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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Der Oberkirchenrath hatte in den Jahren 1852. 1836 und 1858 Vorschriften
und Formutare für die Taufe, die Trauung, die Ordination und Introduction
der Prediger und die Confirmation erlassen. Die Stände beschwerten sich
darüber seit dem Landtage von 1858, indem sie behaupteten, daß in jenen
neuen Regulativen Abweichungen von den Vorschriften der mecklenburgischen
Kirchenordnung enthalten wären, weshalb dieselben nicht ohne ihre Zustimmung
hätten erlassen werden können. Anfangs ward die erbetene Mittheilung der
neuen Formulare Seitens des Oberkirchenraths verweigert. Als aber die
Stände sich dieselben auf andere Weise zu verschaffen gewußt hatten und nun
von Neuem mit ihren Beschwerden vorgingen, ward es von der Gegen¬
seite bestritten, daß die Formulare mehr als blos formelle Abweichungen von
der mecklenburgischen Kirchenordnung enthielten. Der Engere Ausschuß empfing
nun den Auftrag, den Gegenstand näher zu prüfen, und legte in Folge dessen
dem Landtage von 1862 einen umfänglichen Bericht vor, in welchem die we¬
sentlichen Neuerungen der Formulare nachgewiesen wurden. Der Engere Aus¬
schuß war dabei zu dem bemerkenswerthen Ergebniß gelangt, daß ein Theil
der eingeführten Abänderungen nicht in einem rituellen Bedürfniß, sondern in
einem abweichenden dogmatischen System des Obcrtirchenraths seinen Grund
habe, und dies veranlaßte ihn zu einem scharfen Protest, durch welchen der
Oberkirchenrath, welcher gerade auf die Erhaltung der reinen Lehre ein so
großes Gewicht legt, nun selbst unter die Anklage der Abweichung von der¬
selben gerieth. "Auf das Ernstlichste und Nachdrücklichste", so sagt der
Bericht, "müssen Stände sich dagegen verwahren, daß der Lehrbegriff der
Kirchenordnung im Geringsten alterirt wird, was aber geschieht, wenn die
agcndarischen Vorschriften der Kirchenordnung einer Doctrin zu Liebe ab¬
geändert werden, die in der Kirchenordnung keinen Anhalt und auch sonst
keineswegs allgemeine Anerkennung gefunden hat." Die Stände beschlossen,
auf Grundlage dieses Berichtes die Verhandlungen fortzusetzen und die Forde¬
rung zu stellen, daß die neuen Formulare entweder zurückgezogen oder dem
Landtage zur verfassungsmäßigen Berathung vorgelegt würden. Zugleich sollten
diese Verhandlungen sich auch aus die neuen Vorschriften und Formulare in Betreff
der Beerdigung erstrecken, welche der Oberkirchenrath ungeachtet des schwebenden
Streites noch in neuester Zeit den früheren hinzugefügt hatte.

Diesen Zeichen eines tiefgehenden Zwiespalts gegenüber hat es wenig auf
sich, daß in einer Streitsrage von geringerer Bedeutung durch das Entgegen¬
kommen des Oberkirchenraths eine Einigung erzielt ward. Es handelte sich
dabei um die sogenannten Kircheninspectionen, welche die Superintendenten seit
längerer Zeit in verschiedenen Gemeinden vorgenommen hatten. Die Stände er¬
klärten diese Jnspectionen mit Kirchenvisitationen gleichbedeutend, für welche im
Landesvergleich von 1775 verschiedene Formen vorgeschrieben waren, deren Beob-


Der Oberkirchenrath hatte in den Jahren 1852. 1836 und 1858 Vorschriften
und Formutare für die Taufe, die Trauung, die Ordination und Introduction
der Prediger und die Confirmation erlassen. Die Stände beschwerten sich
darüber seit dem Landtage von 1858, indem sie behaupteten, daß in jenen
neuen Regulativen Abweichungen von den Vorschriften der mecklenburgischen
Kirchenordnung enthalten wären, weshalb dieselben nicht ohne ihre Zustimmung
hätten erlassen werden können. Anfangs ward die erbetene Mittheilung der
neuen Formulare Seitens des Oberkirchenraths verweigert. Als aber die
Stände sich dieselben auf andere Weise zu verschaffen gewußt hatten und nun
von Neuem mit ihren Beschwerden vorgingen, ward es von der Gegen¬
seite bestritten, daß die Formulare mehr als blos formelle Abweichungen von
der mecklenburgischen Kirchenordnung enthielten. Der Engere Ausschuß empfing
nun den Auftrag, den Gegenstand näher zu prüfen, und legte in Folge dessen
dem Landtage von 1862 einen umfänglichen Bericht vor, in welchem die we¬
sentlichen Neuerungen der Formulare nachgewiesen wurden. Der Engere Aus¬
schuß war dabei zu dem bemerkenswerthen Ergebniß gelangt, daß ein Theil
der eingeführten Abänderungen nicht in einem rituellen Bedürfniß, sondern in
einem abweichenden dogmatischen System des Obcrtirchenraths seinen Grund
habe, und dies veranlaßte ihn zu einem scharfen Protest, durch welchen der
Oberkirchenrath, welcher gerade auf die Erhaltung der reinen Lehre ein so
großes Gewicht legt, nun selbst unter die Anklage der Abweichung von der¬
selben gerieth. „Auf das Ernstlichste und Nachdrücklichste", so sagt der
Bericht, „müssen Stände sich dagegen verwahren, daß der Lehrbegriff der
Kirchenordnung im Geringsten alterirt wird, was aber geschieht, wenn die
agcndarischen Vorschriften der Kirchenordnung einer Doctrin zu Liebe ab¬
geändert werden, die in der Kirchenordnung keinen Anhalt und auch sonst
keineswegs allgemeine Anerkennung gefunden hat." Die Stände beschlossen,
auf Grundlage dieses Berichtes die Verhandlungen fortzusetzen und die Forde¬
rung zu stellen, daß die neuen Formulare entweder zurückgezogen oder dem
Landtage zur verfassungsmäßigen Berathung vorgelegt würden. Zugleich sollten
diese Verhandlungen sich auch aus die neuen Vorschriften und Formulare in Betreff
der Beerdigung erstrecken, welche der Oberkirchenrath ungeachtet des schwebenden
Streites noch in neuester Zeit den früheren hinzugefügt hatte.

Diesen Zeichen eines tiefgehenden Zwiespalts gegenüber hat es wenig auf
sich, daß in einer Streitsrage von geringerer Bedeutung durch das Entgegen¬
kommen des Oberkirchenraths eine Einigung erzielt ward. Es handelte sich
dabei um die sogenannten Kircheninspectionen, welche die Superintendenten seit
längerer Zeit in verschiedenen Gemeinden vorgenommen hatten. Die Stände er¬
klärten diese Jnspectionen mit Kirchenvisitationen gleichbedeutend, für welche im
Landesvergleich von 1775 verschiedene Formen vorgeschrieben waren, deren Beob-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/150>, abgerufen am 28.11.2024.