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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Zeichen, daß es ihm am ernsten Sinn für das Große im Leben, wie in der
Kunst und am ächten Humor fehlt, der immer auf dem Grunde der Begeiste¬
rung spielt. Treibt etwa diese Ironie auch in den blasirten Zügen des Cer¬
vantes ihr Wesen, denen so recht die Absicht aufgedrückt ist, den geistreichen
Kops zu spielen? So hat der Mann gewiß nicht ausgesehen, der die Darstellung
einer abgängigen Weltordnung im Contrast mit der neueii in die Höhe des
ächten Humors zu erheben wußte. Wie selbst in den zurücktretenden Köpfen
eines CusanuS, Celtes, Cranmer der Ausdruck ins Maskenhafte gesteigert ist,
wird dem Beobachter nicht entgehen. Doch bleiben noch zwei Figuren übrig
-- von Hans Sachs war schon oben die Rede -- die gewaltsam das Auge
herausfordern: Columbus und Shakespeare. Für die in den riesigen Verhält¬
nissen aus ihrer Umgebung ganz herausfallende Figur des Ersteren, für die
weltgebieterische Miene, mit der er sich in Scene setzt, und den erhabenen
Contrast, mit dem er auch in diesem Momente seine Ketten rasseln läßt, für
diese gemachte Größe wird der Beschauer nur ein Lächeln haben. Aber entrüsten
mag er sich, daß man ihm den komödienhaften, frisirten, geschniegelten "schönen
Mann", der sich da vorn so recht zur Schau ausgestellt hat, mit seinen Formen
kokettirt und Alles aufbietet, um nach etwas auszusehen!, für einen Shake¬
speare gibt; für den Dichter, der uns zum ersten Male den ganzen Menschen
darstellte, wie sein Charakter und sein Schicksal aus der Tiefe seiner Leiden
schaften, aus den Conflicten der Natur und Geschichte hervorgehen. An diesem
Shakespeare zeigt sich übrigens deutlich, wie Kaulbach bei aller äußeren Ge-
schicklichkeit gleich wenig Verständniß für die künstlerische Bildung der Form,
wie für das Leben eines Kopfes hat. Vergebens sucht man in allen diesen
Figuren die feste Erscheinung, den sichern Wurf des Körpers, die doch erst der
Gestalt ihr selbständiges Leben geben, und welche die Meisterwerke aller Zeiten
kennzeichnen.

Und '"das Zeitalter der Reformation?" Wie die einzelnen Figuren und
Gruppen ist auch das Ganze wirkungslos. Hier ist nichts von dem bewegten,
schwungvollen Wesen jenes Jahrhunderts, von seiner großen, treibenden Stim¬
mung, von dem frischen Zug, der durch seine Menschen ging. Kaulbach wollte
die Geister jener merkwürdigen Epoche beschwören, und es hat sich nichts als eine
Schaar von Schatten eingesunken. Das ist die Zeit nicht, von der Hütten
ausrief: "O Jahrhundert, die Studien blühen, die Geister erwachen, es ist
eine Lust zu leben!"

Vielleicht wird der eine oder andere Leser finden, daß wir Kaulbach mit
einem zu strengen Maßstab gemessen haben. Aber es ist an der Zeit, das
wahre Gesicht einer Richtung aufzudecken, von der eine gewisse Kritik eine neue
Kunstepoche datiren möchte: die durch die Geschicklichkeit zu blenden sucht, mit
welcher sie das reiche Bildungsmaterial der Zeit, die Fülle des Stoffs in den


Zeichen, daß es ihm am ernsten Sinn für das Große im Leben, wie in der
Kunst und am ächten Humor fehlt, der immer auf dem Grunde der Begeiste¬
rung spielt. Treibt etwa diese Ironie auch in den blasirten Zügen des Cer¬
vantes ihr Wesen, denen so recht die Absicht aufgedrückt ist, den geistreichen
Kops zu spielen? So hat der Mann gewiß nicht ausgesehen, der die Darstellung
einer abgängigen Weltordnung im Contrast mit der neueii in die Höhe des
ächten Humors zu erheben wußte. Wie selbst in den zurücktretenden Köpfen
eines CusanuS, Celtes, Cranmer der Ausdruck ins Maskenhafte gesteigert ist,
wird dem Beobachter nicht entgehen. Doch bleiben noch zwei Figuren übrig
— von Hans Sachs war schon oben die Rede — die gewaltsam das Auge
herausfordern: Columbus und Shakespeare. Für die in den riesigen Verhält¬
nissen aus ihrer Umgebung ganz herausfallende Figur des Ersteren, für die
weltgebieterische Miene, mit der er sich in Scene setzt, und den erhabenen
Contrast, mit dem er auch in diesem Momente seine Ketten rasseln läßt, für
diese gemachte Größe wird der Beschauer nur ein Lächeln haben. Aber entrüsten
mag er sich, daß man ihm den komödienhaften, frisirten, geschniegelten „schönen
Mann", der sich da vorn so recht zur Schau ausgestellt hat, mit seinen Formen
kokettirt und Alles aufbietet, um nach etwas auszusehen!, für einen Shake¬
speare gibt; für den Dichter, der uns zum ersten Male den ganzen Menschen
darstellte, wie sein Charakter und sein Schicksal aus der Tiefe seiner Leiden
schaften, aus den Conflicten der Natur und Geschichte hervorgehen. An diesem
Shakespeare zeigt sich übrigens deutlich, wie Kaulbach bei aller äußeren Ge-
schicklichkeit gleich wenig Verständniß für die künstlerische Bildung der Form,
wie für das Leben eines Kopfes hat. Vergebens sucht man in allen diesen
Figuren die feste Erscheinung, den sichern Wurf des Körpers, die doch erst der
Gestalt ihr selbständiges Leben geben, und welche die Meisterwerke aller Zeiten
kennzeichnen.

Und '„das Zeitalter der Reformation?" Wie die einzelnen Figuren und
Gruppen ist auch das Ganze wirkungslos. Hier ist nichts von dem bewegten,
schwungvollen Wesen jenes Jahrhunderts, von seiner großen, treibenden Stim¬
mung, von dem frischen Zug, der durch seine Menschen ging. Kaulbach wollte
die Geister jener merkwürdigen Epoche beschwören, und es hat sich nichts als eine
Schaar von Schatten eingesunken. Das ist die Zeit nicht, von der Hütten
ausrief: „O Jahrhundert, die Studien blühen, die Geister erwachen, es ist
eine Lust zu leben!"

Vielleicht wird der eine oder andere Leser finden, daß wir Kaulbach mit
einem zu strengen Maßstab gemessen haben. Aber es ist an der Zeit, das
wahre Gesicht einer Richtung aufzudecken, von der eine gewisse Kritik eine neue
Kunstepoche datiren möchte: die durch die Geschicklichkeit zu blenden sucht, mit
welcher sie das reiche Bildungsmaterial der Zeit, die Fülle des Stoffs in den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/268>, abgerufen am 30.11.2024.