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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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vorgekommenen Fall mit, daß ein Gutsbesitzer in einem Dorfe, wo vor siebzig
Jahren noch sieben Bauern sich befanden, jetzt aber nur noch drei übrig sind,
auch von diesen dreien nun noch zweien gekündigt habe. Das Gericht, bei welchem
von den gekündigten Bauern Klage erhoben war, hatte die Kündigung für
gerechtfertigt erklärt, indem es dem neuen Gesetz die Auslegung gab. daß es
das Kündigungsrecht des Gutsherrn nur in Ansehung der s. g. regulirten
Bauern aufhebe, d. h. derjenigen Bauern, deren Verhältnisse zum Gutsherrn durch
landesherrlich sanctionirte Contracte festgestellt sind. Herr Pogge erklärte, daß
diese Beschränkung auf die regulirten Bauern nicht in der Intention des vori¬
gen Landtags gelegen habe und forderte, daß dies nachträglich erklärt werde.
Bürgermeister Drechsler von Parchim stimmte ihm bei und bemerkte: wenn
man das Gesetz anders auslege, so seien die Bauern, deren Lage durch
das Gesetz habe sicherer werden sollen, noch übler daran als vorher. Denn
jetzt werde aus dem Gesetz gefolgert, daß alle nicht regulirten Bauern ge¬
kündigt werden könnten, was sonst doch von der Regierung nicht anerkannt
worden sei. Die Herren Pogge und Hillmann stellten im weitern Verlauf der
Verhandlung einen ausführlich motivirten Antrag aus Declaration des Gesetzes.
Sie sagen darin: "Bis dahin waren die gutsherrüchen Befugnisse über die
Bauern unklar und bestritten, und es scheute sich namentlich in den letzten
Decennien jeder Grundbesitzer, an ihrem Besitzstand zu rütteln. Der Bauer
fand gewissermaßen darin einen Schutz. So wie aber die Befugniß der Los¬
kündigung gesetzlich und gerichtlich festgestellt wird, so ist mit einem Schlage
der Besitzstand der sämmtlichen oben bezeichneten nicht regulirten Bauern in
einen solchen Zustand der Rechtlosigkeit und Abhängigkeit versetzt, daß der
Bauer rein von der Gnade und dem Wohlwollen seines Grundherrn abhängt."
Die Folge solcher Unsicherheit werde sein, daß der Bauer auf möglichste Aus¬
nutzung und Aussaugung seines Bodens sinnen und kein Interesse an Melio¬
rationen haben werde. -- Der Adel widersetzte sich aber diesem Antrage. Er wollte
das Gesetz so behalten wie es ist, und das Einzige, was Herr Pogge durchzusetzen
vermochte, war der Beschluß, daß der Engere Ausschuß über diese Sache zum
nächsten Landtage berichten solle.

Den bäuerlichen Erbpächtern in den Gütern der drei Landesklöster ist nach
der Hhpvthckcnordnung für die von diesen Klöstern in Erbpacht gegebenen
Grundstücke vom 8. Dec. 18S2 die hypothekarische Belastung ihrer Grundstücke
nur bis zur Hälfte des vor Jahrzehnten festgestellten Taxwerthes gestattet. Da
der Bodenwerth seitdem bedeutend gestiegen ist, so war es ein vollkommen be¬
gründetes Verlangen, wenn die Erbpächter der Klöster Malchow und Ribnitz
um eine Aenderung dieser Verhältnisse petitionirten. Sie waren aber dabei so
bescheiden, daß sie gar nicht um die unbeschränkte Freiheit der Eintragung nach¬
suchten, sondern unter Beibehaltung der Hälfte des Taxwerthcs als Maximum


vorgekommenen Fall mit, daß ein Gutsbesitzer in einem Dorfe, wo vor siebzig
Jahren noch sieben Bauern sich befanden, jetzt aber nur noch drei übrig sind,
auch von diesen dreien nun noch zweien gekündigt habe. Das Gericht, bei welchem
von den gekündigten Bauern Klage erhoben war, hatte die Kündigung für
gerechtfertigt erklärt, indem es dem neuen Gesetz die Auslegung gab. daß es
das Kündigungsrecht des Gutsherrn nur in Ansehung der s. g. regulirten
Bauern aufhebe, d. h. derjenigen Bauern, deren Verhältnisse zum Gutsherrn durch
landesherrlich sanctionirte Contracte festgestellt sind. Herr Pogge erklärte, daß
diese Beschränkung auf die regulirten Bauern nicht in der Intention des vori¬
gen Landtags gelegen habe und forderte, daß dies nachträglich erklärt werde.
Bürgermeister Drechsler von Parchim stimmte ihm bei und bemerkte: wenn
man das Gesetz anders auslege, so seien die Bauern, deren Lage durch
das Gesetz habe sicherer werden sollen, noch übler daran als vorher. Denn
jetzt werde aus dem Gesetz gefolgert, daß alle nicht regulirten Bauern ge¬
kündigt werden könnten, was sonst doch von der Regierung nicht anerkannt
worden sei. Die Herren Pogge und Hillmann stellten im weitern Verlauf der
Verhandlung einen ausführlich motivirten Antrag aus Declaration des Gesetzes.
Sie sagen darin: „Bis dahin waren die gutsherrüchen Befugnisse über die
Bauern unklar und bestritten, und es scheute sich namentlich in den letzten
Decennien jeder Grundbesitzer, an ihrem Besitzstand zu rütteln. Der Bauer
fand gewissermaßen darin einen Schutz. So wie aber die Befugniß der Los¬
kündigung gesetzlich und gerichtlich festgestellt wird, so ist mit einem Schlage
der Besitzstand der sämmtlichen oben bezeichneten nicht regulirten Bauern in
einen solchen Zustand der Rechtlosigkeit und Abhängigkeit versetzt, daß der
Bauer rein von der Gnade und dem Wohlwollen seines Grundherrn abhängt."
Die Folge solcher Unsicherheit werde sein, daß der Bauer auf möglichste Aus¬
nutzung und Aussaugung seines Bodens sinnen und kein Interesse an Melio¬
rationen haben werde. — Der Adel widersetzte sich aber diesem Antrage. Er wollte
das Gesetz so behalten wie es ist, und das Einzige, was Herr Pogge durchzusetzen
vermochte, war der Beschluß, daß der Engere Ausschuß über diese Sache zum
nächsten Landtage berichten solle.

