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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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duch, so oft eine Bestimmung der Verfassungsurkunde oder auch der Reichsver¬
fassung in Frage kommt. Da erblicken wir serner Adolf Seeger, in schwäch¬
lichem Körper ein willensstarker Geist, der am frühsten und energischsten darauf
drang, daß die Würtenberger sich rückhaltlos der großen Nationalpartei an¬
schlössen, und der ebenso mit scharfer Logik die Gegner zu schlagen als mit ein¬
dringlichen Worten zum Herzen des Volks zu reden versteht, die Seele der na¬
tionalen Bewegung in Schwaben; neben ihm sein Bruder Ludwig Seeger, der
Uebersetzer Berangers, ein begabter, witziger Kopf, der, wenn er eine gute
Stunde hat, durch seine drastische, populäre, mit Humor und Sarkasmus ge¬
würzte Rede großen Eindruck hervorbringt. Neben ihm sei auch gleich ein an¬
derer Dichter und Uebersetzer genannt, der zugegen und gleichfalls warmer Freund
des Nationalvereins ist, Friedrich Notker, von dem nur Wenige wissen werden,
daß er in dem von Paul Pfizer im Jahre 1830 herausgegebenen "Brief¬
wechsel zweier Deutschen" der eine der beiden Briefsteller ist. Eine andere
Gruppe bildet sich um Julius Hölder, eine milde, gutmüthige, ächt schwäbische,
dabei tüchtig patriotische Natur, dem seit Schoders Tod die Führerschaft der
liberalen Partei unbestritten wäre, wenn seine Gewissenhaftigkeit mit einer
gleich großen Energie gepaart wäre. In seiner Nähe sitzt der Fabrikant
Dr. Ammermüller, der besonders um den gewerblichen Fortschritt des Landes
wohl verdient, in den Zollvereinswirrcn dagegen ein um so hartnäckigerer
Vertheidiger des Schutzes ist. wenn er auch nicht so weit geht wie Moritz
Mohl, der übrigens an dieser Versammlung so wenig, wie an allen ähnlichen,
sich betheiligt, und der -- von jeher eine Partei für sich -- vollends seit sei¬
nem Erscheinen auf dem Frankfurter Tag nicht mehr zur Partei gerechnet wer¬
den kann. Ein anderer Gegner des Handelsvertrags ist der heutige Vicepräsi-
dent, Fabrikant Deffner, unähnlich seinem Vater, der im Jahre 1833 fast der
einzige Abgeordnete von der liberalen Opposition war, der weiterblickend als
seine Gesinnungsgenossen dem Zollvereinsvertrag mit Preußen seine Zustimmung
gab. Aber auch Gustav Müller ist erschienen, das Mitglied des Handelstags¬
ausschusses, der soeben eine vielversprechende Agitation für den Handels¬
vertrag und die Erhaltung des Zollvereins in Schwaben ins Leben gerufen
hat. Eine weitere Gruppe endlich, die sichtlich zu großen Dingen sich rüstet
und auf welche heute vor Allem die Blicke gerichtet sind, hat sich dort um
Probst gebildet, den ultramontanen Demokraten, dem seine Vertheidigung des
Concordats noch heute unvergessen ist, und der gleichwohl als feiner, viel¬
gewandter Kopf und eleganter Redner bis heute zu den Zierden der Volks¬
partei gerechnet wurde. Mit der Glätte eines Aals wußte er sich bisher durch
großdeutsche und kleindeutsche Programme hindurchzuwinden und sich in allen
Lagern möglich zu machen; er war es, der hauptsächlich die Oestreicher zur
Theilnahme an der Weimarer Versammlung zu bewegen suchte und dann selbst


Grenzboten I. 1863. 2

duch, so oft eine Bestimmung der Verfassungsurkunde oder auch der Reichsver¬
fassung in Frage kommt. Da erblicken wir serner Adolf Seeger, in schwäch¬
lichem Körper ein willensstarker Geist, der am frühsten und energischsten darauf
drang, daß die Würtenberger sich rückhaltlos der großen Nationalpartei an¬
schlössen, und der ebenso mit scharfer Logik die Gegner zu schlagen als mit ein¬
dringlichen Worten zum Herzen des Volks zu reden versteht, die Seele der na¬
tionalen Bewegung in Schwaben; neben ihm sein Bruder Ludwig Seeger, der
Uebersetzer Berangers, ein begabter, witziger Kopf, der, wenn er eine gute
Stunde hat, durch seine drastische, populäre, mit Humor und Sarkasmus ge¬
würzte Rede großen Eindruck hervorbringt. Neben ihm sei auch gleich ein an¬
derer Dichter und Uebersetzer genannt, der zugegen und gleichfalls warmer Freund
des Nationalvereins ist, Friedrich Notker, von dem nur Wenige wissen werden,
daß er in dem von Paul Pfizer im Jahre 1830 herausgegebenen „Brief¬
wechsel zweier Deutschen" der eine der beiden Briefsteller ist. Eine andere
Gruppe bildet sich um Julius Hölder, eine milde, gutmüthige, ächt schwäbische,
dabei tüchtig patriotische Natur, dem seit Schoders Tod die Führerschaft der
liberalen Partei unbestritten wäre, wenn seine Gewissenhaftigkeit mit einer
gleich großen Energie gepaart wäre. In seiner Nähe sitzt der Fabrikant
Dr. Ammermüller, der besonders um den gewerblichen Fortschritt des Landes
wohl verdient, in den Zollvereinswirrcn dagegen ein um so hartnäckigerer
Vertheidiger des Schutzes ist. wenn er auch nicht so weit geht wie Moritz
Mohl, der übrigens an dieser Versammlung so wenig, wie an allen ähnlichen,
sich betheiligt, und der — von jeher eine Partei für sich — vollends seit sei¬
nem Erscheinen auf dem Frankfurter Tag nicht mehr zur Partei gerechnet wer¬
den kann. Ein anderer Gegner des Handelsvertrags ist der heutige Vicepräsi-
dent, Fabrikant Deffner, unähnlich seinem Vater, der im Jahre 1833 fast der
einzige Abgeordnete von der liberalen Opposition war, der weiterblickend als
seine Gesinnungsgenossen dem Zollvereinsvertrag mit Preußen seine Zustimmung
gab. Aber auch Gustav Müller ist erschienen, das Mitglied des Handelstags¬
ausschusses, der soeben eine vielversprechende Agitation für den Handels¬
vertrag und die Erhaltung des Zollvereins in Schwaben ins Leben gerufen
hat. Eine weitere Gruppe endlich, die sichtlich zu großen Dingen sich rüstet
und auf welche heute vor Allem die Blicke gerichtet sind, hat sich dort um
Probst gebildet, den ultramontanen Demokraten, dem seine Vertheidigung des
Concordats noch heute unvergessen ist, und der gleichwohl als feiner, viel¬
gewandter Kopf und eleganter Redner bis heute zu den Zierden der Volks¬
partei gerechnet wurde. Mit der Glätte eines Aals wußte er sich bisher durch
großdeutsche und kleindeutsche Programme hindurchzuwinden und sich in allen
Lagern möglich zu machen; er war es, der hauptsächlich die Oestreicher zur
Theilnahme an der Weimarer Versammlung zu bewegen suchte und dann selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/17>, abgerufen am 25.11.2024.