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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Tischendorf den Glauben versagte. Im Folgenden das Wesentliche aus diesem
anscheinend von aufrichtiger Wahrheitliebe dictirten Artikel, der zugleich die
wesentlichsten Punkte des andern Journals wiedergibt. Causidicus schreibt:

"Es ist schwer zu sagen, wer von den beiden, der Kläger oder der Angeklagte
in dieser literarischen Fehde am wenigsten vortheilhaft erscheint. Simonides
weigert sich auf den außerordentlich unparteiischen und mild gehaltenen Ar¬
tikel im "Clerical Journal" zu antworten, weil derselbe anonym ist, eine
Entschuldigung so armseliger Art, daß selbst seine achtbare Großmutter darüber
gelacht haben würde. Andrerseits ist die von Tischendorf in der "Allgemeinen
Zeitung" veröffentlichte Note noch bedauernswerther als die feigherzige Ent¬
schuldigung seines Gegners. Der Doctor reitet das hohe Pferd, aber keines¬
wegs in der Weise eines Paladins. Von einem Mann, der nur durch seine
Arbeiten auf dem untergeordneten Felde der Paläographie und der Sammlung
von Manuscripten bekannt ist, sollte man einen gewissen Grad von Bescheiden¬
heit erwarten, selbst wenn derselbe, was ich durchaus nicht zugebe, einen werth-
vollen Bibelcodex in einem Lappen entdeckt hätte. Aber die Approbation eines
Czaren und das Interesse, welches das literarische Europa an seiner angeblichen
Entdeckung genommen hat, haben den Manuscriptensammler augenscheinlich be¬
wogen, die Miene eines literarischen alten Pistol anzunehmen. Er wundert
sich, daß englische Journale sich um solch Zeug, wie die Angaben des Simo-
nides, Gedanken machen. Wer hat ein besseres Recht? Wir in England trauen
weder Tischendorf noch Simonides in einer so wichtigen Angelegenheit wie die
Aechtheit eines biblischen Codex, von dem behauptet wird, er stamme aus dem
höchsten Alterthum. In diesem Betreff höre" wir beide Parteien ohne Vor¬
eingenommenheit und gestehen wir dem Doctor Tischendorf nicht ein Jota mehr
zu als dem Doctor Simonides."

"Gegen den Bericht des Simonides scheinen von den in dem verständigen
und unparteiischen Artikel des "Clerical Journal" angeführten Gründen
hauptsächlich folgende zu sprechen:

1. Simonides hätte, wenn das Manuscript wirklich sein Werk war, diese
Thatsache unmittelbar nachdem die vermeintliche Entdeckung Tischendorfs zu
seiner Kenntniß gekommen, bekannt machen müssen. Statt dessen verhielt er
sich still bis zur elften Stunde und ließ die Bibclt'rititer Europas in Täuschung
befangen, ohne Rücksicht auf die Verschwendung von Arbeit und Kosten, welche
sein Schweigen verursachte.

2. Die Zeit, welche Simonides bedurft haben will, um das Manuscript
zu cvpiren, betrug ungefähr zwanzig Monate, ein Zeitraum, in welchem, wie
es scheint, das Werk unmöglich zu Stande gebracht werde" konnte.

3. Das Maiiuscript enthält Correcturen an achttausend Stelle", eine un¬
ermeßlich mühevolle Arbeit, für welche Simonides keine andere Art von An


Tischendorf den Glauben versagte. Im Folgenden das Wesentliche aus diesem
anscheinend von aufrichtiger Wahrheitliebe dictirten Artikel, der zugleich die
wesentlichsten Punkte des andern Journals wiedergibt. Causidicus schreibt:

„Es ist schwer zu sagen, wer von den beiden, der Kläger oder der Angeklagte
in dieser literarischen Fehde am wenigsten vortheilhaft erscheint. Simonides
weigert sich auf den außerordentlich unparteiischen und mild gehaltenen Ar¬
tikel im „Clerical Journal" zu antworten, weil derselbe anonym ist, eine
Entschuldigung so armseliger Art, daß selbst seine achtbare Großmutter darüber
gelacht haben würde. Andrerseits ist die von Tischendorf in der „Allgemeinen
Zeitung" veröffentlichte Note noch bedauernswerther als die feigherzige Ent¬
schuldigung seines Gegners. Der Doctor reitet das hohe Pferd, aber keines¬
wegs in der Weise eines Paladins. Von einem Mann, der nur durch seine
Arbeiten auf dem untergeordneten Felde der Paläographie und der Sammlung
von Manuscripten bekannt ist, sollte man einen gewissen Grad von Bescheiden¬
heit erwarten, selbst wenn derselbe, was ich durchaus nicht zugebe, einen werth-
vollen Bibelcodex in einem Lappen entdeckt hätte. Aber die Approbation eines
Czaren und das Interesse, welches das literarische Europa an seiner angeblichen
Entdeckung genommen hat, haben den Manuscriptensammler augenscheinlich be¬
wogen, die Miene eines literarischen alten Pistol anzunehmen. Er wundert
sich, daß englische Journale sich um solch Zeug, wie die Angaben des Simo-
nides, Gedanken machen. Wer hat ein besseres Recht? Wir in England trauen
weder Tischendorf noch Simonides in einer so wichtigen Angelegenheit wie die
Aechtheit eines biblischen Codex, von dem behauptet wird, er stamme aus dem
höchsten Alterthum. In diesem Betreff höre» wir beide Parteien ohne Vor¬
eingenommenheit und gestehen wir dem Doctor Tischendorf nicht ein Jota mehr
zu als dem Doctor Simonides."