Den bäuerlichen Erbpächtern in den Gütern der drei Landesklöster ist nach
der Hhpvthckcnordnung für die von diesen Klöstern in Erbpacht gegebenen
Grundstücke vom 8. Dec. 18S2 die hypothekarische Belastung ihrer Grundstücke
nur bis zur Hälfte des vor Jahrzehnten festgestellten Taxwerthes gestattet. Da
der Bodenwerth seitdem bedeutend gestiegen ist, so war es ein vollkommen be¬
gründetes Verlangen, wenn die Erbpächter der Klöster Malchow und Ribnitz
um eine Aenderung dieser Verhältnisse petitionirten. Sie waren aber dabei so
bescheiden, daß sie gar nicht um die unbeschränkte Freiheit der Eintragung nach¬
suchten, sondern unter Beibehaltung der Hälfte des Taxwerthcs als Maximum


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[0196] vorgekommenen Fall mit, daß ein Gutsbesitzer in einem Dorfe, wo vor siebzig Jahren noch sieben Bauern sich befanden, jetzt aber nur noch drei übrig sind, auch von diesen dreien nun noch zweien gekündigt habe. Das Gericht, bei welchem von den gekündigten Bauern Klage erhoben war, hatte die Kündigung für gerechtfertigt erklärt, indem es dem neuen Gesetz die Auslegung gab. daß es das Kündigungsrecht des Gutsherrn nur in Ansehung der s. g. regulirten Bauern aufhebe, d. h. derjenigen Bauern, deren Verhältnisse zum Gutsherrn durch landesherrlich sanctionirte Contracte festgestellt sind. Herr Pogge erklärte, daß diese Beschränkung auf die regulirten Bauern nicht in der Intention des vori¬ gen Landtags gelegen habe und forderte, daß dies nachträglich erklärt werde. Bürgermeister Drechsler von Parchim stimmte ihm bei und bemerkte: wenn man das Gesetz anders auslege, so seien die Bauern, deren Lage durch das Gesetz habe sicherer werden sollen, noch übler daran als vorher. Denn jetzt werde aus dem Gesetz gefolgert, daß alle nicht regulirten Bauern ge¬ kündigt werden könnten, was sonst doch von der Regierung nicht anerkannt worden sei. Die Herren Pogge und Hillmann stellten im weitern Verlauf der Verhandlung einen ausführlich motivirten Antrag aus Declaration des Gesetzes. Sie sagen darin: „Bis dahin waren die gutsherrüchen Befugnisse über die Bauern unklar und bestritten, und es scheute sich namentlich in den letzten Decennien jeder Grundbesitzer, an ihrem Besitzstand zu rütteln. Der Bauer fand gewissermaßen darin einen Schutz. So wie aber die Befugniß der Los¬ kündigung gesetzlich und gerichtlich festgestellt wird, so ist mit einem Schlage der Besitzstand der sämmtlichen oben bezeichneten nicht regulirten Bauern in einen solchen Zustand der Rechtlosigkeit und Abhängigkeit versetzt, daß der Bauer rein von der Gnade und dem Wohlwollen seines Grundherrn abhängt." Die Folge solcher Unsicherheit werde sein, daß der Bauer auf möglichste Aus¬ nutzung und Aussaugung seines Bodens sinnen und kein Interesse an Melio¬ rationen haben werde. — Der Adel widersetzte sich aber diesem Antrage. Er wollte das Gesetz so behalten wie es ist, und das Einzige, was Herr Pogge durchzusetzen vermochte, war der Beschluß, daß der Engere Ausschuß über diese Sache zum nächsten Landtage berichten solle. Den bäuerlichen Erbpächtern in den Gütern der drei Landesklöster ist nach der Hhpvthckcnordnung für die von diesen Klöstern in Erbpacht gegebenen Grundstücke vom 8. Dec. 18S2 die hypothekarische Belastung ihrer Grundstücke nur bis zur Hälfte des vor Jahrzehnten festgestellten Taxwerthes gestattet. Da der Bodenwerth seitdem bedeutend gestiegen ist, so war es ein vollkommen be¬ gründetes Verlangen, wenn die Erbpächter der Klöster Malchow und Ribnitz um eine Aenderung dieser Verhältnisse petitionirten. Sie waren aber dabei so bescheiden, daß sie gar nicht um die unbeschränkte Freiheit der Eintragung nach¬ suchten, sondern unter Beibehaltung der Hälfte des Taxwerthcs als Maximum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/196>, abgerufen am 24.11.2024.