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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Einförmige der Typen: eine nicht unbedeutende Geschicklichkeit, ein gewisses
Talent, aber nirgends eine wahre künstlerische Empfindung und ein solides
Können. Diese Eigenschaften, wie diese Mängel scheinen nun gerade in der
Stoffwelt, in der sich Kaulbach bisher und namentlich in Berlin bewegt hat,
ein günstiges Feld gesunden zu haben. Bei allen Motiven, die er dort behandelt
hat, lieh sich mit dem Realen das sagenhafte leicht vermischen, sich der Be¬
stimmtheit wirklicher Erscheinungen ausweichen, sich Alles mehr oder minder
in den luftigen Kreis eines "idealen" Gestaltenreiches hereinziehen. Mit der
Reformation dagegen betritt er ein neues Gebiet: und nun wollen wir sehen,
wie seine Phantasie die Härte der geschichtlichen Realität, der sie nicht mehr aus
dem Wege gehen kann, überwindet, wie sich auf diesem Felde sein gestaltendes
Vermögen zurechtfindet.

Wie man auch über die historische Bedeutung der von Kaulbach bisher
gewählten Momente denken mag: darüber kann kein Zweifel sein, daß die Re¬
formation den Wendepunkt zwischen der mittleren und neuen Zeit bezeichnet.
Wenn der Künstler in der Auswahl der "weltgeschichtlichen" Stoffe bis
jetzt wenig historischen Sinn bewiesen hat, so ist ihm um so höher anzu¬
rechnen, daß er seinen neuesten Vorwurf gegen die kleinlichen Kabalen, mit
denen man vom privilegirten Sitz der Aufklärung aus sich dagegen stemmte,
durchzusetzen wußte. Freilich wäre das Berliner Unternehmen für immer mit
dem Mal der Lächerlichkeit gebrandmarkt gewesen, wenn man in einer Dar¬
stellung des weltgeschichtlichen Lebens der Reformation ihre Stelle verweigert
hätte. Auf dem Motiv zu bestehen, war daher dem Künstler sowohl durch sein
eigenes Interesse, als durch die Sache geboten. Auch scheint die neue Auf¬
gabe Bedingungen zu enthalten, die seinem Talente eine neue und vielleicht
glücklichere Richtung geben könnten. Der Umschwung der Dinge, welcher die
Reformation bezeichnet, ist jedem Gebildeten gegenwärtig; die frische Strömung
des wieder erwachenden Geistes, welcher jene Epoche durchzieht, die glückliche
Stimmung, mit welcher er von der Erde Besitz ergriff, um von nun an die Welt
mit sich in Einklang zu bringen, empfinden wir um so lebhafter, als sie auch
in uns noch fortwirken. Das neunzehnte Jahrhundert hat entschiedener als jedes
andere das Erbe des sechzehnten angetreten. Demgemäß stehen auch Personen
und Ereignisse zum Theil wenigstens in lebendiger Deutlichkeit vor uns. die
Erscheinungsweise der Männer, welche an der Spitze der Bewegung, ist durch
treffliche Bildnisse bis auf unsere Tage gekommen, und selbst die Culturformen,
die Denk- und Lebensart jener Zeit sind uns nicht fremd geblieben. Dem
Künstler kann dies Verhältniß nur zu Gute kommen. Hier hat er nur eine Welt vor
sich, zu der er sich hingezogen fühlt und die- ihm als eine charaktervolle, deut¬
lich ausgeprägte Wirklichkeit gegenübersteht.

Indessen faßte sich naturgemäß die reformatorische Bewegung des sechzehnten


Grenzboten I. 1863. 32

Einförmige der Typen: eine nicht unbedeutende Geschicklichkeit, ein gewisses
Talent, aber nirgends eine wahre künstlerische Empfindung und ein solides
Können. Diese Eigenschaften, wie diese Mängel scheinen nun gerade in der
Stoffwelt, in der sich Kaulbach bisher und namentlich in Berlin bewegt hat,
ein günstiges Feld gesunden zu haben. Bei allen Motiven, die er dort behandelt
hat, lieh sich mit dem Realen das sagenhafte leicht vermischen, sich der Be¬
stimmtheit wirklicher Erscheinungen ausweichen, sich Alles mehr oder minder
in den luftigen Kreis eines „idealen" Gestaltenreiches hereinziehen. Mit der
Reformation dagegen betritt er ein neues Gebiet: und nun wollen wir sehen,
wie seine Phantasie die Härte der geschichtlichen Realität, der sie nicht mehr aus
dem Wege gehen kann, überwindet, wie sich auf diesem Felde sein gestaltendes
Vermögen zurechtfindet.

