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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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er behauptete, besagte Handschrift sei keineswegs ein Wer? urchristlicher Zeit,
sondern von ihm, .Konstantin Simonides, selbst erst vor einigen Jahren an¬
gefertigt. Er erzählt:

"Gegen das Ende des Jahres 1839 wünschte der ehrwürdige Benedict,
mein Oheim, geistliches Haupt des Klosters des heiligen Märtyrers Pantelimon
auf dem Berg Athos, dem Kaiser Nikolaus dem Ersten von Nußland in dank¬
barer Anerkennung der Geschenke, die von Zeit zu Zeit dem Kloster des Mär¬
tyrers dargeboten worden waren, irgend eine Gabe vom heiligen Berge zu
verehren. Da er nichts besaß, was er für annehmbar erachtete, berieth er sich
mit dem Herold Prokopius und dem russischen Mönch Paul, und sie entschieden
sich für eine Abschrift des Alten und Neuen Testaments, geschrieben nach
alterthümlicher Weise in Anfangsbuchstaben und auf Pergament. Dies, zu¬
sammen mit den Ueberresten der sieben apostolischen Väter -- Barnabas, Her-
mas, Clemens, Bischof von Rom, Ignatius, Polykarp, Papias und Diony"
sins Arevpagita -- sollte nach ihrem Vorschlag in Gold gebunden und dem
Kaiser durch einen gemeinsamen Freund überreicht werden. Dionysius, der
eigentliche Schönschreiber des Klosters, wurde gebeten, die Arbeit zu unter¬
nehmen, lehnte jedoch die Aufgabe als allzuschwierig ab. Infolge dessen ent¬
schloß ich selbst mich, an das Werk zu gehen, namentlich da mein verehrter
Oheim es lebhaft zu wünschen schien. Nachdem ich dann die wichtigsten der
auf dem Berg Athos verwahrten Copien der heiligen Schrift untersucht hatte,
begann ich mich in den Regeln der Schönschreibekunst zu üben, und der gelehrte
Benedict nahm ein Exemplar der Moskaner Ausgabe beider Testamente (heraus¬
gegeben und den Griechen geschenkt von den berühmten Gebrüdern Zosimati),
verglich es mit den alten und reinigte es auf diese Weise von vielen Irr¬
thümern, worauf er es mir zum Abschreiben aushändigte. Nachdem ich so
beide Testamente fehlerfrei empfangen (nur die alte Schreibweise war un¬
verändert beibehalten), suchte ich mir, da es an Pergament mangelte, mit Be-
nedicts Erlaubniß aus der Bibliothek des Klosters einen sehr dickleibigen, alter¬
thümlich gebundenen Band heraus, der fast ganz ohne Schrift und dessen Per-
gament außerordentlich rein und schön gearbeitet war. Derselbe war offenbar
vor vielen Jahrhunderten so zubereitet worden -- vermuthlich von dem Schrei-
ber oder dem Vorsteher des Klosters, da er die Ueberschrift S/^OI^O^V
/Z^W/'I'/^X<?^V (Sammlung von Lobgesängen) trug und außerdem eine kurze
Abhandlung enthielt, die stark von der Zeit gelitten hatte.

Ich nahm also Besitz von dem Buch und machte mir's zurecht, indem ich
das Blatt mit der Abhandlung herausschnitt und verschiedene andere von Zeit
und Motten beschädigte entfernte, worauf ich an meine Aufgabe ging. Zuerst
schrieb ich das Alte und das Neue Testament ab, dann die Epistel des Barna¬
bas und den ersten Theil der Pastoralschriften des Hermas, und zwar in Un-


er behauptete, besagte Handschrift sei keineswegs ein Wer? urchristlicher Zeit,
sondern von ihm, .Konstantin Simonides, selbst erst vor einigen Jahren an¬
gefertigt. Er erzählt:

„Gegen das Ende des Jahres 1839 wünschte der ehrwürdige Benedict,
mein Oheim, geistliches Haupt des Klosters des heiligen Märtyrers Pantelimon
auf dem Berg Athos, dem Kaiser Nikolaus dem Ersten von Nußland in dank¬
barer Anerkennung der Geschenke, die von Zeit zu Zeit dem Kloster des Mär¬
tyrers dargeboten worden waren, irgend eine Gabe vom heiligen Berge zu
verehren. Da er nichts besaß, was er für annehmbar erachtete, berieth er sich
mit dem Herold Prokopius und dem russischen Mönch Paul, und sie entschieden
sich für eine Abschrift des Alten und Neuen Testaments, geschrieben nach
alterthümlicher Weise in Anfangsbuchstaben und auf Pergament. Dies, zu¬
sammen mit den Ueberresten der sieben apostolischen Väter — Barnabas, Her-
mas, Clemens, Bischof von Rom, Ignatius, Polykarp, Papias und Diony«
sins Arevpagita — sollte nach ihrem Vorschlag in Gold gebunden und dem
Kaiser durch einen gemeinsamen Freund überreicht werden. Dionysius, der
eigentliche Schönschreiber des Klosters, wurde gebeten, die Arbeit zu unter¬
nehmen, lehnte jedoch die Aufgabe als allzuschwierig ab. Infolge dessen ent¬
schloß ich selbst mich, an das Werk zu gehen, namentlich da mein verehrter
Oheim es lebhaft zu wünschen schien. Nachdem ich dann die wichtigsten der
auf dem Berg Athos verwahrten Copien der heiligen Schrift untersucht hatte,
begann ich mich in den Regeln der Schönschreibekunst zu üben, und der gelehrte
Benedict nahm ein Exemplar der Moskaner Ausgabe beider Testamente (heraus¬
gegeben und den Griechen geschenkt von den berühmten Gebrüdern Zosimati),
verglich es mit den alten und reinigte es auf diese Weise von vielen Irr¬
thümern, worauf er es mir zum Abschreiben aushändigte. Nachdem ich so
beide Testamente fehlerfrei empfangen (nur die alte Schreibweise war un¬
verändert beibehalten), suchte ich mir, da es an Pergament mangelte, mit Be-
nedicts Erlaubniß aus der Bibliothek des Klosters einen sehr dickleibigen, alter¬
thümlich gebundenen Band heraus, der fast ganz ohne Schrift und dessen Per-
gament außerordentlich rein und schön gearbeitet war. Derselbe war offenbar
vor vielen Jahrhunderten so zubereitet worden — vermuthlich von dem Schrei-
ber oder dem Vorsteher des Klosters, da er die Ueberschrift S/^OI^O^V
/Z^W/'I'/^X<?^V (Sammlung von Lobgesängen) trug und außerdem eine kurze
Abhandlung enthielt, die stark von der Zeit gelitten hatte.

