eisen vernichteten. Zwei
mal bauten die Lutherischen und die Böhmischen (Calvinisten und Unionisten)
ihre Kirchen wieder auf; zweimal wurden sie, und zwar zuletzt resp, am
12. Juli und 3. August 1616 von den Jesuitenschülern, d. i. von der hoffnungs¬
reichen Jugend des polnischen Adels der Erde gleich gemacht.

Am Ende bin ich nicht, aber ich würde auch nicht bald zu Ende kommen,
vollends wenn ich Sie nach Lemberg. Danzig und in "das betrübte Thorn"
führen wollte; und endlich muß ich doch einmal aufhören.

Wo Gewalt für Recht geht, hat auch die List ein weites, freies Spiel;
je> einholt, welchem das Rechtsgefühl versagt ist. sucht in der Pfiffigkeit eine
gewisse Virtuosität und schätzt sie. So ward es möglich, daß sich da und dort
eine verfolgte Kirchengemeinde durch Schlauheit ihr . Leben fristete, handelte es
steh ja oft nur darum, bis zum Tode irgend eines Gewalthabers Zeit zu ge¬
winnen.


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ein, und jetzt begann ein Wüthen, ähnlich dem bei der Zerstörung Magdeburgs.
Grausamkeiten aller Art wurden begangen, Morden der Bürger, Abdanken von
Gliedmaßen, Ausstechen der Augen, Abschneiden der Nasen und Ohren. Aus¬
graben von Todten und Beschimpfung derselben, Schanden der Frauen und
Jungfrauen, Plünderung, Raub, alle Schandthaten wurden ausgeübt. An
verschiedenen Orten zugleich wurde Feuer angelegt, in die neue noch nicht ein¬
geweihte Kirche der Gemeinde böhmischer Konfession Stroh geschleppt und sie
angezündet. Die ganze Stadt mit dem herrlichen Rathhause wurde ein Raub
der Flammen, alle Kirchen brannten nieder, nur die Pfarrhäuser bei der neuen
Kirche blieben unversehrt. Drei Tage wüthete das Feuer, dessen Beute auch
siebzig Windmühlen in der Umgebung der Stadt wurden.

Die Chronik von Posen sagt kurz:


„Emigration der deutschen und schottischen reichen Kaufleute und Fabrikanten,
denen der Aufenthalt in Posen durch die unaufhörlichen Vexationen der Jesuiten¬
schüler unmöglich gemacht wurde, um so mehr, da die Zerstörung der lutherischen
und böhmischen Gotteshäuser 1616 durch die Jesuiten den Dissidenten in Po¬
sen jeden Religionsact hinderten."

Wie der Jesuit Piasincki 1608 von der Kanzel der Maria-Magdalenen-
Kirche dem Volke ungestraft zurufen durfte: „die Stadt will die Ketzer nicht
dulden, der Magistrat auch nicht; du Volk, verwandle ihre Kirchen in Schutt
und Asche," wie dann am 6. September 1603 das erste Mal Feuer an die
lutherische Kirche gelegt und da, dieses zeitig gelöscht ward, am 13. April 1606
durch 300 Jesuitenschüler das Zerstörungswerk vollbracht wurde, können wir
in dem Geschichtswerk des katholischen Lukaszewicz ausführlich lesen. Er er¬
zählt uns auch, daß die Tumultuanten selbst das Hospital, wo die Armuth
wohnt, verwüsteten und ausplünderten und auch die Kirchen, Psarr- und
Schulgebäude der böhmischen Brüder mit Feuer und Eisen vernichteten. Zwei
mal bauten die Lutherischen und die Böhmischen (Calvinisten und Unionisten)
ihre Kirchen wieder auf; zweimal wurden sie, und zwar zuletzt resp, am
12. Juli und 3. August 1616 von den Jesuitenschülern, d. i. von der hoffnungs¬
reichen Jugend des polnischen Adels der Erde gleich gemacht.

Am Ende bin ich nicht, aber ich würde auch nicht bald zu Ende kommen,
vollends wenn ich Sie nach Lemberg. Danzig und in „das betrübte Thorn"
führen wollte; und endlich muß ich doch einmal aufhören.

