Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.Jahrhunderts nicht in ein bestimmtes Ereignis; zusammen. Es war eine Welt¬ Ein Aufschwung also, der die Mannigfaltigkeit einer ganzen Welt in sich Jahrhunderts nicht in ein bestimmtes Ereignis; zusammen. Es war eine Welt¬ Ein Aufschwung also, der die Mannigfaltigkeit einer ganzen Welt in sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187752"/> <p xml:id="ID_1003" prev="#ID_1002"> Jahrhunderts nicht in ein bestimmtes Ereignis; zusammen. Es war eine Welt¬<lb/> umbildung, die sich aus allen Gebieten des Lebens — und nicht mit einem<lb/> Male — vollzog. Jeder derartige Umschwung schlägt wohl vorab in den Grund<lb/> alles geistigen Lebens, in die Religion, erschütternd ein und erhält daher von<lb/> dieser Veränderung sein Hauptgepräge; aber dieser Schlag ist vorbereitet<lb/> sowohl als begleitet von einer Umgestaltung im ganzen Umkreise des Cultur- und<lb/> öffentlichen Lebens. So lag im Bruch mit dem hierarchischen und scholastischen<lb/> Mittelalter eine Rückkehr des Geistes zu sich selbst und zur Natur, die sich nach<lb/> allen Seiten bethätigte. Der Humanismus entdeckte im Alterthum eine Welt,<lb/> die ihm mit der Vollendung eines zur Freiheit schon entwickelten Geistes ent¬<lb/> gegentrat, und lernte von ihr die Freiheit des eigenen üben, die neue Bildung<lb/> aufbauen. Mit dem Verständniß der griechischen Philosophie ging dem Denker<lb/> zugleich der Sinn für das geheimnißvolle Leben der Natur auf. Die bildende<lb/> Kunst führte — nicht ohne Hülfe der Antike — die Gestalten des Glaubens<lb/> zu schöner Menschlichkeit heraus und nahm ihnen so den blendenden Nimbus<lb/> der Jenseitigkeit, die Jahrhunderte lang um das menschliche Auge eine Binde<lb/> gelegt hatte. Die Erde selber erschien dem Menschen wieder als seine ächte<lb/> Heimath, und der Trieb erwachte, auch ihre unbekannte Hälfte als seine Domäne<lb/> in Besitz zu nehmen; zugleich entdeckte er ihre Stelle und Bewegung im Welten¬<lb/> system. In der Natur endlich sah er nicht mehr die bloße ihm feindliche Crea-<lb/> tur, sondern, da er ihr nun frei gegenüberstand, ein Reich von Kräften und<lb/> Stoffen, das er nur zu erforschen brauchte, um es sich dienstbar zu machen:<lb/> Naturforschung und der entdeckende, erfindende Sinn reichten sich die Hände.<lb/> Und wie sich im religiösen Leben der Geist von jedem Gängelbande der Auto¬<lb/> rität losriß, um nur nach dem geprüften Wort der Schrift und nach der innern<lb/> Gesinnung zu leben, so sagte sich die neue Philosophie in ihren Begründern Bacon<lb/> und Cartesius von allen Vorurtheilen und hergebrachten Meinungen los, um mit<lb/> der Selbstgewißheit der Erfahrung oder des Denkens neu anzuheben. Allein<lb/> mit allen diesen Richtungen ist der Kreis der neuen Bewegung noch nicht ge¬<lb/> schlossen. Die Weltereignisse, welche die Reformation zur Folge hatte, die<lb/> Wirkung, welche sie als die nationalste That des deutschen Volkes insbesondere<lb/> auf dessen Schicksale ausübte, überhaupt ihr Verhältniß zum politischen Leben<lb/> sind ebenso wesentliche Momente als ihre geistigen Verzweigungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1004" next="#ID_1005"> Ein Aufschwung also, der die Mannigfaltigkeit einer ganzen Welt in sich<lb/> faßt, dessen verschiedene Ausgangspunkte mehr als ein Jahrhundert auseinander¬<lb/> liegen. Die Beschränkung auf ein bestimmtes Ereigniß war bedenklich; zudem<lb/> ließ sich von Kaulbach nichts Anderes erwarten, als daß er den Stoff in seiner<lb/> möglichsten Vollständigkeit geben würde. Eine geschichtliche Form aber, in der<lb/> auch nur einige jener Mächte auftreten würden, ließ sich nicht finden; auf<lb/> Geschichte im eigentlichen Sinne mußte daher auch hier verzichtet werden. Es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0258]
