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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Und nun kommen Sie zu demselben ländlichen Feste bei einer guten Herr¬
schaft, Da ist ein Erntezug, wie ihn der Dichter der Glocke im Sinne hatte.
Vier mächtige Ochsen, mit Kränzen geschmückt, führen den ersten Wagen mit
den Vormahdern, dann ein langer, heitrer Zug. Von den verschiedenen Vor¬
werken treffen sie gleichzeitig aus dem Dominium ein. Es empfängt sie ein
weiter offener Platz. Da stehen die Kletterstangen mit Fahnen und Bändern,
da sind Preise für den Wettlauf -- kurz da ist es,' wie in unsrer deutsche"
Heimath.

"Ich kann Ihnen das Gegenbild zu dem geben, was Sie über den Besitzer
von K. und die Besten unter seinen Landsleuten erzählt haben," hob ein älterer
polnischer Herr an, der mit uns fuhr. "Sie meinen den Grafen Stanislaw
v. Myciclski aus Dembno, ^eriow und Chrzan, der soeben seine Herrschaft
wie sie steht und liegt zweien Pleschner Juden verkauft und nichts nach Russisch-
Polen mitgenommen hat, als das Bewußtsein, die meisten seiner Gläubiger
befriedigt zu haben?"

"Nicht den," sagte der Alte, und erhob nun sein Klagelied über einen Ma¬
gnaten, dessen Pächter er gewesen war, und bei dessen Concurse er seine Kau¬
tion, sein ganzes kleines Vermögen verloren hatte.

"Konnte ich denn dem Besitzer einer Herrschaft, die mehr als eine
Million im Werth hatte, zumuthen, meine Paar Groschen hypothekarisch zu
sichern? Würde er mich nicht durch seine Diener haben hinauswerfen lassen?
In dem letzten Decennium ging es schon drunter und drüber, und man erzählt
die wunderlichsten Dinge davon. Die ganze Herrschaft lag in den Händen von
Beamten, welche längst schon keinen Lohn mehr empfingen und dennoch Ver¬
mögen sammelten. Einer derselben soll bei Gelegenheit eines Schafhandcls
einem schlesischen Edelmann ausgeplaudert haben, aus welchen Quellen dieses
Vermögen flösse. Voll Entrüstung machte dieser dem Grafen brieflich Ent¬
hüllungen. Ein Jahr später traf der nämliche Inspector wieder bei seinem
Denuncianten ein, Schase zu laufen. Er hatte die Kündigung mit der Liqui¬
dation seiner rückständigen Forderung beantwortet. Ehe die Mittel da waren,
diese zu befriedigen, war der Graf längst wieder auf Reisen. Einmal brachte
ich meine Pacht auf das Schloß. Der Herr war daheim; natürlich hatte er
das Haus voll Gäste, Professoren -- (hier bekanntlich der Ausdruck für Gym¬
nasiallehrer) aus Breslau, Posen u. s. f. Wir gingen zur Tafel. Es waren
vielleicht fünfzehn Personen, die auf das Ausgesuchteste bewirthet wurden.
In dem anstoßenden Saale war ein zweiter Tisch gedeckt. An diesem speisten
die Kinder und deren Lehrer und Bonnen, auch einige Emigranten, während
die Vornehmeren derselben mit uns schmausten und zechten. Es folgte ein
drittes Speisezimmer für die vornehmeren Hausofficianten. Und nun rechnen,
Sie einmal hinzu, was für eine solche Gesellschaft für niedre Dienerschaft in


Und nun kommen Sie zu demselben ländlichen Feste bei einer guten Herr¬
schaft, Da ist ein Erntezug, wie ihn der Dichter der Glocke im Sinne hatte.
Vier mächtige Ochsen, mit Kränzen geschmückt, führen den ersten Wagen mit
den Vormahdern, dann ein langer, heitrer Zug. Von den verschiedenen Vor¬
werken treffen sie gleichzeitig aus dem Dominium ein. Es empfängt sie ein
weiter offener Platz. Da stehen die Kletterstangen mit Fahnen und Bändern,
da sind Preise für den Wettlauf — kurz da ist es,' wie in unsrer deutsche»
Heimath.

„Ich kann Ihnen das Gegenbild zu dem geben, was Sie über den Besitzer
von K. und die Besten unter seinen Landsleuten erzählt haben," hob ein älterer
polnischer Herr an, der mit uns fuhr. „Sie meinen den Grafen Stanislaw
v. Myciclski aus Dembno, ^eriow und Chrzan, der soeben seine Herrschaft
wie sie steht und liegt zweien Pleschner Juden verkauft und nichts nach Russisch-
Polen mitgenommen hat, als das Bewußtsein, die meisten seiner Gläubiger
befriedigt zu haben?"

„Nicht den," sagte der Alte, und erhob nun sein Klagelied über einen Ma¬
gnaten, dessen Pächter er gewesen war, und bei dessen Concurse er seine Kau¬
tion, sein ganzes kleines Vermögen verloren hatte.

„Konnte ich denn dem Besitzer einer Herrschaft, die mehr als eine
Million im Werth hatte, zumuthen, meine Paar Groschen hypothekarisch zu
sichern? Würde er mich nicht durch seine Diener haben hinauswerfen lassen?
In dem letzten Decennium ging es schon drunter und drüber, und man erzählt
die wunderlichsten Dinge davon. Die ganze Herrschaft lag in den Händen von
Beamten, welche längst schon keinen Lohn mehr empfingen und dennoch Ver¬
mögen sammelten. Einer derselben soll bei Gelegenheit eines Schafhandcls
einem schlesischen Edelmann ausgeplaudert haben, aus welchen Quellen dieses
Vermögen flösse. Voll Entrüstung machte dieser dem Grafen brieflich Ent¬
hüllungen. Ein Jahr später traf der nämliche Inspector wieder bei seinem
Denuncianten ein, Schase zu laufen. Er hatte die Kündigung mit der Liqui¬
dation seiner rückständigen Forderung beantwortet. Ehe die Mittel da waren,
diese zu befriedigen, war der Graf längst wieder auf Reisen. Einmal brachte
ich meine Pacht auf das Schloß. Der Herr war daheim; natürlich hatte er
das Haus voll Gäste, Professoren — (hier bekanntlich der Ausdruck für Gym¬
nasiallehrer) aus Breslau, Posen u. s. f. Wir gingen zur Tafel. Es waren
vielleicht fünfzehn Personen, die auf das Ausgesuchteste bewirthet wurden.
In dem anstoßenden Saale war ein zweiter Tisch gedeckt. An diesem speisten
die Kinder und deren Lehrer und Bonnen, auch einige Emigranten, während
die Vornehmeren derselben mit uns schmausten und zechten. Es folgte ein
drittes Speisezimmer für die vornehmeren Hausofficianten. Und nun rechnen,
Sie einmal hinzu, was für eine solche Gesellschaft für niedre Dienerschaft in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/176>, abgerufen am 26.11.2024.