Wo Gewalt für Recht geht, hat auch die List ein weites, freies Spiel;
je> einholt, welchem das Rechtsgefühl versagt ist. sucht in der Pfiffigkeit eine
gewisse Virtuosität und schätzt sie. So ward es möglich, daß sich da und dort
eine verfolgte Kirchengemeinde durch Schlauheit ihr . Leben fristete, handelte es
steh ja oft nur darum, bis zum Tode irgend eines Gewalthabers Zeit zu ge¬
winnen.


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[0275] ein, und jetzt begann ein Wüthen, ähnlich dem bei der Zerstörung Magdeburgs. Grausamkeiten aller Art wurden begangen, Morden der Bürger, Abdanken von Gliedmaßen, Ausstechen der Augen, Abschneiden der Nasen und Ohren. Aus¬ graben von Todten und Beschimpfung derselben, Schanden der Frauen und Jungfrauen, Plünderung, Raub, alle Schandthaten wurden ausgeübt. An verschiedenen Orten zugleich wurde Feuer angelegt, in die neue noch nicht ein¬ geweihte Kirche der Gemeinde böhmischer Konfession Stroh geschleppt und sie angezündet. Die ganze Stadt mit dem herrlichen Rathhause wurde ein Raub der Flammen, alle Kirchen brannten nieder, nur die Pfarrhäuser bei der neuen Kirche blieben unversehrt. Drei Tage wüthete das Feuer, dessen Beute auch siebzig Windmühlen in der Umgebung der Stadt wurden. Die Chronik von Posen sagt kurz: „Emigration der deutschen und schottischen reichen Kaufleute und Fabrikanten, denen der Aufenthalt in Posen durch die unaufhörlichen Vexationen der Jesuiten¬ schüler unmöglich gemacht wurde, um so mehr, da die Zerstörung der lutherischen und böhmischen Gotteshäuser 1616 durch die Jesuiten den Dissidenten in Po¬ sen jeden Religionsact hinderten." Wie der Jesuit Piasincki 1608 von der Kanzel der Maria-Magdalenen- Kirche dem Volke ungestraft zurufen durfte: „die Stadt will die Ketzer nicht dulden, der Magistrat auch nicht; du Volk, verwandle ihre Kirchen in Schutt und Asche," wie dann am 6. September 1603 das erste Mal Feuer an die lutherische Kirche gelegt und da, dieses zeitig gelöscht ward, am 13. April 1606 durch 300 Jesuitenschüler das Zerstörungswerk vollbracht wurde, können wir in dem Geschichtswerk des katholischen Lukaszewicz ausführlich lesen. Er er¬ zählt uns auch, daß die Tumultuanten selbst das Hospital, wo die Armuth wohnt, verwüsteten und ausplünderten und auch die Kirchen, Psarr- und Schulgebäude der böhmischen Brüder mit Feuer und Eisen vernichteten. Zwei mal bauten die Lutherischen und die Böhmischen (Calvinisten und Unionisten) ihre Kirchen wieder auf; zweimal wurden sie, und zwar zuletzt resp, am 12. Juli und 3. August 1616 von den Jesuitenschülern, d. i. von der hoffnungs¬ reichen Jugend des polnischen Adels der Erde gleich gemacht. Am Ende bin ich nicht, aber ich würde auch nicht bald zu Ende kommen, vollends wenn ich Sie nach Lemberg. Danzig und in „das betrübte Thorn" führen wollte; und endlich muß ich doch einmal aufhören. Wo Gewalt für Recht geht, hat auch die List ein weites, freies Spiel; je> einholt, welchem das Rechtsgefühl versagt ist. sucht in der Pfiffigkeit eine gewisse Virtuosität und schätzt sie. So ward es möglich, daß sich da und dort eine verfolgte Kirchengemeinde durch Schlauheit ihr . Leben fristete, handelte es steh ja oft nur darum, bis zum Tode irgend eines Gewalthabers Zeit zu ge¬ winnen. 34-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/275>, abgerufen am 29.11.2024.