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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Noch schlimmer ist der Neid -- das ist das rechte Wort -- gegen die ar¬
beitenden Leute. Nichts weniger als vereinzelt steht folgender Fall da. Herr v. D.
auf W. hatte von seinen Gütern einen ganz unverhältnismäßig geringen Rein¬
gewinn, circa 3,000 Thlr. jährlich. Er entschloß sich, einen deutschen Ober-
inspector anzunehmen und versprach diesem Deputat, 200 Thlr. Gehalt, Tan¬
tieme von demjenigen Reinertrag der Herrschaft, der 8,000 Thlr. überschritte.
Nach drei Jahren wurde der Inspector entlassen, weil Herrn v. D. die Tan-
tieme zu theuer kam. -- Derselbe Fall kam in einem Nachbarkreise im folgen¬
den Jahre vor. Anderswo nahm daS Kreisgericht beim Erkenntniß wider
einen diebischen Format (Pferdeknecht) als Milderungsgrund an, daß er bei
seinem kärglichen Lohne stehlen müsse, um zu leben.

Der Graf v. Mielzynski auf Baszkow hatte seinen Bauern 1848 ihre
Abgaben für alle Zeiten erlassen. Sobald wieder Ruhe und Frieden war, nahm
er die Schenkung zurück, und es fanden, da die Bauern natürlich die Zahlungen
weigerten, zahlreiche Processe statt. Das Kreisgcricht zu Krotoschin sah sich der
daraus erwachsenden Arbeit wegen genöthigt, die Formulare zu Hunderten von
gleichlautenden Erkenntniß drucken zu lassen.

, Mit seinem stattlichen Viergeschirr, das ihm noch etwas über die polnische
Freiheit geht und seiner freien stolzen Frau fuhr Herr v. D. Weihnachten
1861 nach Posen. Die Packwagen enthielten auch Bouillvntafeln für die Wind
spiele; aber der Inspector war nicht in den Stand gesetzt, den Dienstleuten
Holz und Tagelohn im Weihnachtsmonat rechtzeitig zu gewähren.

Wie gerecht ist die Sehnsucht dieses Herrn nach den polskis o^as^, wo
allerdings der Grundbesitz seines Vaters dreimal so groß war als jetzt der sei¬
nige, und wo es noch keine freien Bauern gab; wie gerecht sein Haß gegen die
I'orusKik e^sx, die allein an seinem Herunterkommen schuld sind, weil sie al¬
len Wohlstand von Gesetz und Ordnung, Fleiß und Mäßigkeit abhängig ma¬
chen. Der Bauer freilich denkt anders von den Dingen. Zeuge der alte
Mann, welcher 1848, als ein adeliger Freiheitsapostel in den Krug kam, um
für die 6^na I>o1sKa, zu begeistern, an diesen herantrat, sein nach Landessitte
"uf dem Rücken zugeknöpftes Hemde öffnete und mit den Worten: r!/<Ku^
MlU lüg, VASM nowv66 (ich danke, Herr, für Eure Freiheit) die vielen Nar-
ben der Wunden zeigte, die ihm einst der "freie" Kurbacz des Wojr geschlagen
hatte. -- Zeuge der Bauer Pruszak in Dußnik, welcher ebendamals seinen
Landsleuten zurief: "Nicht eher wird in Polen Ruhe werden, bevor nicht alle
Edelleute hängen."

Das getreue Echo dieser Zuneigung zu dem Adel melden die<demokratischen
Blätter. S^IirelrtÄ ,j"8t äomov^in wrttMiri pijqeim I/)' i Krev wein, Ktory
nHpriM upri-ittnion^in i z-g-maxn^in b^öMmieu schrieb der 6KoImK voller",!-
am 20. August 18S9. "Der Adel ist der Feind des Volkes, der die Thrä-
"


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Noch schlimmer ist der Neid — das ist das rechte Wort — gegen die ar¬
beitenden Leute. Nichts weniger als vereinzelt steht folgender Fall da. Herr v. D.
auf W. hatte von seinen Gütern einen ganz unverhältnismäßig geringen Rein¬
gewinn, circa 3,000 Thlr. jährlich. Er entschloß sich, einen deutschen Ober-
inspector anzunehmen und versprach diesem Deputat, 200 Thlr. Gehalt, Tan¬
tieme von demjenigen Reinertrag der Herrschaft, der 8,000 Thlr. überschritte.
Nach drei Jahren wurde der Inspector entlassen, weil Herrn v. D. die Tan-
tieme zu theuer kam. — Derselbe Fall kam in einem Nachbarkreise im folgen¬
den Jahre vor. Anderswo nahm daS Kreisgericht beim Erkenntniß wider
einen diebischen Format (Pferdeknecht) als Milderungsgrund an, daß er bei
seinem kärglichen Lohne stehlen müsse, um zu leben.

Der Graf v. Mielzynski auf Baszkow hatte seinen Bauern 1848 ihre
Abgaben für alle Zeiten erlassen. Sobald wieder Ruhe und Frieden war, nahm
er die Schenkung zurück, und es fanden, da die Bauern natürlich die Zahlungen
weigerten, zahlreiche Processe statt. Das Kreisgcricht zu Krotoschin sah sich der
daraus erwachsenden Arbeit wegen genöthigt, die Formulare zu Hunderten von
gleichlautenden Erkenntniß drucken zu lassen.

, Mit seinem stattlichen Viergeschirr, das ihm noch etwas über die polnische
Freiheit geht und seiner freien stolzen Frau fuhr Herr v. D. Weihnachten
1861 nach Posen. Die Packwagen enthielten auch Bouillvntafeln für die Wind
spiele; aber der Inspector war nicht in den Stand gesetzt, den Dienstleuten
Holz und Tagelohn im Weihnachtsmonat rechtzeitig zu gewähren.

Wie gerecht ist die Sehnsucht dieses Herrn nach den polskis o^as^, wo
allerdings der Grundbesitz seines Vaters dreimal so groß war als jetzt der sei¬
nige, und wo es noch keine freien Bauern gab; wie gerecht sein Haß gegen die
I'orusKik e^sx, die allein an seinem Herunterkommen schuld sind, weil sie al¬
len Wohlstand von Gesetz und Ordnung, Fleiß und Mäßigkeit abhängig ma¬
chen. Der Bauer freilich denkt anders von den Dingen. Zeuge der alte
Mann, welcher 1848, als ein adeliger Freiheitsapostel in den Krug kam, um
für die 6^na I>o1sKa, zu begeistern, an diesen herantrat, sein nach Landessitte
"uf dem Rücken zugeknöpftes Hemde öffnete und mit den Worten: r!/<Ku^
MlU lüg, VASM nowv66 (ich danke, Herr, für Eure Freiheit) die vielen Nar-
ben der Wunden zeigte, die ihm einst der „freie" Kurbacz des Wojr geschlagen
hatte. — Zeuge der Bauer Pruszak in Dußnik, welcher ebendamals seinen
Landsleuten zurief: „Nicht eher wird in Polen Ruhe werden, bevor nicht alle
Edelleute hängen."

Das getreue Echo dieser Zuneigung zu dem Adel melden die<demokratischen
Blätter. S^IirelrtÄ ,j«8t äomov^in wrttMiri pijqeim I/)' i Krev wein, Ktory
nHpriM upri-ittnion^in i z-g-maxn^in b^öMmieu schrieb der 6KoImK voller«,!-
am 20. August 18S9. „Der Adel ist der Feind des Volkes, der die Thrä-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/179>, abgerufen am 26.11.2024.