„Gegen den Bericht des Simonides scheinen von den in dem verständigen
und unparteiischen Artikel des „Clerical Journal" angeführten Gründen
hauptsächlich folgende zu sprechen:

1. Simonides hätte, wenn das Manuscript wirklich sein Werk war, diese
Thatsache unmittelbar nachdem die vermeintliche Entdeckung Tischendorfs zu
seiner Kenntniß gekommen, bekannt machen müssen. Statt dessen verhielt er
sich still bis zur elften Stunde und ließ die Bibclt'rititer Europas in Täuschung
befangen, ohne Rücksicht auf die Verschwendung von Arbeit und Kosten, welche
sein Schweigen verursachte.

2. Die Zeit, welche Simonides bedurft haben will, um das Manuscript
zu cvpiren, betrug ungefähr zwanzig Monate, ein Zeitraum, in welchem, wie
es scheint, das Werk unmöglich zu Stande gebracht werde» konnte.

3. Das Maiiuscript enthält Correcturen an achttausend Stelle», eine un¬
ermeßlich mühevolle Arbeit, für welche Simonides keine andere Art von An


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[0218] Tischendorf den Glauben versagte. Im Folgenden das Wesentliche aus diesem anscheinend von aufrichtiger Wahrheitliebe dictirten Artikel, der zugleich die wesentlichsten Punkte des andern Journals wiedergibt. Causidicus schreibt: „Es ist schwer zu sagen, wer von den beiden, der Kläger oder der Angeklagte in dieser literarischen Fehde am wenigsten vortheilhaft erscheint. Simonides weigert sich auf den außerordentlich unparteiischen und mild gehaltenen Ar¬ tikel im „Clerical Journal" zu antworten, weil derselbe anonym ist, eine Entschuldigung so armseliger Art, daß selbst seine achtbare Großmutter darüber gelacht haben würde. Andrerseits ist die von Tischendorf in der „Allgemeinen Zeitung" veröffentlichte Note noch bedauernswerther als die feigherzige Ent¬ schuldigung seines Gegners. Der Doctor reitet das hohe Pferd, aber keines¬ wegs in der Weise eines Paladins. Von einem Mann, der nur durch seine Arbeiten auf dem untergeordneten Felde der Paläographie und der Sammlung von Manuscripten bekannt ist, sollte man einen gewissen Grad von Bescheiden¬ heit erwarten, selbst wenn derselbe, was ich durchaus nicht zugebe, einen werth- vollen Bibelcodex in einem Lappen entdeckt hätte. Aber die Approbation eines Czaren und das Interesse, welches das literarische Europa an seiner angeblichen Entdeckung genommen hat, haben den Manuscriptensammler augenscheinlich be¬ wogen, die Miene eines literarischen alten Pistol anzunehmen. Er wundert sich, daß englische Journale sich um solch Zeug, wie die Angaben des Simo- nides, Gedanken machen. Wer hat ein besseres Recht? Wir in England trauen weder Tischendorf noch Simonides in einer so wichtigen Angelegenheit wie die Aechtheit eines biblischen Codex, von dem behauptet wird, er stamme aus dem höchsten Alterthum. In diesem Betreff höre» wir beide Parteien ohne Vor¬ eingenommenheit und gestehen wir dem Doctor Tischendorf nicht ein Jota mehr zu als dem Doctor Simonides." „Gegen den Bericht des Simonides scheinen von den in dem verständigen und unparteiischen Artikel des „Clerical Journal" angeführten Gründen hauptsächlich folgende zu sprechen: 1. Simonides hätte, wenn das Manuscript wirklich sein Werk war, diese Thatsache unmittelbar nachdem die vermeintliche Entdeckung Tischendorfs zu seiner Kenntniß gekommen, bekannt machen müssen. Statt dessen verhielt er sich still bis zur elften Stunde und ließ die Bibclt'rititer Europas in Täuschung befangen, ohne Rücksicht auf die Verschwendung von Arbeit und Kosten, welche sein Schweigen verursachte. 2. Die Zeit, welche Simonides bedurft haben will, um das Manuscript zu cvpiren, betrug ungefähr zwanzig Monate, ein Zeitraum, in welchem, wie es scheint, das Werk unmöglich zu Stande gebracht werde» konnte. 3. Das Maiiuscript enthält Correcturen an achttausend Stelle», eine un¬ ermeßlich mühevolle Arbeit, für welche Simonides keine andere Art von An

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/218>, abgerufen am 25.11.2024.