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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Nun ziehen die Landleute nach Hause -- einzelne sammeln sich wohl noch
in den Wirthshäusern -- die Krämer räumen weg und packen ein; denn es
geht noch diese Nacht auf einen andern Markt. Wir haben Zeit, uns unter
dem Volte umzusehen. Der Ungarwein für Edele. der Branntwein für den
Geringen sind noch immer psstis xoloiiieg., wenn auch die schöne Zeit vorüber
ist, wo Fürst Stanislaus Poniatowski den ersten Champagner, wie Moses
das gelobte Land, "von fern sah". Er hatte einen Korb mit einem Dutzend
Flaschen von dem Banquier Tepper in Warschau geschenkt erhalten und bat,
während er badete, seinen Liebling Komarzewski: koste diese Neuigkeit, ob sie
unserm Adel munden wird. Der brachte nach einer kleinen Stunde Rapport:
leicht und schmackhaft. Darauf wurden Gäste geladen; sie mußten aber mit
dem Nativnaltrank vorlieb nehmen; denn den zwölf Franzosen hatte Komar¬
zewski beim Kosten den Hals gebrochen.

Ja, es wird noch stark getrunken, und die Wodka steht, wie ich schon oben
gesagt, noch immer in hohen Ehren beim Volke. Auch als Heilmittel: "Schnaps
mit Haferfeld" bei Entzündungen, Schnaps und Pfeffer bei Erkältungen. Das
war freilich eine deutsche evangelische Frau, welche am 27. November 1862
beim Pfarrer erschien. Ihr dreijähriges Kind lebt, "weil es so krank ist",
schon seit drei Wochen nur noch von Schnaps; aber "es geschonte immer mehr".
Sie will es also jetzt mit Kirchwein versuchen. Die. junge Frau Pastorin ent¬
setzt sich, aber der Hausarzt sagt ihr, das sei nichts Unerhörtes.

Indessen wird es in diesem Punkte langsam besser. Die Hauptsache hat
die Befreiung der Bauern und die Gemeinhcitstheilung gethan, durch welche
die preußische Negierung den polnischen Landmann zum Menschen gemacht
-- seien Sie ja nicht bös, Herr Dr-. Metzig -- und aus den Weg zu sicherem
Wohlstand geführt hat. Aber auch den Geistlichen gebührt einiges Verdienst
an der Sache und den Frauen. Wir sehen allsvnn- und werktäglich solche,
welche ihre Männer heimholen und zur Arbeit des nächsten Tages geschickt
machen.

Wer auf das eheliche Verhältniß des Polen nach seinen Sprüchwörtern
schließen wollte, der hätte nicht viel zu erwarten: Es klingt nicht hübsch, wenn
man hört: u, dürfen g'wo <llusie vvios^a, ro^um KrötKi (Weiber haben lange
Haare und kurzen Verstand), Ktörs, e-sM, 6z>loof>, MÄÄe ütH r-AäKo enot-
Iws, byelsiö (Welche liest, singt, spielt, für Tugend selten fühlt), oder gar:
vrWolr, swccktis/, nisviastg. Muya Ko-ölalwm S^q, nie clodreZo nie e?Mi-j,
Kieäz^ ielr nie lAr. (Nüsse, Stockfische und Frauen find erst gut, wenn sie ge>
klopft sind), und vollends: KW xije, wir t^e, KW ung.se, bMg. i-äröv, KW
dije /on-s, be^le /bkn-ion (Wer trinkt, wird rund, wer liebt gesund, wer
sein Weib schlägt, selig). Die Praxis ist indeß besser als die Theorie. Der
Stock hat bei ihren polnischen Schwestern nicht mehr Arbeit als bei den Deut-


Nun ziehen die Landleute nach Hause — einzelne sammeln sich wohl noch
in den Wirthshäusern — die Krämer räumen weg und packen ein; denn es
geht noch diese Nacht auf einen andern Markt. Wir haben Zeit, uns unter
dem Volte umzusehen. Der Ungarwein für Edele. der Branntwein für den
Geringen sind noch immer psstis xoloiiieg., wenn auch die schöne Zeit vorüber
ist, wo Fürst Stanislaus Poniatowski den ersten Champagner, wie Moses
das gelobte Land, „von fern sah". Er hatte einen Korb mit einem Dutzend
Flaschen von dem Banquier Tepper in Warschau geschenkt erhalten und bat,
während er badete, seinen Liebling Komarzewski: koste diese Neuigkeit, ob sie
unserm Adel munden wird. Der brachte nach einer kleinen Stunde Rapport:
leicht und schmackhaft. Darauf wurden Gäste geladen; sie mußten aber mit
dem Nativnaltrank vorlieb nehmen; denn den zwölf Franzosen hatte Komar¬
zewski beim Kosten den Hals gebrochen.

Ja, es wird noch stark getrunken, und die Wodka steht, wie ich schon oben
gesagt, noch immer in hohen Ehren beim Volke. Auch als Heilmittel: „Schnaps
mit Haferfeld" bei Entzündungen, Schnaps und Pfeffer bei Erkältungen. Das
war freilich eine deutsche evangelische Frau, welche am 27. November 1862
beim Pfarrer erschien. Ihr dreijähriges Kind lebt, „weil es so krank ist",
schon seit drei Wochen nur noch von Schnaps; aber „es geschonte immer mehr".
Sie will es also jetzt mit Kirchwein versuchen. Die. junge Frau Pastorin ent¬
setzt sich, aber der Hausarzt sagt ihr, das sei nichts Unerhörtes.

Indessen wird es in diesem Punkte langsam besser. Die Hauptsache hat
die Befreiung der Bauern und die Gemeinhcitstheilung gethan, durch welche
die preußische Negierung den polnischen Landmann zum Menschen gemacht
— seien Sie ja nicht bös, Herr Dr-. Metzig — und aus den Weg zu sicherem
Wohlstand geführt hat. Aber auch den Geistlichen gebührt einiges Verdienst
an der Sache und den Frauen. Wir sehen allsvnn- und werktäglich solche,
welche ihre Männer heimholen und zur Arbeit des nächsten Tages geschickt
machen.

Wer auf das eheliche Verhältniß des Polen nach seinen Sprüchwörtern
schließen wollte, der hätte nicht viel zu erwarten: Es klingt nicht hübsch, wenn
man hört: u, dürfen g'wo <llusie vvios^a, ro^um KrötKi (Weiber haben lange
Haare und kurzen Verstand), Ktörs, e-sM, 6z>loof>, MÄÄe ütH r-AäKo enot-
Iws, byelsiö (Welche liest, singt, spielt, für Tugend selten fühlt), oder gar:
vrWolr, swccktis/, nisviastg. Muya Ko-ölalwm S^q, nie clodreZo nie e?Mi-j,
Kieäz^ ielr nie lAr. (Nüsse, Stockfische und Frauen find erst gut, wenn sie ge>
klopft sind), und vollends: KW xije, wir t^e, KW ung.se, bMg. i-äröv, KW
dije /on-s, be^le /bkn-ion (Wer trinkt, wird rund, wer liebt gesund, wer
sein Weib schlägt, selig). Die Praxis ist indeß besser als die Theorie. Der
Stock hat bei ihren polnischen Schwestern nicht mehr Arbeit als bei den Deut-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/184>, abgerufen am 25.11.2024.