Ich nahm also Besitz von dem Buch und machte mir's zurecht, indem ich
das Blatt mit der Abhandlung herausschnitt und verschiedene andere von Zeit
und Motten beschädigte entfernte, worauf ich an meine Aufgabe ging. Zuerst
schrieb ich das Alte und das Neue Testament ab, dann die Epistel des Barna¬
bas und den ersten Theil der Pastoralschriften des Hermas, und zwar in Un-


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[0214] er behauptete, besagte Handschrift sei keineswegs ein Wer? urchristlicher Zeit, sondern von ihm, .Konstantin Simonides, selbst erst vor einigen Jahren an¬ gefertigt. Er erzählt: „Gegen das Ende des Jahres 1839 wünschte der ehrwürdige Benedict, mein Oheim, geistliches Haupt des Klosters des heiligen Märtyrers Pantelimon auf dem Berg Athos, dem Kaiser Nikolaus dem Ersten von Nußland in dank¬ barer Anerkennung der Geschenke, die von Zeit zu Zeit dem Kloster des Mär¬ tyrers dargeboten worden waren, irgend eine Gabe vom heiligen Berge zu verehren. Da er nichts besaß, was er für annehmbar erachtete, berieth er sich mit dem Herold Prokopius und dem russischen Mönch Paul, und sie entschieden sich für eine Abschrift des Alten und Neuen Testaments, geschrieben nach alterthümlicher Weise in Anfangsbuchstaben und auf Pergament. Dies, zu¬ sammen mit den Ueberresten der sieben apostolischen Väter — Barnabas, Her- mas, Clemens, Bischof von Rom, Ignatius, Polykarp, Papias und Diony« sins Arevpagita — sollte nach ihrem Vorschlag in Gold gebunden und dem Kaiser durch einen gemeinsamen Freund überreicht werden. Dionysius, der eigentliche Schönschreiber des Klosters, wurde gebeten, die Arbeit zu unter¬ nehmen, lehnte jedoch die Aufgabe als allzuschwierig ab. Infolge dessen ent¬ schloß ich selbst mich, an das Werk zu gehen, namentlich da mein verehrter Oheim es lebhaft zu wünschen schien. Nachdem ich dann die wichtigsten der auf dem Berg Athos verwahrten Copien der heiligen Schrift untersucht hatte, begann ich mich in den Regeln der Schönschreibekunst zu üben, und der gelehrte Benedict nahm ein Exemplar der Moskaner Ausgabe beider Testamente (heraus¬ gegeben und den Griechen geschenkt von den berühmten Gebrüdern Zosimati), verglich es mit den alten und reinigte es auf diese Weise von vielen Irr¬ thümern, worauf er es mir zum Abschreiben aushändigte. Nachdem ich so beide Testamente fehlerfrei empfangen (nur die alte Schreibweise war un¬ verändert beibehalten), suchte ich mir, da es an Pergament mangelte, mit Be- nedicts Erlaubniß aus der Bibliothek des Klosters einen sehr dickleibigen, alter¬ thümlich gebundenen Band heraus, der fast ganz ohne Schrift und dessen Per- gament außerordentlich rein und schön gearbeitet war. Derselbe war offenbar vor vielen Jahrhunderten so zubereitet worden — vermuthlich von dem Schrei- ber oder dem Vorsteher des Klosters, da er die Ueberschrift S/^OI^O^V /Z^W/'I'/^X<?^V (Sammlung von Lobgesängen) trug und außerdem eine kurze Abhandlung enthielt, die stark von der Zeit gelitten hatte. Ich nahm also Besitz von dem Buch und machte mir's zurecht, indem ich das Blatt mit der Abhandlung herausschnitt und verschiedene andere von Zeit und Motten beschädigte entfernte, worauf ich an meine Aufgabe ging. Zuerst schrieb ich das Alte und das Neue Testament ab, dann die Epistel des Barna¬ bas und den ersten Theil der Pastoralschriften des Hermas, und zwar in Un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/214>, abgerufen am 22.11.2024.