Jahrhunderts nicht in ein bestimmtes Ereignis; zusammen. Es war eine Welt¬
umbildung, die sich aus allen Gebieten des Lebens — und nicht mit einem
Male — vollzog. Jeder derartige Umschwung schlägt wohl vorab in den Grund
alles geistigen Lebens, in die Religion, erschütternd ein und erhält daher von
dieser Veränderung sein Hauptgepräge; aber dieser Schlag ist vorbereitet
sowohl als begleitet von einer Umgestaltung im ganzen Umkreise des Cultur- und
öffentlichen Lebens. So lag im Bruch mit dem hierarchischen und scholastischen
Mittelalter eine Rückkehr des Geistes zu sich selbst und zur Natur, die sich nach
allen Seiten bethätigte. Der Humanismus entdeckte im Alterthum eine Welt,
die ihm mit der Vollendung eines zur Freiheit schon entwickelten Geistes ent¬
gegentrat, und lernte von ihr die Freiheit des eigenen üben, die neue Bildung
aufbauen. Mit dem Verständniß der griechischen Philosophie ging dem Denker
zugleich der Sinn für das geheimnißvolle Leben der Natur auf. Die bildende
Kunst führte — nicht ohne Hülfe der Antike — die Gestalten des Glaubens
zu schöner Menschlichkeit heraus und nahm ihnen so den blendenden Nimbus
der Jenseitigkeit, die Jahrhunderte lang um das menschliche Auge eine Binde
gelegt hatte. Die Erde selber erschien dem Menschen wieder als seine ächte
Heimath, und der Trieb erwachte, auch ihre unbekannte Hälfte als seine Domäne
in Besitz zu nehmen; zugleich entdeckte er ihre Stelle und Bewegung im Welten¬
system. In der Natur endlich sah er nicht mehr die bloße ihm feindliche Crea-
tur, sondern, da er ihr nun frei gegenüberstand, ein Reich von Kräften und
Stoffen, das er nur zu erforschen brauchte, um es sich dienstbar zu machen:
Naturforschung und der entdeckende, erfindende Sinn reichten sich die Hände.
Und wie sich im religiösen Leben der Geist von jedem Gängelbande der Auto¬
rität losriß, um nur nach dem geprüften Wort der Schrift und nach der innern
Gesinnung zu leben, so sagte sich die neue Philosophie in ihren Begründern Bacon
und Cartesius von allen Vorurtheilen und hergebrachten Meinungen los, um mit
der Selbstgewißheit der Erfahrung oder des Denkens neu anzuheben. Allein
mit allen diesen Richtungen ist der Kreis der neuen Bewegung noch nicht ge¬
schlossen. Die Weltereignisse, welche die Reformation zur Folge hatte, die
Wirkung, welche sie als die nationalste That des deutschen Volkes insbesondere
auf dessen Schicksale ausübte, überhaupt ihr Verhältniß zum politischen Leben
sind ebenso wesentliche Momente als ihre geistigen Verzweigungen.
Ein Aufschwung also, der die Mannigfaltigkeit einer ganzen Welt in sich
faßt, dessen verschiedene Ausgangspunkte mehr als ein Jahrhundert auseinander¬
liegen. Die Beschränkung auf ein bestimmtes Ereigniß war bedenklich; zudem
ließ sich von Kaulbach nichts Anderes erwarten, als daß er den Stoff in seiner
möglichsten Vollständigkeit geben würde. Eine geschichtliche Form aber, in der
auch nur einige jener Mächte auftreten würden, ließ sich nicht finden; auf
Geschichte im eigentlichen Sinne mußte daher auch hier verzichtet werden. Es
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