Wie man auch über die historische Bedeutung der von Kaulbach bisher
gewählten Momente denken mag: darüber kann kein Zweifel sein, daß die Re¬
formation den Wendepunkt zwischen der mittleren und neuen Zeit bezeichnet.
Wenn der Künstler in der Auswahl der „weltgeschichtlichen" Stoffe bis
jetzt wenig historischen Sinn bewiesen hat, so ist ihm um so höher anzu¬
rechnen, daß er seinen neuesten Vorwurf gegen die kleinlichen Kabalen, mit
denen man vom privilegirten Sitz der Aufklärung aus sich dagegen stemmte,
durchzusetzen wußte. Freilich wäre das Berliner Unternehmen für immer mit
dem Mal der Lächerlichkeit gebrandmarkt gewesen, wenn man in einer Dar¬
stellung des weltgeschichtlichen Lebens der Reformation ihre Stelle verweigert
hätte. Auf dem Motiv zu bestehen, war daher dem Künstler sowohl durch sein
eigenes Interesse, als durch die Sache geboten. Auch scheint die neue Auf¬
gabe Bedingungen zu enthalten, die seinem Talente eine neue und vielleicht
glücklichere Richtung geben könnten. Der Umschwung der Dinge, welcher die
Reformation bezeichnet, ist jedem Gebildeten gegenwärtig; die frische Strömung
des wieder erwachenden Geistes, welcher jene Epoche durchzieht, die glückliche
Stimmung, mit welcher er von der Erde Besitz ergriff, um von nun an die Welt
mit sich in Einklang zu bringen, empfinden wir um so lebhafter, als sie auch
in uns noch fortwirken. Das neunzehnte Jahrhundert hat entschiedener als jedes
andere das Erbe des sechzehnten angetreten. Demgemäß stehen auch Personen
und Ereignisse zum Theil wenigstens in lebendiger Deutlichkeit vor uns. die
Erscheinungsweise der Männer, welche an der Spitze der Bewegung, ist durch
treffliche Bildnisse bis auf unsere Tage gekommen, und selbst die Culturformen,
die Denk- und Lebensart jener Zeit sind uns nicht fremd geblieben. Dem
Künstler kann dies Verhältniß nur zu Gute kommen. Hier hat er nur eine Welt vor
sich, zu der er sich hingezogen fühlt und die- ihm als eine charaktervolle, deut¬
lich ausgeprägte Wirklichkeit gegenübersteht.

Indessen faßte sich naturgemäß die reformatorische Bewegung des sechzehnten


Grenzboten I. 1863. 32
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[0257] Einförmige der Typen: eine nicht unbedeutende Geschicklichkeit, ein gewisses Talent, aber nirgends eine wahre künstlerische Empfindung und ein solides Können. Diese Eigenschaften, wie diese Mängel scheinen nun gerade in der Stoffwelt, in der sich Kaulbach bisher und namentlich in Berlin bewegt hat, ein günstiges Feld gesunden zu haben. Bei allen Motiven, die er dort behandelt hat, lieh sich mit dem Realen das sagenhafte leicht vermischen, sich der Be¬ stimmtheit wirklicher Erscheinungen ausweichen, sich Alles mehr oder minder in den luftigen Kreis eines „idealen" Gestaltenreiches hereinziehen. Mit der Reformation dagegen betritt er ein neues Gebiet: und nun wollen wir sehen, wie seine Phantasie die Härte der geschichtlichen Realität, der sie nicht mehr aus dem Wege gehen kann, überwindet, wie sich auf diesem Felde sein gestaltendes Vermögen zurechtfindet. Wie man auch über die historische Bedeutung der von Kaulbach bisher gewählten Momente denken mag: darüber kann kein Zweifel sein, daß die Re¬ formation den Wendepunkt zwischen der mittleren und neuen Zeit bezeichnet. Wenn der Künstler in der Auswahl der „weltgeschichtlichen" Stoffe bis jetzt wenig historischen Sinn bewiesen hat, so ist ihm um so höher anzu¬ rechnen, daß er seinen neuesten Vorwurf gegen die kleinlichen Kabalen, mit denen man vom privilegirten Sitz der Aufklärung aus sich dagegen stemmte, durchzusetzen wußte. Freilich wäre das Berliner Unternehmen für immer mit dem Mal der Lächerlichkeit gebrandmarkt gewesen, wenn man in einer Dar¬ stellung des weltgeschichtlichen Lebens der Reformation ihre Stelle verweigert hätte. Auf dem Motiv zu bestehen, war daher dem Künstler sowohl durch sein eigenes Interesse, als durch die Sache geboten. Auch scheint die neue Auf¬ gabe Bedingungen zu enthalten, die seinem Talente eine neue und vielleicht glücklichere Richtung geben könnten. Der Umschwung der Dinge, welcher die Reformation bezeichnet, ist jedem Gebildeten gegenwärtig; die frische Strömung des wieder erwachenden Geistes, welcher jene Epoche durchzieht, die glückliche Stimmung, mit welcher er von der Erde Besitz ergriff, um von nun an die Welt mit sich in Einklang zu bringen, empfinden wir um so lebhafter, als sie auch in uns noch fortwirken. Das neunzehnte Jahrhundert hat entschiedener als jedes andere das Erbe des sechzehnten angetreten. Demgemäß stehen auch Personen und Ereignisse zum Theil wenigstens in lebendiger Deutlichkeit vor uns. die Erscheinungsweise der Männer, welche an der Spitze der Bewegung, ist durch treffliche Bildnisse bis auf unsere Tage gekommen, und selbst die Culturformen, die Denk- und Lebensart jener Zeit sind uns nicht fremd geblieben. Dem Künstler kann dies Verhältniß nur zu Gute kommen. Hier hat er nur eine Welt vor sich, zu der er sich hingezogen fühlt und die- ihm als eine charaktervolle, deut¬ lich ausgeprägte Wirklichkeit gegenübersteht. Indessen faßte sich naturgemäß die reformatorische Bewegung des sechzehnten Grenzboten I. 1863. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/257>, abgerufen am 28.07.2024.